Färbt die zunehmend fremdenfeindliche/rassistische Stimmung im Land auch auf die nachfolgenden Generationen ab? Der Erfahrungsbericht von Hans Bogenreiter lässt so einen Schluss zu.
Illustration: © Karl Berger
Der kleine schwarzhaarige Bub, begleitet von seinem blonden Freund, stellt sich provokant vor das Mädchen mit dunkler Hautfarbe, das gerade am Spielplatz herumturnt, und bemerkt mit herausforderndem Blick: «Da bist gacka.» Sunny*, die ich auf den Spielplatz begleitet habe, sieht ihn nur traurig an. Ich eile herbei und stelle den Bub zur Rede. Was wiederum der Vater des Blonden bemerkt, sich dazugesellt und nach dem Grund des Streitgesprächs fragte. Ich erkläre ihm, dass ich nicht dulden wolle, dass ein Kind einfach nur wegen der Farbe seiner Haut beleidigt wird. Der Vater beschwichtigt: «Sind doch noch Kinder.» Ja, genau, und so fängt es an, wenn Eltern bei der Erziehung versagen und ihr rassistisches Gedankengut einfach auf ihre Nachkommen übertragen. In etwa so erkläre ich dem Herrn den Grund meines Einschreitens – ob es auf fruchtbaren Boden fiel? Das Gleiche gilt für den kleinen Buben und seinen älteren Bruder, beide wohl wegen ihres Akzents und auch nicht gerade hellen Haut aus einem südlichen Land, denen ich erklärte, dass man andere Menschen nicht einfach so derart beleidigen darf.
Meine Autokorrektur gibt dann zu bedenken: Muss das sein, dieses öffentliche Moralisieren? Lasse ich da nicht außer Acht, wie oft das Zusammenleben im Normalfall auch zwischen Menschen von ganz unterschiedlicher Herkunft und Kultur funktioniert? – Ja, ja, aber ich weiß doch aus eigener Erfahrung wie weh es tat, als Kind und Jugendlicher als «Bauer» verunglimpft zu werden – sehr zu Lasten meines Selbstbewusstseins. Sogar noch als Erwachsener zucke ich (Mimose?) noch zusammen, wenn dieser Begriff abfällig verwendet wird. Also hadere ich auch mit der inneren Stimme, die manchmal kaum zu vernehmen ist und dann wieder so forsch zum Handeln auffordert. Es ist nicht einfach über den Dingen zu stehen, wie es Georg Danzer besingt: «Hupf in Gatsch und schlog‘ a Wön, oba tua mi do net gwön.» Und dann fällt mir ja ein, dass Sunny, die ich als weißer Ruheständler öfters betreue, in ihrem Umfeld, im Kindergarten und jetzt in der 1. Klasse Volksschule, viel Zuspruch erhält und von der Klassenlehrerin insbesondere für ihre soziale Kompetenz sehr gelobt wird. Andererseits bemerke ich, wie sie oft schlagartig traurig wird (die grundsätzlich, nomen est omen, ein sehr sonniges Gemüt hat), wenn sie Kritik oder gar Hänseleien ausgesetzt ist. Hinterlassen die rassistischen Anwürfe doch Spuren, die sich auf diese Weise äußern? Jedenfalls reflektiert sie Erlebtes bereits sehr gut, davon erlangte ich schon mehrmals Kenntnis, einmal gereichte es mir nicht gerade zur Ehre: «Aus dem Suppenteller trinken,» bemerkt Sunny unmissverständlich, «das darf man nicht. Das haben wir im Kindergarten gelernt.» «Ja, da hast du natürlich recht, aber zu Hause kann man es schon machen.» Ich denke und hoffe, dass es damit getan ist, sie weiter ein Kinderprogramm schauen wird und ich doch noch … Sunny durchschaut aber meine neuerliche Absicht, kommt zu mir an den Tisch und erklärt: «Ich bleibe hier stehen und beobachte dich – (Pause) – wie ein Chef.» Und wenn mir in ihrer Gegenwart bei einem Missgeschick ein «Scheiße» herausrutscht, quittiert Sunny dies mit einem kategorischen: «Das sagt man nicht.»
