Auf ins Prekariat?tun & lassen

Das 7. Symposion Dürnstein fragte nach der Zukunft der Arbeit

Bewegen wir uns hin zu einer globalen Gesellschaft der Überflüssigen? Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Arbeit und Gesellschaft aus? Diskutiert wurden diese Fragen kürzlich beim Symposion Dürnstein, das unter dem Titel Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen in der Wachau stattfand. Martina Handler hat die Überlegungen zusammengefasst.

Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Daran wird auch die Digitalisierung nichts ändern. Die Fragen, die aber auch zukünftig aktuell bleiben werden: Wer kann von den Einkünften seiner/ihrer Arbeit leben? Wer macht die schlecht bezahlten Tätigkeiten? Und wem bleibt nur die Ehre des Ehrenamts? Oder nicht ­einmal die?

Arbeit ist schon lange zur gesellschaftlichen Pflicht geworden. Die Zurichtung auf Nützlichkeit und Produktivität ist Maxime von klein auf, in der Schule, im Studium, im Job. Arbeit ­bestimmt den gesellschaftlichen Status, ist wesentlich für die Identität und für das Eingebundensein in die Gesellschaft. Die einen arbeiten sich krank – Dauerstress und Burnout sind fast schon ehrenhafte Zuschreibungen für die freiwillig oder unfreiwillig unermüdlich Tätigen. Andererseits gibt es immer mehr, die keine Arbeit, oder zutreffender: keine Erwerbsarbeit haben.

Verluste.

Mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung werden, so führte der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger aus, die Arbeitsplätze ganzer Branchen wegbrechen: Besonders stark betroffen sind die Produktion, der Handel und der Transport. Die Produktion funktioniert schon heute weitgehend ohne Menschen. Dort wo früher in Fabriken 3000 Menschen beschäftigt waren, reichen heute 30 aus: zur Überwachung der Abläufe und zur Qualitätskontrolle. Indem wir in der Bank oder im Supermarkt immer öfter nur mit Maschinen interagieren, indem wir immer mehr online einkaufen, verschwindet bereits jetzt ein großer Teil der Arbeitsplätze im Handel. Mit den selbstfahrenden Autos und Zügen, die vielfach bereits in Erprobung sind, werde, so Binswanger, in kurzer Zeit die gesamte Transportbranche von drastischem Arbeitsplatzverlust betroffen sein, etwa Zustellservices, Taxigewerbe, Straßenbahn-, U-Bahn-Fahrer_innen und Lokomotivführer_innen. Trifft es anfangs eher die geringer Qualifizierten, werden nach und nach Menschen aller Qualifikationsstufen betroffen sein. In der Schweiz verschwinden seit einigen Jahren vor allem die Jobs für Menschen mit mittleren Qualifikationen, so der Ökonom.

Neue Jobs.

Natürlich wird es auch Bereiche geben, wo neue Jobs, neue Arbeitsplätze entstehen. Wo Abläufe sich verändern oder komplexer werden, da entstehen auch neue rechtliche Probleme, etwa Fragen der Haftung bei Unfällen. Es wird Bedarf nach mehr Administration geben, nach Controlling und Evaluierung. Neben Jurist_innen, IT- und Datenspezialist_innen werde es im Gesundheits-, im Erziehungswesen und in der Forschung Beschäftigungszuwächse geben. So weit die Prognose, allerdings noch recht vage abgesichert: Je nach Studie wird ein Verlust von insgesamt 10 bis 50 Prozent der Arbeitsplätze vorausgesagt, räumt Binswanger ein. Was sich jedenfalls seit längerem spürbar verändert hat, sind die Arbeitsbedingungen. Der Blick in die Vergangenheit bringt Aufschluss über große Entwicklungslinien und zeigt auch, dass wir uns nicht die Zwangsläufigkeit von Entwicklungen (nach Thatcher: There is no alternative!) weismachen lassen dürfen.

Die Historikerin Andrea ­Komlosy machte deutlich, dass die Zeit der ­sozial- und arbeitsrechtlich abgesicherten Arbeitsverhältnisse, die eine Errungenschaft der Arbeitskämpfe der entstehenden Arbeiter_innenbewegung seit den 1880er-Jahren waren, zu Ende geht.

Prekär.

Mit dem Argument der notwendigen Kosteneinsparung wurde in den letzten 20 Jahren flexibilisiert und dereguliert. Damit halten prekäre Arbeitsformen in den frühindustrialisierten Ländern wieder Einzug: Teilzeitjobs, Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge nehmen zu, «selbstständige» Bauarbeiter_innen und Pfleger_innen arbeiten zu Niedrigstlöhnen. Firmen wie Foodora, Airbnb und Uber profitieren von der hippen Start­up-Kultur der Vermittlung von Dienstleistungen übers Internet. Die Folgen: hemmungsloser Preiskampf, Vernichtung abgesicherter Arbeitsplätze und Selbstausbeutung der Arbeitenden, die alle Risiken selber tragen. Komlosy zeigte auch, wie in der Vergangenheit und heute prekäre Arbeitsverhältnisse «funktionieren»: Die so gering Entlohnten können nur deshalb überleben, weil im Hintergrund meist weibliche Familienangehörige unbezahlt oder «dazuverdienend» den Haushalt führen, Kinder großziehen, Kranke versorgen, Alte pflegen. Und damit dem/der Lohnarbeitenden, aber vor allem den Unternehmer_innen Kosten sparen helfen. Das, was im Mikrokosmos der Haushaltseinheit oder einer Gesellschaft funktional ist, ist es auch global. Unsere Lebensweise im Westen ist nur aufrechtzuerhalten, weil Arbeitskräfte im globalen Süden unsere Konsumgüter unter extrem prekären Bedingungen produzieren. Uli Brand, Autor des Buches Imperiale Lebensweise, macht deutlich, dass es nicht um Verzicht und Anklage geht, aber um Übernahme von Verantwortung. Tenor: Unsere Lebensweise sei nicht verallgemeinerbar, aber das Recht auf ein gutes Leben müsse global verallgemeinerbar sein.