Auf da Alm, da gibt’s koa Geldtun & lassen

(Foto: Remigio Gazzari)

Die Arbeit auf der Alm ist viel wert – aber wird sie auch entsprechend entlohnt? Was Wölfe mit der Bezahlung zu tun haben und wieso Hirt:innen und Senn:innen eine Gewerkschaft brauchen, erzählen hier Älpler:innen selbst.

 

«Ich seh die Alm als meinen Beruf und deswegen brauch ich einen gescheiten Lohn dafür. Das ist mein Einkommen. Irgendwann hat es in meinem Kopf klick gemacht: Es hat mich genervt, dass mich im Winter ­immer alle fragen, was ich mache, und die Alm oft nicht als voller Job angesehen wird.» Maria Naynar ist Hirtin, Sennin, Älplerin. 2023 ist ihr elfter Almsommer in Folge. Heuer ist sie zum ersten Mal in ­Österreich, auf einer Schafalm in Tirol. Die Jahre zuvor war sie auf Kuh- und Ziegenalmen in der Schweiz.
Aufgewachsen ist Maria auf dem Hof ihrer Eltern, studiert hat sie ökologische Landwirtschaft in Wien. Im Winter ist sie jedes Jahr woanders, mal in Wien, mal in der Schweiz auf Winterweiden, mal in Niederösterreich bei Bekannten. Es ist mühsam, sich jeden Herbst nach dem Almabtrieb eine Tätigkeit und einen Wohnort zu organisieren, bis der nächste Sommer kommt. Vor allem, wenn eine der Wintertourismus nicht interessiert.

Mit 700 Schafen am Berg

Der Verdienst auf der Tiroler Schafalm ist ähnlich dem in der Schweiz. Das hat mit den Wölfen zu tun: Das Land Tirol fördert als Herdenschutzmaßnahme die Anstellung von ­erfahrenen Hirt:innen, die den ganzen Tag mit den Tieren unterwegs sind. Maria ­bekommt etwas über 3.000 Euro netto im Monat. Wohlgemerkt für eine Sieben-Tage-Woche und zwölf bis vierzehn Stunden Arbeit am Tag mit 700 Schafen. Gäbe es die aktuelle Projektförderung nicht, dann könnten die Bäuer:innen ihr von den Subventionen, die sie bekommen, wohl nur ein Drittel davon zahlen, schätzt Maria. Und dafür ginge sie nicht auf die Alm.
«In Österreich ist das Bild von der Alm verzerrt, kommt mir vor», sagt sie. Die ­Almen würden mehr mit Gastwirtschaft als mit Tierhaltung und Milchverarbeitung verbunden. Gleichzeitig existieren romantische Bilder, die wenig mit dem harten Arbeitsalltag zu tun haben. Und zu schlecht bezahlt werde auch. In der Schweiz sei es auch nicht perfekt, aber sowohl die kulturelle als auch die monetäre Wertschätzung seien zumindest näher an der Realität.
Ich teile Marias Einschätzungen. Für meine eineinhalb Almsommer als Hirtin und Beisennin bin ich schließlich auch in die Schweiz ­gegangen. Seit 2022 forsche ich nun im Doktorat zu Eigentumsverhältnissen in der österreichischen Almwirtschaft und bin dafür im Salzkammergut und im Tiroler Oberland unterwegs. ­Obwohl in Tirol deutlich besser gezahlt wird, fällt mir in beiden Regionen auf, wie sehr die Erhaltung der Almen auf un- oder unterbezahlter Arbeitskraft beruht.

Nicht fürs Geld

Nepomuk Metzeler war 2021 zusammen mit seiner Partnerin einen Monat auf einer kleinen Alm in Salzburg. Beide waren zu der Zeit in Bildungskarenz. Auf der Alm gab es elf Kühe zu melken und zusätzlich zu betreuende Jungtiere, aber keine Gastwirtschaft und keine Milchverarbeitung. «Die Arbeit dort ist eigentlich für eine Person vorgesehen, und das ist eine geringfügige Stelle. Wir haben das geteilt. Also fürs Geld haben wir es nicht gemacht. Wir hatten die Hoffnung, dass man genug Freizeit hat, zwischen der Früh- und der Abendschicht, dass es irgendwie Spaß macht… aber aufgegangen ist das … na ja. Weil: Wir hatten Kälber und die haben uns ziemlich auf Trab gehalten!», lacht Nepomuk. Er erzählt, dass sich die Alm wirtschaftlich für die Familie, der sie gehört, nicht mehr auszahlt. Sie wird nur noch bewirtschaftet, weil ein Sohn der Familie für sie brennt: Jedes Jahr verlässt er für zwei Monate seinen Job in Wien und geht auf die Alm. Für die Zeit, die er nicht selber abdecken kann, sucht er sich Freund:innen und Bekannte, wie Nepomuk. Die Nachbaralmen seien alle von Mitgliedern der lokalen Bauernfamilien bewirtschaftet worden, oder zumindest von Leuten aus der Region. «Und dann gab es noch uns Außenseiter.»
«Wenn man das noch nie gemacht hat, ist das halt erst einmal ur anstrengend. Körperlich. Und das frühe Aufstehen. Aber auch neue Dinge tun. Und mit Respekt, oder vielleicht sogar ein bisschen Angst, an die Kühe heran gehen, weil man sie noch nicht einschätzen kann. Es war tatsächlich recht stressig.» Für Nepomuk, aufgewachsen in München, aber seit einigen Jahren in Wien, ist es bisher bei einem halben Sommer geblieben.

