Käthe Leichter war sozialdemokratische Gewerkschafterin und leitete das Frauenreferat der Arbeiterkammer. Sie war Forscherin und Publizistin und setzte sich vor allem für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ein. Ein kursorischer Lebenslauf.
«Sie haben nicht nur bei mir gelernt, meine wilden Hortbuben, ich habe mindestens ebenso viel von ihnen gelernt. Die Welt der Proletarier kannte ich aus Büchern und später aus Versammlungen. Die Buben aber erzählten mir von ihrem täglichen Leben», schreibt Käthe Leichter in ihren Lebenserinnerungen, die sie, als sie 1938 im Landesgericht Wien in Einzelhaft ist, niederschreibt. Das unvollendet gebliebene Manuskript kann aus der Haftanstalt geschmuggelt werden, übersteht den Krieg und wird schließlich veröffentlicht. Die «wilden Hortbuben» sind Hauptschüler aus dem ärmsten Bezirksteil Döblings, der sogenannten «Krim», die Käthe Leichter als Studentin während des 1. Weltkriegs als Erzieherin betreut. Die behütet und in Wohlstand aufgewachsene Tochter aus dem Wiener Großbürgertum lernt, spielt, unterhält sich mit den Buben und besucht sie auch zu Hause. So lernt sie eine Lebenswelt kennen, die in starkem Kontrast zu der ihrer Herkunftsfamilie steht.
Im 1. Bezirk, am Rudolfsplatz, befindet sich die Wohnung des Rechtsanwalts Josef Pick und seiner Frau Charlotte. Dort wird am 20. August 1895 Marianne Katharina, genannt Käthe, als zweite Tochter des Ehepaars geboren. Beide Eltern, wiewohl selbst nicht gläubig, stammen aus sehr wohlhabenden jüdischen Familien. Josef und Charlotte Pick haben eine umfassende Bildung genossen, sind interessiert an Wissenschaft und Kunst, reisen gern. Diese Vorlieben geben sie auch an ihre Töchter weiter, denen sie ebenfalls eine sehr gute Bildung ermöglichen. Dass es aber Menschen gibt, die weitaus weniger privilegiert sind, bekommt Käthe schon als Kind mit, Armut und Ungleichheit beschäftigen sie. Sie mag auch gar nicht, wie herablassend und misstrauisch ihre Mutter den Hausangestellten begegnet. Als junges Mädchen spart Käthe einen Teil ihres Taschengeldes, um Süßes und Geschenke für bettelnde Kinder zu kaufen. «Damit ist das soziale Gewissen für kurze Zeit betäubt», schreibt sie später selbstkritisch. «Außerdem ist es romantisch und schön, mitten in der Großstadt Christkindl […] zu spielen.»
Rätebewegung
Zum Sozialismus kommt Käthe Leichter im Lauf ihres Studiums der Staatswissenschaften. Nach Ende des 1. Weltkriegs ist sie in der Rätebewegung aktiv, in dieser Zeit lernt sie ihren späteren Ehemann, den sozialdemokratischen Journalisten Otto Leichter kennen. 1919/20 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Otto Bauers in der Sozialisierungskommission tätig (Sozialisierung ist eine besondere Form der Vergesellschaftung von Betrieben). Ein paar Jahre später übernimmt sie die Leitung des neugeschaffenen Frauenreferats der Arbeiterkammer. Dort geht es zunächst darum, die Lage der arbeitenden Frauen mittels sozialwissenschaftlicher Methoden zu erfassen, um davon ausgehend Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu formulieren. Käthe Leichter hält Vorträge, ist publizistisch tätig, geht in die Betriebe – oft sind die Frauen skeptisch gegenüber der «Frau Doktor», doch sie begegnet den Arbeiterinnen auf Augenhöhe und motiviert Frauen, sich zu engagieren.
Schon früh und sehr eindringlich warnt Käthe Leichter vor dem Faschismus. Sie beobachtet und analysiert, wie die italienischen, dann die deutschen und schließlich die Austrofaschisten die Gewerkschaften zerstören. Käthe Leichter hat auch im Blick, wie es den Frauen im Faschismus ergeht, «da aus rassistischen und bevölkerungspolitischen Gründen ihr Aufenthalt im Heim erwünschter ist als im Beruf, […] folgte auf die Machtergreifung Hitlers der heftige Kampf gegen die Berufsarbeit der Frau», schreibt sie 1934 in der Zeitschrift Die Frau.
Faschismus
Nach Zerschlagung und Verbot der Sozialdemokratie durch das Dollfuß-Regime im Februar 1934 wird Käthe Leichters Anstellung bei der AK gekündigt, die Leichters gehen für mehrere Monate ins Ausland, kehren aber im September zurück. Sie arbeiten im Untergrund für Partei und Gewerkschaft, schreiben für sozialistische Medien unter Pseudonymen. Ihr Haus in Mauer (heute 23. Bezirk) dient oft als Treffpunkt für illegale Funktionär:innen. Otto Leichter flieht kurz nach dem Anschluss 1938 ins Exil. Käthe Leichter unterschätzt die Gefahr, die ihr von den Nazis droht. Als sie schließlich mit gefälschten Papieren ausreisen will, ist es zu spät. Hans Pav, ein enger Freund der Familie Leichter, hat sie bereits an die Gestapo verraten. Sie wird am 30. 5. 1938 verhaftet und ist fast zwei Jahre lang im Gefängnis. Anfang 1940 wird sie ins KZ Ravensbrück deportiert. Die Widerstandskämpferin und Sozialistin Rosa Jochmann, die ebenfalls in Ravensbrück inhaftiert war, erinnert sich an sie mit den Worten: «Genossin Leichter war die Seele ihres Blockes und uns ‹Politischen› die Lehrerin, die sie draußen gewesen war.» Im März 1942 ermorden die Nazis Käthe Leichter mit Giftgas in der NS-Tötungsanstalt Bernburg. In ihrem letzten Brief kurz vor ihrer Ermordung schreibt sie an ihre Familie und schließt mit den Worten: «Um mich keine Sorgen! Ich bin gut beieinander und meine Gedanken sind stets in tiefster, unwandelbarer Liebe bei meinen lieben drei Buben.» Ihre «drei Buben» – so nannte sie Ehemann Otto und ihre Söhne Heinz und Franz – können fliehen und beginnen in den USA ein neues Leben.