Musikarbeiter unterwegs … in Richtung besserer Tage
Enes und Esra Özmen sind das Duo EsRAP. Seit Jahren formulieren die Enkel_innen türkischer Gastarbeiter aus Ottakring inhaltlich
dynamischen und originären Hip-Hop. Nun erscheint ihr Debütalbum. Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang
Das Timing ist manchmal ein eigenwilliger Hund. So erscheint dieser Artikel justament die Woche, nachdem Tschuschistan, so der Titel des beim deutschen Label Springstoff verlegten ersten Albums von EsRAP, am 28. 6. im Yppenpark mit einer «AlbumRelease-Demoparty» präsentiert wird. Samt Gäst_innen wie der Band Gasmac Gilmore und Kid Pex – auf dem Album zu hören – und dem Wiener Beschwerdechor. Aber Tschuschistan lohnt gewiss über diese Präsentation und diesen Sommer hinaus das Hören, und EsRAP werden sich garantiert noch oft live manifestieren.
Der Tschusch ist da/Ignorant in der eigenen Stadt.
So treffen wir EsRAP mit leicht gedrängtem Zeitbudget am Yppenplatz, weil die Geschwister nach unserem Termin in den Rabenhof müssen, dort ist für September eine weitere gemeinsame Sache mit dem Beschwerdechor im Planungsbusch. Am Weg zum Interview rekapituliere ich meine EsRAP-Wahrnehmung aus dem (sozial-)medialen Augenwinkel im Kontext der Donnerstagsdemos und der letzten beiden Wiener-Festwochen-Eröffnungen. Vor Jahren waren Esra Özmen und ich im Fluc auf dem Podium einer Diskussion über elektronische Musik, mit dem Schwerpunkt Electronic Beats Festival. Das war, wie so viele solcher Podiumsdiskussionen, recht bizarr, weil unter anderem Künstler_innen, die dabei aufgetreten sind, reklamierten, dass die Gagen zu niedrig gewesen seien. Esra hat dann völlig gelassen und klar einen recht nachhaltigen Reality-Check in den Kulturraum in Riesenradnähe gestellt: «Meine Brüder und Schwestern wissen gar nicht, dass es das gibt, auch vom Popfest nicht.» Esra rekapituliert ihren Zugang zu Hip-Hop: «Mit 14, 15 erste Berührungspunkte mit türkischem Hip-Hop in der Türkei, Freunde, die dort Breakdance machten und dann in Wien Mevlut Khan mit Ottakringerstraße (2007), noch auf den alten, lauten Handys gehört.» Esra hat zu diesem Zeitpunkt schon geschrieben, Gedichte. Im 20. Bezirk erste Workshops und Hip-Hop als Ausdrucksmittel junger Türken, «die Blutsbrüder, die 20er-Bande …» Es fallen noch andere Namen, und mir wird bewusst, wie wenig, eigentlich gar nichts, ich von dieser Szene weiß oder mitbekommen habe. Womit ich bestimmt nicht alleine bin.
Kabadayi (Die Tage werden besser).
Die heutige Kunststudentin definiert diesen Hip-Hop als Artikulieren und Entwickeln eines Selbstbewusstseins ihres entsprechenden Umfelds der dritten Generation, was sie auch in ihrer Diplomarbeit dokumentiert hat – «die hatten halt Videos, aber dass man über sie geschrieben hat, ist kaum passiert (…) die Migrantenkinder wussten es, das war unsere Sprache.» In einem Jugendzentrum wurden die Gedichte – «Deutsch, Türkisch, gemischt» – zu Rap. Aus dem Gedanken, diesem Tun eine eigene musikalische Note zu geben, wurde Enes Özmen Teil von EsRAP. Er brachte als Sänger die «Arabeske» ein, eine orientalisch-türkische Musikform von sentimentalen Liedern, inhaltlich zentral dafür die «leidende Liebe und den Schmerz», «die Geige muss weinen». Enes singt uns Alle meine Entchen so vor, und schon ist den Musikarbeitern klar, was Arabeske ist. Esra stellt einen Kontext her: «Arabeske hat uns spüren lassen, dass wir leiden, Hip-Hop hat uns eine Möglichkeit gegeben, dagegenzuhalten, das ist die Möglichkeit zum Protest.» Tschuschistan ist unter anderem ein lustvolles Protest-Album, wobei der Versuch, in der Türkei aufzunehmen, scheiterte, auch das klassische Hip-Hop-Schema «8-16-8-16», das ihnen viele ihrer Beat-Produzenten lieferten, war EsRAP zu wenig. EsRAP suchten und fanden ihren individuellen Ausdruck. Kabadayi etwa spielt mit Autotune, ein fixer Bestandteil aktuellen Hip-Hops, und behandelt Genderfragen. Inhaltlich geht das Album in die Breite, untersucht diverse Milieus und Communitys. «Milieu – der Hintergedanke war: Man ist einfach nicht glücklich unter FPÖlern … mach dich stärker.» Wild Orient spielt mit den Rap-Klischees und bringt die Künstler_innenszene hinein, «A Wiener Helal» handelt von der 90er-Generation: Enes erzählt davon, dass sie sich noch an eine Zeit vor der Mobiltelefonie erinnern und wie sich die Kultur dadurch verändert hat, wie Besuche heute vorab angekündigt werden, die früher einfach spontan erfolgten. Die Texte wird es auf der Homepage zu lesen geben. Der Zuspruch für EsRAP ist verblüffend. Esra: «Unlängst war ich bei einer Hochzeit, und da haben mich viele 50-, 60-jährige ‹Kopftuchfrauen› angesprochen, die feiern das voll … ‹Esra, schreib doch einen Text über mein Leben!›» Aus solchen Erfahrungen speist sich ein reiches Album, dessen positive Energie ansteckend ist, wie auch aus dem Info zu lesen ist: «Keine Sorge, Tschuschistan ist und bleibt ein Land der Lebensfreude! Der Tschusch ist immer da, bleibt es auch und die Tage werden besser!»
EsRAP: Tschuschistan (Springstoff)