Familie statt Personal

Auf den ersten Blick scheinen die Geschichten von Maria und Nepomuk entgegengesetzt: zehn ganze Sommer, ein halber Sommer. Die Alm als Beruf, die Alm als Auszeit und zum Erfahrungsgewinn. Aber sie hängen auch zusammen. In Kombination bieten sie eine mögliche Erklärung, warum Almarbeit in Österreich unterbewertet wird, Personal lieber in andere alpine Länder geht und hierzulande fehlt. Sowohl Der Standard als auch orf.at haben zu Beginn der Sommersaison 2023 über Arbeitskräftemangel auf den Almen berichterstattet. An einem Absatz bin ich besonders hängen geblieben. Auf orf.at betont die Salzburger Landesbäuerin, wie wichtig es sei, «dass man sich intern gut aushilft und durch eine ­große Familie nicht so stark auf externes Personal angewiesen ist».

Die Alm subventionieren

Familienmitglieder helfen Personalkosten einzusparen. Praktikant:innen auch: Die bekommen im Tiroler Oberland für den ganzen Sommer ca. 4.000 Euro. Volle Hirt:innen- und Senn:innenstellen sind hier ­besser bezahlt, aber um die Personalkosten zu stemmen, springen oft die Gemeinden mit Tourismuseinnahmen ein. Im Salzkammergut, wo sich Gemeinden nicht an der Almbewirtschaftung beteiligen, beschränkt sich der Älpler:innen-Verdienst auf die Subventionen, die Bäuer:innen für die ­Alpung erhalten und weitergeben. Was dabei zusammenkommt, entspricht etwa dem Praktikant:innen-Verdienst aus ­Tirol. Die Älpler:innen im Salzkammergut sind also oft almbegeisterte Pensionist:innen oder auch ­freischaffende Künstler:innen, für die sich der Almsommer mit ihren sonstigen Tätigkeiten und Einnahmequellen vereinbaren lässt. «Wir dumpen uns gegenseitig», sagt ­Maria ­Naynar. «Und gleichzeitig versteh ich auch die Bauern. Die können mit den geringen Subventionen ja auch niemanden gescheit zahlen.»
Die Schweiz habe früher angefangen, die Almwirtschaft ordentlich zu subventionieren, meint Maria. Österreich hat zu spät und zu wenig reagiert, bis heute. In der Schweiz gibt es mit zalp, einer Zeitung für Alppersonal, seit Jahrzehnten ein Stellen- und Informationsportal von und für Älpler:innen. In Frankreich wurde vor Kurzem sogar eine eigene Gewerkschaft gegründet, die Hirt:innen vertritt, die Fédération des associations de bergères et bergers de France, kurz FABBF. In Österreich fehlt eine solche Interessensvertretung, und wenn kein Geld aus Subventionen oder Tourismus zur Verfügung steht, lassen sich viele Almstellen nur besetzen, weil emotional mit den Almen verbundene Familienmitglieder, Landwirtschaftsschüler:innen, die ein Praktikum brauchen, und Almbegeisterte die Nicht- oder Unterbezahlung in Kauf nehmen können oder müssen.
Jetzt, da die Wölfe zurückkommen, wird der Ruf nach geschulten Hirt:innen lauter. Damit Wölfe und Berglandwirtschaft miteinander vereinbar werden, braucht es Menschen wie Maria. Für Maria muss aber der Verdienst passen: Einerseits, weil sie weiß, was ihre Erfahrung wert ist, andererseits, weil dieser Verdienst ein Puffer für den Winter sein muss.

Schön allein reicht nicht

Maria und ­Nepomuk erzählen beide, wie hart und schön zugleich die Almarbeit ist. Aber für die, die über Jahre dabeibleiben, reicht das Schönsein allein nicht aus. Wenn es in ­Zukunft weiter Almpersonal geben soll – und davon eigentlich mehr als heute –, dann muss sich an der Bewertungs- und der daran verknüpften Entlohnungsstruktur etwas ändern. Der finanzielle Rahmen muss passen. Und auch die Einbindung von saisonaler Arbeit in die Sozialversicherung muss verbessert werden. Es braucht eine Interessensvertretung und es braucht Fördergelder, um die Almarbeit angemessen zu entlohnen.
Die 8.000 Almen in Österreich werden nicht von heute auf morgen schließen, wenn Gelder und Älpler:innen ausbleiben, denn es gibt die Auffangmechanismen durch Familienarbeit und ­Begeisterte. Aber diese Mechanismen sind nicht nachhaltig, weder für Bäuer:innen noch für Hirt:innen und Senn:innen. Je länger es dabei bleibt, desto mehr Arbeitserfahrung und Almen gehen am Weg langsam ­verloren.

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