Magdalena Chowaniec und die Rechnitz Crew:
Am 9. und 10. August wird im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals 2014 die Performance «Attan bleibt bei uns» in den Hofstallungen des MUMOK gezeigt. Darin rekonstruieren acht jugendliche Asylbewerber ihre verlorene Heimat Afghanistan, die sich allmählich durch die Distanz aufzulösen und nur noch in ihren Köpfen und Körpern zu existieren scheint. Der Augustin sprach mit der Regisseurin Magdalena Chowaniec und besuchte gemeinsam mit der Fotografin Carolina Frank das Heim im burgenländischen Rechnitz, in dem die Performer untergebracht sind.
Foto: Carolina Frank
Am Hang des Geschriebensteins, der höchsten Erhebung des Burgenlandes, unweit der ungarischen Grenze, befindet sich das Rechnitzer «Haus der Jugend», das seit 2013 als Einrichtung des Diakonie-Flüchtlingsdienstes minderjährigen Flüchtlingen ein Obdach bietet. Im Heim leben derzeit 36 junge Somalier und Afghanen, die ohne ihre Familien nach Österreich gekommen sind. Die ethnische Zusammensetzung der Bewohnerschaft ändert sich in Abhängigkeit von weltpolitischen Verhältnissen und aktuellen Krisenherden laufend. Aber auch das Erreichen der Mündigkeit oder negative Asylbescheide sind Gründe für einen erneuten Wegzug.
Umso mehr ist das Team der Diakonie darauf erpicht, die unbegleiteten Jugendlichen während ihres Aufenthalts in Rechnitz als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu behandeln, sie so weit wie möglich ins Gemeindeleben zu integrieren und ihnen ein konfliktfreies Miteinander zu ermöglichen. Als Liz King, Tänzerin, Choreografin und künstlerische Leiterin der Nonprofit-Organisation D.ID (Dance Identity) im Herbst 2013 mit dem Vorschlag an die Diakonie herantrat, die Asylwerber in ein Tanzprojekt zu involvieren, stieß sie sofort auf offene Ohren. In unterschiedlichen Gemeindeprojekten experimentiert sie an der Schnittstelle von Tanztheater und Sozialarbeit und bringt so ortsansässige Menschen mit internationalen Künstler_innen und zeitgenössischen Stücken in Verbindung. So geschehen auch im Vorfeld von «Attan bleibt bei uns».
Die Polin Magdalena Chowaniec, ihrerseits Tänzerin, Choreografin und Sängerin der Band «The Mob Fixing Freedom», sollte die Regie übernehmen. Rückblickend sei dies eine der schwierigsten und zugleich eine der schönsten Erfahrungen in ihrer bisherigen Karriere gewesen, versichert sie uns: «Dass mich Liz King für dieses Projekt eingeladen hat, verdanke ich ihr mein Leben lang. Sie kommt wie ich aus dem klassischen Ballett, macht aber seit Jahren das, was sie liebt – über Tanz unterschiedlichste Menschen zusammenbringen, festgefahrene Schemata hinterfragen und Tabus brechen. Ich denke, wir sind beide Kämpferinnen und glauben mitunter an das Unmögliche. Und das setzt eine ungeheure Kraft frei.»
Da staunte das Publikum
Bereits 2010 initiierte Magdalena Chowaniec eine Tanzproduktion, in der sie soziale Randgruppen auf die Bühne holte – wenn auch damals im übertragenen Sinn. So erforschte sie im Empathy Project Vol. I das Einfühlungsvermögen mit Drogenabhängigen am Karlsplatz. Dafür ausschlaggebend waren die Parallelen zu den Tänzer_innen der freien Wiener Tanzszene, die ebenfalls obdachlos und ohne soziale Ansprüche waren – was mitunter bis heute gilt, etwa in Bezug auf Arbeitslosengeld. Chowaniec resümiert: «Am Karlsplatz haben wir uns damals zu dritt in die Randgruppe eingegliedert und versucht, ihre Bewegungssprache nach dem Drogenkonsum zu erforschen und anzueignen, ohne selbst Drogen konsumiert zu haben. Daraus ist eine ziemlich ambivalente Choreografie entstanden, die wir dann im brut-Theater, also in der Nähe des Karlsplatzes, aufgeführt haben. Kurz vor der Performance verkleidete ich mich als Junkie, bat die auf Einlass Wartenden um 50 Cent – und wurde dabei mehrmals beschimpft. Umso erstaunter war das Publikum, als ich eine knappe Stunde später auf der Bühne herumtorkelte und es dafür 11 Euro bezahlt hatte. Mir ging es um die Frage: Was ist Theater und welchen Platz hat darin das echte Leben?»
