Auf dem Weg nach Biɫgoraj, 1. TeilDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen 336. Folge

Geschäfte führten Herrn Groll und seinen Begleiter nach Südpolen. Ihr Ziel war die sagenhafte Stadt Biɫgoraj auf der Strecke von Krakow nach Lwiw, dem ehemaligen Lemberg.

Foto: © Mario Lang

Der Dozent hatte sich mit Proviant aus der Wiener Innenstadt und Reiseinformationen eingedeckt, und so waren die beiden über das Tal der Váh in den Osten der Slowakei vorgestoßen. Das Waagtal war durch eine Autobahn hervorragend erschlossen, an den Tankstellen gab es Behindertentoiletten, deren Ausstattung die meisten österreichischen Pendants übertraf. Auch der Espresso war besser. Das legendäre Thermalbad Piestany mit seinen Kliniken und Sanatorien umgehend, fuhren die beiden im Schatten stolzer Burgen weiter in das Tatra-Gebirge hinein. Sie planten, die Waag noch eine Weile zu forcieren, um dann einen Pass beim Grenzübergang Chyzne nach Polen zu nehmen. Von dort nach Biɫgoraj sollten es nicht mehr als drei Autostunden sein.

Groll war die Strecke im Jahr 1980 das erste Mal mit seinem damaligen Gefährt namens «Huschke» gefahren. «Huschke» war ein gebrauchter, klappriger Citroën 2CV in orange-weißer Farbe, der als besonderes Extra ein Sonnensegel aufwies, das den Fahrer bei geöffnetem Faltdach vor der Sonneneinstrahlung schützte. Damals musste man Bratislava noch umständlich durchqueren. Auf diese Weise hatte Groll auch die Vorstadt von Preßburg oder Pozsony gesehen, was ihm durchaus zupass kam, denn ein Verwandter seiner ungarischen Großmutter hatte in Pozsony gewohnt.

Als Groll dies seinem Begleiter erzählte, erwiderte der Dozent, dass die Stadt in ihrer ethnischen Zusammensetzung in den letzten hundert Jahren verarmt sei. Zuerst sei es den Juden an den Kragen gegangen, sie wurden von SS-Brigadeführer Ernst Kaltenbrunner, Mitglied der Burschenschaft Arminia in Graz, und seinen Wiener SS-Helfern Brunner, Novak und Konsorten in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Zu Kriegsende evakuierte die Wehrmacht viele Deutsche, andere flohen vor der Roten Armee nach Österreich, sodass die Stadt, die nicht erst seit Grillparzers Reisetagebüchern allgemein als deutsche Stadt bekannt war (der Name Bratislava ist ja eine erst hundert Jahre alte Neuschöpfung) jetzt ohne das Preßburger Deutsch auskommt. Schließlich verließen auch viele Ungarn die einstige Krönungsstadt der ungarischen Könige. Dass die slowakische Hauptstadt sich nunmehr ethnisch homogen präsentiere und nicht wenige slowakische Politiker darauf auch noch stolz seien, müsse als geschichtlicher Bocksprung gesehen werden, er zeige, was geschieht, wenn man Rassisten und Nationalisten ihren Willen lässt, schloss der Dozent.*

Vor der Abfahrt im August 1981, vier Monate vor Ausrufung des Kriegsrechts, hatte Groll in Traiskirchen bei einem Diskonter große Mengen Lebensmittel eingekauft. Er plante, mit seiner Verlobten Kryszu aus Praga, dem Stadtteil Warschaus östlich der Weichsel, Urlaub in der Masurischen Seenplatte zu machen. Zwei Bekannte Kryszus, Brüder und Offiziere in der polnischen Armee, und deren Frauen würden Paddelboote und Zelte mitbringen. Die Wochen in den Masuren waren dann auch wundervoll, es wurde geschwommen, gepaddelt, getrunken und gegrillt. Und es wurde heftig gestritten – aber nicht mit den Offizieren und deren Frauen, die führten im damaligen Polen kein schlechtes Leben, außerdem war der Vater der Brüder ein hoher Botschaftsangestellter im Libanon, im Lauf der Jahre hatte er im unkontrollierten Diplomatengepäck ein Vermögen an Antiquitäten nach Warschau gebracht, die er in seiner dreihundert Quadratmeter großen Wohnung an Warschaus Prachtstraße präsentierte. Die Streithähne waren Groll und seine Verlobte.

Auf der Rückfahrt nach Wien hatte Groll seine Verlobte eingebüßt, dafür aber einen Berg deutscher Bücher im 2CV. Er hatte seine letzten Zɫoty in der Buchhandlung des DDR-Kulturzentrums umgesetzt. An der polnisch-tschechischen Grenze staunten die Zöllner nicht schlecht, als Groll dem rollenden Bücherlager entstieg. Grolls Wagen wurde auf das Genaueste untersucht, man vermutete Kunstschätze in einem Hohlraum unter der Bodenplatte. Der Bilderschmuggel boomte damals, gewerbsmäßige Diebe, die im Auftrag westlicher Antiquitätenhändler Kirchen ausräumten, begaben sich immer wieder auf lukrative «Einkaufsfahrten». Erst als Groll den Grenzern aus Brechts Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration vorlas, in dem es am Schluss heißt «Darum sei der Zöllner auch bedankt: Er hat sie (die Weisheit) ihm abverlangt», ließen sie den seltsamen Büchernarr unbehelligt seiner Wege ziehen.

*Die Slowakei sei nicht bereit, muslimische Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums in Bratislava. Es würden nur Christen akzeptiert. Auch wenn die Slowakei in dieser Vorgangsweise keine rassistische Diskriminierung sieht, verstößt diese Vorgangsweise gegen geltendes EU-Recht. Eine Sprecherin der EU-Kommission wollte die slowakischen Äußerungen nicht kommentieren. 14. 10. 2018, Handelsblatt

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