Auf dem SozialamtDichter Innenteil

Ein Tatsachenbericht

Ich beziehe Mindestsicherung. Für gewöhnlich langt der Benachrichtigungszettel einige Tage vor dem Ersten des Folgemonats ein. Mit diesem Zettel kann man das Geld dann am Postamt beheben.

Bild: Anton Blitzstein

Am 5.9. 2017 ist für September noch immer nichts da – weder Geld noch Zettel. Die Post sagt, sie hätte es nicht im System, das Sozialamt behauptet, es hätte die Anweisung bereits am 23. 8. 2017 vorgenommen. Telefonisch wende ich mich an einen mir bekannten, recht netten Sozialarbeiter. Er schaut in seinen Computer und bestätigt die Anweisung vom 23. 8. Ich solle noch ein paar Tage Geduld haben, das Geld würde ganz sicher noch kommen. Ein paar Tage später noch immer nichts. Da meine Situation langsam prekär wird, rufe ich verzweifelt wieder den netten Sozialarbeiter an. Er verspricht mir, sich um die Sache zu kümmern. Das tut er auch: Nach einer Weile bekomme ich seinen Rückruf, und er teilt mir mit, dass ich mich auf dem Sozialamt in Erdberg am 14. 9. bei einer gewissen Frau M. einfinden solle. Man würde mir dort das Geld für September «bevorschussen».

Am 14. mache ich mich auf den Weg. Das Sozialamt befindet sich in der Erdbergstraße 228. Der Weg dorthin von der U3 scheint endlos. Es ist das Industriegebiet zwischen 3. und 11. Bezirk. Ich rollere mit meinem Tretroller entlang an leeren Grundstücken und Häusern, an denen es keine Hausnummern gibt. Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich endlich bei der Nummer 228 angelangt. An der Tür des mir mitgeteilten Zimmers Nr. 12 steht ein mir unbekannter Name. Die Tür ist verschlossen und das Zimmer offensichtlich nicht besetzt.

Keine Frau M.

Eine junge Angestellte kommt den Gang entlang. «Wo finde ich bitte Frau M.?», frage ich. Ihre Antwort schockt mich. «Bei uns gibt es keine Frau M.» «Aber», sage ich irritiert «ich habe doch heute einen Termin bei ihr.» Die junge Dame scheint mir meine Verzweiflung anzumerken, denn sie erbarmt sich meiner und sagt «Kommen Sie mit, ich will sehen, was man tun kann.» Ich folge ihr in ein Büro, wo sie in einem PC Nachschau hält. Nach geraumer Zeit sagt sie: «Ach, die Frau M. ist eine Referentin!» Ich folge ihr auf den Gang, wo ich warten muss, während sie versucht, Frau M. aufzustöbern.

Schließlich kommt sie zurück und sagt: «Sie können jetzt kommen.» Ich gehe zu einer Glastür, hinter der eine weibliche Person mit militärisch kurzem Haarschnitt sitzt. Das ist Frau M. Während ich noch dabei bin, sie zu besichtigen, deutet sie mir mit ungeduldigen Handzeichen, dass ich eintreten soll. «Sie sind die Frau Kofler, nicht?» «Ja», sage ich. Sie legt mir drei Zettel hin, die ich zu unterschreiben habe. «So», sagt sie dann, «jetzt gehen Sie vor zur Rezeption. Sie werden dann aufgerufen, aber es wird etwas dauern.»

Ich gehe also zur Rezeption und warte, warte – aber nichts tut sich. Schließlich wende ich mich an ein kaugummikauendes Fräulein an einem Schalter: «Bitte, die Frau M. hat gesagt, ich würde hier aufgerufen, aber das ist schon eine ganze Weile her.» «Ham S’ an Ausweis?» Ich überreiche ihr meinen Ausweis und sie schaut im Computer nach. Dann gibt sie mir den Ausweis zurück und einen Zettel mit der Nummer 1031. Sie sagt: «Wissen S’ was, ich geb Ihnen jetzt eine Nummer, mit der warten S’ wieder im Journalbereich.»

Einfach übersprungen

Ich nehme also meinen Nummernzettel und warte im Journalbereich. Auf einem der Bildschirme kann ich sehen, dass soeben die Nummer 1030 bedient wird. Super, denke ich, ich habe 1031, bin also die Nächste. Nach einer Weile springt die Nummer am Bildschirm auf 1032! Das gibt es doch nicht, denke ich, die haben mich einfach übersprungen! Ich gehe wieder ins Zimmer von Frau M. «Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen an der Rezeption warten!» «Ja», sage ich, «aber die haben mir dann eine Nummer gegeben, und die wurde einfach übersprungen!» Einen Moment lang schaut sie mich entgeistert an, dann blafft sie los wie ein alter Kettenhund: «Gehen Sie zur Rezeption! Re – zep – tion!» Ihr ausgestreckter Arm weist dabei die Richtung. Also trete ich wieder den Weg zur Rezeption an. Das kaugummikauende Fräulein ist immer noch da. «Bitte», sage ich, «die Frau M. hat gesagt, ich muss wieder zu Ihnen.»

«Ham S’ an Ausweis?» Ich gebe ihr also ein zweites Mal meinen Ausweis, sie schaut wieder in den Computer und entschwindet samt Ausweis. Während sie weg ist, erscheinen zwei Frauen, und eine von ihnen spricht mich an: «Sind Sie wegen der Auszahlung hier?» «Ja», sage ich. «Dann kommen Sie mit.» «Moment», sage ich «Ihre Kollegin hat noch meinen Ausweis, den würde ich schon wieder brauchen.» Ich bekomme den Ausweis zurück, dann gehen wir in ein Büro, wo ich wieder drei Formulare unterschreiben muss. Dann bekomme ich endlich das Geld.

Eigentlich überrascht es mich, dass kein Mensch auf diesem Amt sich für so eine unglaubliche Schlamperei entschuldigt. Immerhin war ich zwei volle Wochen ohne Geld und musste daher Schulden machen, um zu überleben! – Aber das ist den Verwaltern der «sozialen Hängematte»* offensichtlich wurscht.

Antonia Kofler verkauft den Augustin seit mehr als 13 Jahren und schreibt autobiografische Texte

*Die völlig absurde Behauptung, die Mindestsicherung sei mitunter eine «soziale Hängematte», stammt aus rechtskonservativen und rechtsradikalen politischen Kreisen, und wird u. a. in Regelmäßigkeit von den sogenannten «Sozialsprecher_innen» der ÖVP wiederholt. (Anm. der Red.)