Nach dem Fall Maklele: "Ich stelle die derzeitige Flüchtlingsbetreuung in Frage"
Viele Leute fragen sich, warum so wenig über Maklele Dennis veröffentlicht wurde. Warum habt ihr, als seine Betreuer und Freunde, den Mantel des Schweigens über seinen Selbstmordversuch gebreitet?
Kurz vorher bzw. zeitgleich passierte das mit Arigona und wir verfolgten das natürlich. Uns, dem engsten Kreis um Maklele, wurde ganz mulmig, als wir sahen, was passierte. Wir konnten uns unmöglich vorstellen, dass so ein Rummel für irgendwen gut ist. Schon gar nicht für Maklele. Weil das, was in Steyr passiert ist, viel schlimmer war. Er hat sich nicht nur versteckt wie Arigona, er hat tatsächlich diesen Selbstmordversuch gemacht. Das hatte eine andere Dimension. Wir wussten ganz genau, wir müssen den Menschen schützen. Er sagte vorher und nachher immer wieder selber, dass er ein normales Leben haben will. Das war für uns zentral.
Was genau habt ihr befürchtet?
Dass das total außer Kontrolle gerät. Es bahnte sich schon an, es gab so viele Anrufe, wir waren völlig überfordert. Es hieß seitens des Krankenhauses, dass Fernsehteams aus ganz Europa angereist seien. Wir standen selber unter Schock. Wir waren perplex, wie schnell Medien reagieren, wie brutal und respektlos einige gegenüber einem menschlichen Schicksal sein können. Wir waren sehr vorsichtig und wählten aus, mit wem wir reden. Wir waren echt überfordert, muss ich ganz ehrlich sagen. Anfangs war er nicht ansprechbar, und wir wurden vom Krankenhaus inständig ersucht, vor allem seine Gesundheit im Auge zu haben. Wir wollten auch niemanden bevormunden. Er soll selber sprechen und Stellung nehmen, wenn er dazu bereit ist. Der Faktor Zeit war wichtig. Medien drängen immer so.
Gab es Anzeichen, dass so etwas passieren wird?
Meine Vermutung ist, dass man nicht viel weiß über Selbstmordversuche im Flüchtlingsbereich. Aber so spektakulär, davon habe ich noch nie gehört. Es sind von ihm schon oft einmal Andeutungen gekommen, wie verzweifelt er ist. Er hat aber seine Verzweiflung immer wieder verbalisiert, nach außen gebracht. Ich glaubte, wenn er es aussprechen kann, erleichtert das und dass er sich dann wieder derfangt. Aus meiner jahrelangen Arbeit kenne ich solche Andeutungen auch von einigen Jugendlichen, aus verschiedensten Ländern, Afghanistan z. B. Das ist nichts Einmaliges oder Neues. In Steyr gibt es nur männliche Jugendliche, keine Mädchen. Das ist sehr schade für alle, es fehlt, dass es gemischt ist. Es gibt insgesamt sehr wenig flüchtende Mädchen und die werden nach Möglichkeit in einer Wohngemeinschaft in Linz untergebracht. Dort gibt es mehr Möglichkeiten vom Schulbesuch her, von der Qualifizierung, was ja in Steyr noch ganz in den Kinderschuhen steckt.
Dürfen die geflüchteten Jugendlichen z. B. Hauptschulabschluss machen?
