«Auf einem guten Weg»vorstadt

Lokalmatadorin

Nasrin Haydari freut sich: Sie hat soeben die Pflichtschule erfolgreich hinter sich gelassen.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Im Schlosspark Schönbrunn erzählt sie von einem weiteren Etappensieg in ihrem an Ortswechseln reichen Leben. Gestern erst feierte sie mit ihrer Familie und ihrem Verlobten den 18. Geburtstag, nur zwei Tage zuvor hat sie die Pflichtschule mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen.
«Ja, ich bin stolz», sagt Nasrin Haydari dort, wo der Schönbrunner Flanierweg hinauf zur Gloriette führt. «Doch das ist erst der Anfang, ich habe noch viel vor in meinem Leben.»

Rückblick.

Ihr Leben verlief bisher deutlich unwegsamer als für die meisten 18-Jährigen in dieser Stadt: Geboren als Zweite von sechs Schwestern in dem Dorf Jaghori nahe der zentralafghanischen Stadt Ghazni, 100 Kilometer südwestlich von Kabul, verlor sie früh ihre Kindheit: «Als ich zwölf war, mussten wir uns von meinem Vater und auch von meinen Großeltern verabschieden.»
Der Vater schaffte es nach einer Odyssee nach Wien, ihre Großeltern blieben im Dorf. «Meine Mutter, meine Schwestern und ich flüchteten in den Iran.»
Eine Passantin echauffiert sich nasal, dass man in Schönbrunn «gefälligst» rechts spaziert. «Schließlich sind wir hier in Österreich.» Sie liefert der jungen Frau unfreiwillig das nächste Stichwort: das Unrecht der Herrschenden.
Im Iran durften die afghanischen Mädchen nicht zur Schule gehen, erzählt sie. «Meine ältere Schwester und ich haben daher zwei Jahre lang in einem Friseursalon gearbeitet. Unsere Vorgesetzten waren gut zu uns, wir konnten viel von ihnen lernen, auch Make-up.»
Mit dem Geld, das die beiden minderjährigen Schwestern verdienten, lebte eine Zeitlang die ganze Familie.
«Wir haben so viel geweint», sagt die 18-Jährige dann. Denn eines Tages rief ihr Vater aus Österreich an, und eröffnete, dass sie schon bald zu ihm kommen könnten. «Das waren good news, denn wir hatten im Iran nicht so ein gutes Leben.»

Ausblick.

Nasrin Haydari hat viel zu erzählen, auch über die Lehrer_innen des UKI, des Unterstützungskomitees zur Integration von Migrant_innen: «Sie waren alle sehr nett, sie haben uns viel geholfen.»
Ihr mussten sie nicht viel helfen, sie hat alle Prüfungen locker bestanden, in den Hauptgegenständen wie Mathematik oder Deutsch sogar auf sehr gutem AHS-Niveau.
Der Blick von der Gloriette hinunter auf den Westen der Stadt ist jedes Mal schön, auch für Nasrin Haydari. Er inspiriert sie, einen Ausblick zu wagen. Sie ist selbstbewusst genug, um zu wissen, dass ihr die Welt jetzt offen steht.
Sie hat sehr konkrete Pläne: «Zunächst möchte ich – so wie meine ältere Schwester – den Führerschein schaffen. Parallel suche ich eine Lehrstelle im Gesundheitsbereich.»
In der Krankenpflege zu arbeiten ist aber nur eine weitere Etappe auf ihrem Weg zum übergeordneten Ziel. Die Spaziergängerin schließt kurz die Augen, sagt dann: «Ich möchte Chirurgin werden.» Und auf Nachfrage: «Ja, vielleicht gibt es in Afghanistan auch wieder Frieden. Dann möchte ich mein Wissen und meine Erfahrung mit meinen Landsfrauen teilen.»

Distanz.

Lange muss sich Nasrin Haydari auf dem Gloriette-Hügel nicht ausruhen. Mit ihrem Freund Amiri Abdul Raseq, der für Österreich soeben eine Medaille beim Kickboxen gewonnen hat, betreibt sie regelmäßig Sport. Und sie malt, und sie schreibt. Zuletzt hat sie für das vom UKI initiierte Buch eine welt ohne distanz zwei berührende Beiträge verfasst.
Ein Satz, den sie zu Papier gebracht hat, lautet: «Manche Entfernungen sind hart und unerträglich. Und können das Herz aus Steinen brechen und weh tun.» Wer weiß das besser als diese junge Frau! Als Kind wurde sie nicht nur vom Vater, sondern auch von ihren Großeltern getrennt. Wird sie Oma und Opa noch einmal in ihre Arme schließen können?
«Wien ist inzwischen meine Heimat geworden», sagt Nasrin Haydari beim flotten Hinuntergehen. Akzentfrei, auch frei von grammatikalischen Fehlern. Und das nach nur zwei Jahren Deutschunterricht.
Unten angekommen, dreht sich Nasrin Haydari noch einmal um und blickt hinauf. Dazu passt ein weiterer Satz, den sie für das Distanz-Buch geschrieben hat: «Wenn ich auf den Berg schaue, ich sehe ihn sehr groß und schön, aber, wenn ich zu diesem Berg fahre, dann sehe ich diesen Berg sehr klein.»
Ihre Eltern sehen sie und ihre fünf Schwestern ganz groß. Der Vater arbeitet hart, er ist für eine Personalleasingfirma tätig, als Küchenhelfer oder auch als Hilfsarbeiter auf Baustellen; die Mutter ist bei ihren Kindern. «Wir sind alle auf einem guten Weg», sagt die Zweitälteste. Die Distanz schmilzt, wie Schnee in der Sonne.

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