Im Dehnepark
Die rassistischen Angriffe kehrten jedenfalls beinahe regelmäßig wieder. An einem sonnigen Wochenende im Dehnepark urteilte ein süßes blondes Mädchen unverblümt: «Du bist schiach. – Ich bin wenigstens weiß». Sunny konterte aber diesmal mit Bestimmtheit: «Denkst du, ich habe mir diese Haut selbst gemacht?» Es scheint so, dass Mädchen untereinander mehr kommunizieren, während Buben eher auf Stärke setzen. Ein paar Tage später: Auf einem Spielplatz im Stadtpark spielte Sunny einige Tage später mit ihrer Freundin, die auch eine afrikanische Mutter hat. Ein etwa gleichaltriger Bub, mit kaum hellerer Haut, provozierte die beiden. Weinend kam Sunny plötzlich zu mir gelaufen und berichtete stockend, sie sei von diesem Buben getreten worden. Ich versuchte sie zu beruhigen, wird schon nicht so schlimm gewesen sein, ich hatte ja nichts gesehen, da tauchte auch schon dieser Bub auf, vehement stritt er alles ab und stellte als Zeugen seinen Freund vor, der aber stumm blieb. Als aber der österreichische Vater des zweiten Mädchens, mit dem Sunny gerade gespielt hatte, dem Übeltäter darlegte, dass er den Tritt (er verglich diesen mit einer zumindest gelbwürdigen Grätsche eines foulspielenden Fußballers) gesehen hätte, überlegte der Bub kurz, um dann flugs mit seinem Freund das Weite zu suchen. Ein andermal war ich mit Sunny und dem etwas jüngeren Sohn eines Freundes auf einem Spielplatz, wo ein kleiner Bub offensichtlich gerade erst Laufen gelernt hatte, und er lebte diesen Fortschritt geradezu euphorisch am Spielplatz aus – immer wieder herzerfrischend. Der Kleine lief zielstrebig zu unserem offenen Keks-Sackerl, seine Mutter mit Migrationshintergrund hielt ihn aber im letzten Moment zurück und machte ihn darauf aufmerksam, dass man solche Sachen nicht einfach nehmen darf. Der Kleine hielt nur kurz inne, dann lief er weiter zwischen den Kindern hin und her, steuerte auf Sunny zu und schlug sie. Diesmal blieb die Mutter untätig und ich tröstete Sunny, die perplex und regungslos verharrte. Auch ich war betroffen und baff. Dann begann die innere Stimme zu nörgeln: Jetzt bleibst stumm, duldest die frühkindliche Förderung zum Macho & Rassisten?
Verantwortung der Eltern
Ich bin mir trotzdem nicht sicher, suche Rat, gute Freunde meinen dazu: O Gott, ständig bist du auf dem Weltverbesserungstrip. Don`t worry: Die Kinder, vor allem die Buben, sind nun mal so. Aber sorry, Mädchen schlagen oder treten war immer ein generelles No-Go. Einig werden wir uns bei der Verantwortung der Eltern, und die afroamerikanische Musikerin und Schauspielerin Janelle Monáe bringt es auf den Punkt: «Wir Frauen gebären die Kinder, also müssen wir uns darum kümmern, sie mit den richtigen Werten aufzuziehen. Von klein auf muss Männern Respekt für Frauen vermittelt werden.» (Die Zeit, Nr. 19/2018). Wobei sie aber bestimmt nicht meint, die Väter außen vor zu lassen, insbesondere was auch Gewalt in der Familie anbelangt, was leider auch in afrikanischen Gemeinschaften allzu häufig toleriert bzw. sogar erziehungsimmanent ist.
Zuletzt werde ich noch von Neuen Medien, die ich lange Zeit vehement verabscheut hatte, in Beschlag genommen. Ist es nur ein Zufall, dass ich auf die so untergriffigen Postings zur Bestellung von Dr. Mireille Ngosso zur stellvertretenden Bezirkschefin im ersten Wiener Gemeindebezirk stoße? Die Ärztin und SP-Politikerin kam als Dreijährige aus dem Kongo nach Österreich, das Gymnasium gab sie auf, weil sie das Gefühl hatte, gemobbt zu werden, später holte sie die Matura nach, jobbte als Kellnerin und studierte Medizin. Mehr als beachtlich ihr Lebensweg, wobei mir ihre Erwähnung, dass sie in der Volksschule keine Benachteiligungen erfahren hatte, auffallen. Hat sich hier etwas zum Schlechteren verschoben bzw. könnte es sein, dass sich rassistische Erfahrungen in diesem Alter besonders tief eingraben? Als psychologischer Laie tendiere ich in dieser Richtung. Via WhatsApp erhalte ich ein Foto vom Abschluss des Schuljahres: Sunny freudestrahlend mitten drin mit einem Blumenstrauß und im Dirndlkleid. Trotzdem beschleicht mich wenig später das Gefühl, das Bild könnte schon ein paar Kratzer abbekommen haben. Auf Facebook lese ich: Eine junge Frau wird auf der Fahrt zu einem Heurigen im Juli übel angepöbelt, u. a. mit: «Jetzt habe ich alles gesehen – eine Negerin im Dirndl. Das kann ich jetzt abhaken.» Die in Bayern Geborene, nun in Wien heimisch Gewordene fühlt sich tief verletzt, ausgegrenzt bzw. wie eine Aussätzige. Verständlich, denn von Ausländer_innen wird doch gefordert, sich zu integrieren, wenn aber eine Afrikanerin Tracht trägt, geht sie zu weit? Dabei nehmen wir Weißen doch selbstverständlich in Anspruch, bei Kleidung, Haartracht, Hautdekoration etc. Anleihen bei anderen Kulturen zu nehmen und wollen deswegen bestimmt nicht angeblafft werden. Die als «Schwarze in Tracht» Angestarrte und Beleidigte wehrt sich jedenfalls, Facebook sperrt aber ihren berechtigten Aufschrei, der über Printmedien doch an die Öffentlichkeit gelangt. Letzten Endes werden sowohl Sunny und andere mit dunkler Haut Heranwachsende lernen müssen, mit Pöbeleien und Übergriffe entsprechend umzugehen, ohne Schaden zu nehmen. Dabei wäre eine Prophylaxe doch so einfach: Teach the children well (frei nach Crosby, Stills, Nash and Young), ohne Wenn und Aber – auch was die Farbe der Haut betrifft.
* Name geändert