Bis zum Zeitpunkt des letzten Schuljahres ist nur ein Jugendlicher in den Polytechnischen Lehrgang gekommen. Für alle anderen war es nicht möglich, einen Schulbesuch zu erhalten. Was eine Katastrophe ist. Es war überhaupt undenkbar, hier einen Hauptschulabschluss zu installieren. Es bemühen sich manche Leute darum und man kann hoffen, dass das jetzt endlich einmal etwas wird. Es ist bis heute nicht möglich, dass Asylwerber im Gemeinwesen eingesetzt werden. Das ist woanders überhaupt kein Problem. In anderen Gemeinden ruft man einmal an und die Leute arbeiten im Bauhof mit, oder irgendwo. Kriegen sehr wenig Geld, aber es ist eine Beschäftigung. So etwas ist in Steyr nicht durchzubringen. Das Projekt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Maradona will das schon lange, es scheitert an der Stadtverwaltung. Das ist für mich symptomatisch für Steyr, dass nicht einmal das geht. Das ist sehr ermüdend und zermürbend. Die Jugendlichen zahlen drauf und alle, die mit ihnen zusammen arbeiten, genauso. Die jungen Leute sind sich selbst überlassen, es gibt zwar ein Haus und Betreuung, dreimal die Woche Deutschkurs, aber sonst nicht viel. Obwohl die Jugendlichen dort sind, bis sie 18 Jahre alt sind. An ihrem 18. Geburtstag kommen sie in andere Unterkünfte.
Glauben Sie, dass die Solidaritäts-Demonstration etwas gebracht hat?
Steyr hat diese Demo schon längst gebraucht. Unsere Kritik einmal öffentlich kundzutun. Ich weiß auch nicht, warum wir das nicht schon längst gemacht haben. Aber das ist nur ein Schritt von vielen, die wir jetzt setzen sollten. Es hat etwas sehr Befreiendes, einmal nach außen zu bringen, wie empört wir über die Zustände sind. Es ist für jeden, der erfährt, wie es Asylwerbern geht, sehr belastend. Für die Menschen, die in der Flüchtlingsbetreuung arbeiten, kaum aushaltbar. Viele werden krank. Die Zustände sind seelisch und geistig nicht zu verarbeiten, die man da so hautnah mitkriegt. Es muss nach außen gebracht und öffentlich gemacht werden, was sich neben uns abspielt. Wie die Menschen in Asylwerberheimen leben, was die Auswirkungen sind. Das muss zum Thema werden und wird jetzt, Gott sei Dank, zum Thema. Die Betroffenen trauen sich nicht nach außen zu gehen, zu sagen, was sie wirklich denken. Irgendwie sind wir, ob wir es wollen oder nicht, die Sprachrohre.
Wo sind die Grenzen der Flüchtlingsarbeit? Was bräuchte es noch?
Ich finde es ganz schwierig (seufzt). Die ganze Herangehensweise sollte neu überdacht werden. Mein Fazit nach zwei Jahren Flüchtlingsarbeit ist: Diese Art der Flüchtlingsbetreuung ist einseitig. Ich kenne keinen einzigen Asylwerber, der in so einer Unterkunft, einem sozialen Ghetto leben will. Die wollen nicht betreut werden, sondern in Privatwohnungen leben. Ich nehme wahr, dass das Ganze ein riesiges Geschäft ist. Es ist ein eigenes Business, in dem einige Organisationen daran verdienen, dass die Zustände so sind, wie sie sind. Darum ist das Interesse, dass sich grundlegend etwas ändert, vielleicht gar nicht da. Aus der ohnmächtigen Haltung, in so einem System zu arbeiten, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich dabei nicht mehr mitmachen kann. Ich habe mich als Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsbetreuung, mit einem so minimalen Handlungsspielraum, schon als Werkzeug benutzt gefühlt von genau dieser Politik. Jetzt erst, wo ich seit einigen Wochen nicht mehr Flüchtlingsbetreuerin bin, kann ich dazu Stellung beziehen. Es ist total absurd, dass man in einem Feld arbeitet, weil einen das interessiert, und man merkt, so lange ich in diesem System stecke, kann ich nichts ändern. Es ist viel leichter, wenn ich etwas anderes tue. Das ist sehr ernüchternd. Ich war letztendlich auch sehr überrascht, wie tief die Politik in das Institutionelle eingreifend wirkt. Ich konnte die Arbeit letztendlich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren. Das ist doch verrückt, oder?
Hat Maklele sich allein gelassen gefühlt, als Sie plötzlich nicht mehr da waren?
