Auch Plätze mit Märkten sind öffentlich!tun & lassen

Advent in Wien: Christliche Umsätze statt christliche Grundsätze

Zwei Dutzend Augustin-Verkäufer_innen demonstrierten am 19. Oktober durch die zentralen Wiener Adventmärkte am Rathausplatz und Maria-Theresien-Platz, und mehr als 200 Unterstützer_innen schlossen sich ihnen an. Das Verbot des Augustin-Straßenverkaufs (einen Tag vor der Demo aufgehoben) und des Verkaufs anderer Straßenzeitungen war Anlass des Protestes. Auch die Aufhebung des Bettelverbots wurde gefordert. In den Wochen vor dem allerheiligsten Fest der Christenheit signalisiere ein Wegweisen der Ärmsten nicht gerade soziale Sensibilität, erklärte ein Augustin-Sprecher.

Durch Berichte in TV und Printmedien, durch Videos im Internet ist die Aktion «Occupy Christkindlmarkt» ausreichend dokumentiert. Hintergründe blieben ausgespart. Die Stadt Wien will sich als Stadt der Zufriedenen vermarkten: Hier brennen keine Autos, und das nackte Elend ist weithin unsichtbar. Doch der Standortwettbewerb ist unerbittlich: Darum muss auch der Rest vom Störenden verschwinden. Die bettelnden «Zigeuner». Die tragen ja die Kehrseite der neoliberalen Medaille, die absolute Verelendung, geradezu vor sich her. Kein Blick darf mehr auf diese lebenden Beweise der Absurdität des Kapitalismus fallen, darum hat die sozialistische Regierung der Stadt gerade noch rechtzeitig vor dem Ende ihrer Alleinregierungszeit das Bettelverbot eingeführt.

 

Darum hat sie auch die Junkie-Szene am Karlsplatz zerschlagen. Darum wird sie morgen die Alkoholikerszene am Praterstern zerschlagen. Erwünschter Nebeneffekt dieser Kampagne der sozialen «Säuberung»: Man kann den «echten Wiener_innen» zeigen, dass man keinen Strache brauche, um gegen «Sozialschmarotzer» und das Übel aus Osteuropa durchzugreifen.

 

Weil eine Partei mit sozialdemokratischen Wurzeln aber doch noch Menschen an sich bindet, die mit den Schwachen solidarisch sind, und weil nun der grüne Koalitionspartner nicht völlig überfahren werden kann, liebt die Wiener SPÖ-Spitze jede Gelegenheit, in der ihr jemand die «Drecksarbeit» abnimmt. Das tut die konservative Bezirksvorsteherin des 1. Bezirks, die neben kommerzieller Nutzung nur Friedhofsruhe in der Fußgängerzone will. Das tun die ÖBB, deren Privatsheriffs die Bahnhöfe vor Gestrandeten schützen. Das tut die Polizei, die nichts dabei findet, ihre Gefängnisse bis zum Überquellen mit Menschen zu füllen, deren «Verbrechen» nur darin besteht, arm zu sein (d. h. die Verwaltungsstrafen für Schwarzfahren, Parkbankschlafen oder Betteln nicht bezahlen zu können).

 

Hier kommt Akan Keskin (Veranstalter mehrerer Wiener Adventmärkte, darunter am Rathausplatz) ins Spiel: Soll auch ER doch die Probleme lösen, die entstehen, wenn «echte Wiener_innen» sich auf einem Weihnachtsmarkt von den sich pausenlos aufdrängenden Visagen der Verelendung belästigt fühlen. Herr Keskin war so fügsam und tat es, umso mehr, als er hochstapeln konnte, ER sei die entscheidende Person, die bestimme, was auf den Plätzen, auf denen er Märkte organisieren darf, passieren dürfe und was nicht. Man hört, die zuständige Stadträtin habe Herrn Keskin zurückgepfiffen und zur Kooperation mit dem Augustin gedrängt.

 

Was dieser aber hören will, ist ein klares öffentliches Statement dieser Stadträtin oder besser gleich des Bürgermeisters: «Die Plätze Wiens bleiben auch dann öffentliche Räume, wenn auf ihnen Weihnachtsmärkte oder sonstige kommerzielle Veranstaltungen durchgeführt werden. Auf öffentlichen Räumen können Straßenzeitungsverkäufer selbstverständlich nur dann an ihrer Arbeit behindert werden, wenn sie gegen bestehende österreichische Gesetze verstoßen.» Von Häupl ist so ein Statement nicht zu erwarten; mit weiteren augustinischen Interventionen ist zu rechnen.

 

Videos:

http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=whZ9CIZ3EgE

Birgit Hebein (Wiener Grüne) zur Frage, warum es nach 1 Jahr Rot-Grün ein Augustin-Verkaufsverbot auf Weihnachtsmärkten gäbe.

 

http://www.youtube.com/watch?v=UK6wUScCNMg

Die Demo am Rathausplatz