Auch Forellenjodeln macht Spaßtun & lassen

Stimmgewittermitglied Martin

Weißt du eigentlich, was das ist: ein Forellenjodler? Wenn du Teil eines Chors oder eines Gesangsvereins bist, auf der Bühne stehst und siehst, dass alle Augen auf dich gerichtet sind, und du weißt plötzlich nicht mehr, wie die ersten Sätze des nächsten Liedes lauten – dann musst du raffiniert deinen Mund bewegen und tun, als ob. Das nennt man einen Forellenjodler.Ich muss dir gestehen, dass das praktisch bei jedem Auftritt mit dem Stimmgewitter Augustin, bei dem ich von Beginn an mitmache, vorkommt. Es gibt kein Konzert ohne Forellenjodler. Ich vernadere niemanden, wenn ich sage, dass ich beileibe nicht der einzige bin, der pseudo singt. Das Publikum merkt das nicht, und das freut mich diabolisch. Es würde nur was merken, wenn das zufällig alle acht gleichzeitig machen müssten. Ich bin ein begeisterter Forellenjodler. Das Stimmgewitter hat ein wahnsinnig großes Repertoire an Liedern, es grenzt eh an ein Wunder, dass wir die alle ziemlich auswendig kennen, aber manchmal schreib ich mir eine Strophe, die ich erfahrungsgemäß gerne vergesse, auf die Innenfläche der Hand. Ich bin nicht der Beste im Auswendiglernen.

Wie ich zum Stimmgewitter kam? Ich war hocknstad und setzte mich in der S-Bahn zufällig neben eine Augustinverkäuferin. Sie muss gewusst haben, dass der Verkauf in den Waggons verboten ist, deshalb hatte sie den Zeitungsstapel neben sich liegen, sagte nichts, sondern deutete nur mit dem Kopf auf ihn. Ich hatte kein Geld dabei, wie immer, aber diese Begegnung war für mich der Anstoß, mich beim Augustin zu melden. Ich kam also in die Schlossgasse, damals das Vertriebsbüro, das war 2011, und traute mich nicht hinein. Ich ging auf und ab, und dann gab ich mir einen Ruck. Als Mann kannst du eh nicht schwanger werden, sagte ich mir, und trat ein. Das Erste, was mir im Vertriebsbüro auffiel, war ein selbstgemachtes Plakat, worauf ungefähr stand: Gesangesfreudige Verkäufer_innen sollen sich bei Sozialarbeiterin Riki melden. Jetzt wusste ich, dass ich hier richtig bin, denn wo gesungen wird, bin ich daheim. Mir wird ja nachgesagt, dass ich schon im Bauch der Mutter sang, und es ist wohl auch eine Legende, dass ich, eben geboren, «Everybody loves somebody sometimes» zum Besten gab, sodass meine Mama vor lauter Rührung in Ohnmacht fiel.

In der Schule habe ich die Songs von den Beatles und den Rolling Stones auf und ab gesungen, aber mich wurmte immer, dass ich nicht verstand, was die sangen. Ich habe immer meine Englischlehrerin gefragt, bis sie die großartige Idee hatte, einen Plattenspieler mit in ihren Unterricht zu nehmen, und wir durften englische und amerikanische LPs mitnehmen. So revolutionierte ich den Musikunterricht in der Hauptschule, profitiert haben davon alle in der Klasse.

Augustin verkauf ich nicht mehr; ich lebe sparsam von meiner Mindestsicherung und habe zwischendurch in sogenannten sozialökonomischen Betrieben gehackelt, bei RUSZ (Reparatur- und Service Zentrum) und bei DRZ (Demontage und Recycling Zentrum). Ich hab mich jeden Tag gefreut, in die Arbeit zu gehen. In diesen Betrieben herrscht nicht der kapitalistische Leistungsterror: Du kannst Schmäh führen, ohne dass die Arbeit sehr darunter leidet.

Dem Stimmgewitter bleib ich treu. Es ist mir selber manchmal unheimlich, wie gut wir anzukommen scheinen. Ich hab noch nie ein negativ eingestelltes Publikum gesehen. Langsam glaube ich auch, dass wir zu einem Klangkörper geworden sind, der zwar nicht durch seine Professionalität auffällt. Aber die Leute kommen aus dem Staunen nicht heraus …

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