Er suchte immer noch den Kontakt zu mir, auch nach meiner Zeit als Flüchtlingsbetreuerin. Deswegen wäre auch mein Vorschlag zur Flüchtlingsbetreuung, da diese Formen der üblichen Flüchtlingsbetreuung nicht tief genug greifen, dass es viel sinnvoller ist, in der Bevölkerung Kontakte zu schaffen. Das würde viel mehr bringen. Einzelne Privatpersonen könnten den Rückhalt bieten, den die Flüchtlinge brauchen. Das Projekt Connecting People der Asylkoordination könnte hier als Vorbild dienen. Ich stelle die derzeitige Flüchtlingsbetreuung in Frage, die so nicht zielführend ist. In Steyr gibt es auch viele Wohnungen, in denen anerkannte Flüchtlinge leben. Tschetschenische Familien in Tabor, einem Stadtteil von Steyr. Da ist nicht nur die Sozialhilfe gefordert, die Menschen am Arbeitsmarkt unterzubringen.
Wie hat so etwas Extremes wie ein öffentlicher Selbstmordversuch passieren können? Für mich persönlich waren extreme Beispiele, als z. B. 2003 der Tschetschene Ibragim in Traiskirchen ermordet wurde oder als 2000 Johnson Okpara im Jugendgerichtshof aus dem Fenster sprang und starb.
Bei Ansammlungen von Menschen in einer extremen Situation ist es ganz natürlich, dass sich einmal etwas entladen muss, wenn sich nichts anderes anbietet. Das ist ein Pulverfass, auch wenn die Häuser gut ausgestattet sind. Die Leute stehen unter Hochspannung, es ist eine eigene Stimmung. In meinem Haus attackierte z. B. ein junger Tschetschene einen Arbeitskollegen. Die Schwellen, wie lange und wie stark man Frustrationen ertragen kann, liegen verschieden hoch. Es gibt Leute, die können das vielleicht ein paar Jahre ertragen, und es gibt Leute, denen brennen schon früher die Sicherungen durch. Ich finde, die Flüchtlinge halten wahnsinnig viel aus und haben eine Engelsgeduld, und es ist ein Wunder, dass nicht mehr passiert, und ich glaube, wir wissen einfach vieles nicht, was sich im Verborgenen abspielt. Ich wäre sehr dafür, dass wir das Verborgene sukzessive ans Tageslicht holen, denn es passiert in unserem Land, neben uns. Das kann uns nicht egal sein, und es ist schlecht für uns alle. Ich habe den Eindruck, dass diese Form, wie wir mit Asylwerbern umgehen, unwiederbringlichen Schaden anrichtet. Bei den Betroffenen und bei uns selber. Ich glaube, dass das auf uns Österreicher zurückfällt.
Sie haben auf der Demonstration gesagt, dass der Selbstmordversuch vielleicht hätte verhindert werden können, wenn ihn mehr Leute zur Fremdenpolizei begleitet hätten.
Wir waren nur zu dritt. Der Beamte hat seine Arbeit auf die freundlichste Art gemacht, aber Maklele fühlte sich dem System gegenüber so ausgeliefert. Es war zu wenig Rückhalt für ihn. Er war sehr enttäuscht, dass nicht mehr Leute gekommen sind, die er inständig um Unterstützung gebeten hatte. Kurz bevor er die Tat begangen hat, hat er noch jemand angerufen und gefragt, warum die Person nicht erschienen war. Für ihn war es ein bedeutender Punkt, dass wichtige, nahe stehende Personen nicht da waren, als es um das Wesentliche ging. Immer dann, wenn es haarig wird, wird es rar mit den Leuten. Das finde ich gefährlich. Der Beamte sagte ihm, dass er ab sofort illegal im Land sei und dass es ab da möglich sei, dass er in Schubhaft komme. Er spürte, ab jetzt ist alles möglich, ab jetzt ist er Freiwild, obwohl die Rechtsanwältin aufschiebende Wirkung beantragt hatte. Wir waren selber völlig baff. Maklele wollte absolut nicht ins Gefängnis. Ich weiß nicht, ob er schon einmal in einem war. Seitdem er elf Jahre alt war, war er auf der Flucht.