Mit den jugendlichen Asylwerbern von Rechnitz wollte Chowaniec von Beginn an kein rein dokumentarisches Theater machen, das die Geflüchteten mit ihren Traumata konfrontieren würde. Vielmehr ging es ihr um die für sie unbekannte Kultur Afghanistans, die sie sofort faszinierte. Sie stieß auf den Tanz Attan, der traditionell von den paschtunischen Bevölkerungsgruppen praktiziert wird, und eignete ihn sich über YouTube an. «Bevor ich feststellen musste, dass der Tanz eigentlich keinen guten Ruf genießt, war ich von den Schritten und der ganzen Choreografie schon so beeindruckt, dass ich alles Mögliche gemacht habe, um die Jungs für das Projekt zu überzeugen. Ich habe zu Ihnen gesagt: «Wenn ihr einmal diesen Tanz lernt, wird er euch nie wieder genommen. Er wird in euch drinnen bleiben, als ein Teil eurer Kultur und Geschichte. So kann euer Afghanistan überleben.» Daher auch der Titel «Attan bleibt bei uns» unter Bezugnahme auf bisweilen willkürlich erscheinende Asylentscheide.»
Rechnitz als utopisches Afghanistan
Jasin, Mitglied der «Rechnitz Crew» und aufgrund seiner guten Deutschkenntnisse Wortführer beim Gespräch mit fünf der acht beteiligten Tänzer, erzählt mit funkelnden Augen von der anfänglichen Verwunderung, als er vom Projekt hörte. Er selbst, der Ethnie der Hazara angehörig, hätte früher bei Festen in Afghanistan viel getanzt. Der Attan war ihm aber unbekannt, und so konnte er sich anfänglich kaum mit dem Tanz identifizieren. Als Chowaniec im Februar dieses Jahres einen ersten Workshop vor Ort abhielt, tauchten fast 20 Interessierte auf. Aber als dann im April die Proben beginnen sollten, fanden sich im zur Turnhalle umfunktionierten Pfarrsaal nicht einmal fünf Jungendliche ein. Zwei lange Wochen sollte es dauern, bis sich die «Rechnitz Crew» formierte – zwei Wochen, in denen es vor allem darum ging, Disziplin einzufordern und Vertrauen aufzubauen. Mitunter mit ungewöhnlichen Mitteln: So trug die Regisseurin anfangs jene, die über das Projekt lachten, kurzerhand huckepack auf dem eigenen Rücken und verschaffte sich dadurch Respekt.
Für Jasin und seine Kollegen hieß es zunächst die Schrittkombinationen von Attan zu lernen: «Wir befassten uns aber auch mit der afghanischen Geschichte, mit Gedichten und Liedern. In der Performance versuchen wir einerseits auszudrücken, wie es war, als wir noch in Afghanistan lebten. Das war nicht immer leicht, schließlich hatten wir nie zuvor Theater gespielt. Andererseits formulieren wir im Stück auch Wünsche und Fragen, jeder individuell.»
Der Sozialpädagoge Pascal Steiner, der das «Haus der Jugend» leitet, kann die Bedeutung dieser Zusammenarbeit mit Liz King und Magalena Chowaniec für seine Schützlinge nicht genug betonen. «Kunst ist eine hervorragende Möglichkeit, um aus dem Alltag auszubrechen, um Identität auszuhandeln, um Begeisterung zu entwickeln.» Weiters verrät er: »Die Jungs lieben es zu tanzen. Ab und an fahren wir auf Musikfestivals, und die Jungs stürmen regelrecht die Tanzfläche. Sie würden auch wahnsinnig gerne in die Ortsdisco gehen, aber da wäre der Konflikt leider vorprogrammiert. Und sie sehen glücklicherweise ein, dass es nicht vorteilhaft wäre, in der «Kronen Zeitung» mit der Headline «Asylwerber schlagen sich in Disco» zu landen». Der freundschaftliche Umgang untereinander ist indes ebenso keine Selbstverständlichkeit. Magdalena Chowaniec weiß: «Afghanistan ist ein Land, in dem viele unterschiedliche Stämme zusammenleben, die immer wieder auch miteinander kämpfen. In Rechnitz leben Hazara, Paschtunen und Tadschiken unter einem Dach. In ihrem Land würden sie sich kaum begegnen. Hier aber sind sie gezwungen, friedlich zusammenzuleben und mitunter ihre Lebensansichten zu ändern.»
Wie es nach den Wiener Vorstellungen von «Attan bleibt bei uns» im Rahmen von ImPulsTanz künstlerisch weitergehen könnte, malen sich die Jungs bereits aus. Die Fluchtbiographie spielt dabei eine wichtige Rolle: «Wir würden gerne einen Kurzfilm drehen, darüber, wie wir von Afghanistan nach Österreich gekommen sind. Wir wollen den Leuten einen Eindruck geben, wie es uns ergangen ist. Wir sind ja nicht mit dem Flugzeug gekommen. Sondern in schlechten Autos, zu Fuß, auf kleinen Booten. Wir hatten viele Probleme. Manche Leute sind ertrunken. Manche Leute sind verdurstet. Manchmal haben wir im Wald Dinge gesammelt, um nicht zu verhungern. Wir wurden ausgeraubt, von der Polizei aufgehalten. Die Geschichten sind alle sehr unterschiedlich.»
Michael Franz Woels, Sandra Voser
http://magdalenachowaniec.webs.com/
http://www.impulstanz.com/performances/2014/id675/
http://fluechtlingsdienst.diakonie.at/goto/de/was/Unterbringung_Betreuung/haus-der-jugend
http://dance-identity.com/