Auf der SpielwieseArtistin

Musikarbeiter unterwegs … mit Sängerknaben, Männerbildern und Elektro-Pop

Der Song Ganz Wien ist clean ist ein spannendes Stück Pop-Musik. Von dessen Schöpfer Matthias Liener mit seiner Band Liener ist definitiv noch mehr zu erwarten.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

«Schatzi, wir wern ned nach Berlin ziehn», endet der Song, der auf YouTube, im Juni veröffentlicht, bislang gut an die 20.000 Views hat. Im Lauf des Gesprächs mit dem 1991 im niederösterreichischen Mistelbach geborenen Wahl-Wiener Musiker wird mir unter anderem einmal mehr klar, wie weit weg mein Verständnis, meine Erfahrungen mit Musikmachen und -betrachten mitunter von den Wirklichkeiten jüngerer Menschen im selben Feld sind. Um Streaming,
Video-Views und die Wichtigkeit von Social-Media-Präsenz, wobei Facebook längst die Geriatrie-Abteilung davon ist, weiß ich theoretisch, praktisch ein bisserl schon noch Bescheid. Aber ein wenig wie mein Großvater selig, für den ein Essen nur ein Essen war, wenn fleischhaltig, so richtig für voll nehmen, als «echt», kommt sie – bis zu diesem Text uneingestanden – nur an bei mir, wenn sie den ewig gleichen Kreislauf von Livespielen und physischem Tonträger (und, sind wir uns ehrlich, als solcher geht nur Vinyl!) durchläuft. Was natürlich Bullshit ist, und das nicht nur, weil Millionen, wahrscheinlich Milliarden unverkaufter Tonträger ja auch ein Faktor unserer sich fatal klimawandelnden Zeit sind. Wie steht es eigentlich um den ökologischen Fußabdruck von Plattensammler_innen?

Taugt ma owa.

Nicht nur wegen dem Spritzer, den wir, dialektisch im Dialog mit der ersten Zeile von Ganz Wien ist clean, «wir trinken keinen Alkohol», zu uns nehmen, macht mir das alles aber keinen Kummer. Für Matthias, der ab dem Alter von 8 Jahren mit den Wiener Sängerknaben 6 Jahre durch die Welt tourte – die Stimme sein erstes, und wenn wir wollen, sein nachhaltigstes «Instrument» –, stellt sich keine solche Legitimitätsfrage, woher und warum auch? Seine Singles (Bildmusikarbeiter Lang und Krispel trinken gleich noch einen Spritzer, weil dank der Begegnung mit Liener nun endgültig bei uns angekommen ist, dass im Zeitmusiksprech damit nicht zwingend Schallplatten gemeint sind, die sich 45-mal in der Runde drehen) als Liener, Rosen und Mohn, Zuckerherzerl, eben Ganz Wien ist clean und eine demnächst veröffentlichte vierte, sind samt launiger Bewegtbebilderungen für sich taugliche Pop-Statements. Völlig unabhängig davon, ob sie je, wie Matthias in den Raum stellt, gesammelt als Album erscheinen, und eigentlich auch davon, ob sie von ihm auf Bühnen interpretiert werden – was Matthias mit Liener als inklusive ihm sechsköpfige Band, die sehr bewusst seinen Familiennamen trägt, von wegen «ganz meins», sehr wohl tut, zeitnahe zu unserem Gespräch etwa beim Waves-Showcase-Festival (noch so ein Begriff, der mich auf Distanz gehen lässt). Dabei Liener als Sextett die Antwort auf die Frage, wie Live-Performance und eine produzierte Musik (vulgo «Spielen mit Backing Tracks») im Konzert-Setting am besten zusammengehen, wie der Ansatz des vielfältig musikalischen Matthias, dessen Spektrum von Klassik bis Wienerlied, von Oper bis Andy Lee Lang und weiter (Schauspiel!) reicht, für sein Herzensprojekt umzusetzen ist: «Alles, wo ich das Gefühl habe, da fühle ich mich wohl damit.»

A bisserl Falco geht immer.

Ein großer Spaß an Ganz Wien ist clean ist, wie der Song unter anderem das Paradoxon, dass ein so bewusst geschichtsvergessen gemachtes Land wie Österreich (Massenmörder-Katholen-Monarchie, Austrofaschismus, Nazi-Austria, ÖVP) so sehr auf seinen ein wenig anderen popkulturellen Erfolgsgeschichten pickt (Cordoba, Falco), zu Pop macht, eine geschickte Referenz wird oft selbst zur Referenz. Matthias Liener weiß, was er tut, und tut es gern und gut. Dabei sei noch auf seine Bachelorarbeit an der Universität Für Musik und Darstellende Kunst hingewiesen, in der er Männerbilder in der österreichischen Popularmusik anhand des Bühnengebarens von Bilderbuch- und Wanda-Sänger untersucht, nach dem Konzept der «Hegemonialen Männlichkeit» von Raewyn Connell. Was den leicht zu überprüfenden – Rechner, Suchmaschine, Enter, Augen, Ohren – Schluss nahelegt, dass Matthias – übrigens nicht nur in der Musik geschult und ausgebildet, sondern auch in Elektrotechnik! – sich zum eigenen dargestellten Männerbild ein bisserl was überlegt. Im guten, spannenden Pop war eben immer schon mehr drinnen, als mensch beim Hören checken muss.

www.liener-musik.at
Liener live: 8. 10., Wien, ­Location TBA