Auf renovierter ZeitreiseArtistin

Robert Kaldy-Karo ist Direktor des soeben renovierten und neu eröffnenden Circus- und Clownmuseums Wien. Er forscht aber nicht nur am Schreibtisch, sondern feierte erst kürzlich sein 50-jähriges Bühnenjubiläum als Zauberkünstler.

Aus der Not eine Tugend zu machen, wäre ein Zaubertrick, der niemand beleidigen würde – Robert Kaldy-Karo scheint ihn zu beherrschen. «Statt in den Corona-Zeiten hinter verschlossenen Toren zu verzweifeln, haben wir die Zeit genutzt, um das Museum komplett umzubauen und nun auch sehr viele neue Exponate auszustellen», erzählt der Museums­direktor – mit fast schattenspendend buschigen Augenbrauen und heute leger und der Hitze entsprechend mit Hawaiihemd –, wobei die neuen Ausstellungsstücke nicht «neu» im eigentlichen Sinn sind, sondern oft jahrzehntelang im Archiv ihren Dornröschenschlaf gehalten haben. «Ich hatte im Lockdown die Zeit, das Archiv total zu überarbeiten, und hab sehr viele Materialien gefunden, von denen wir gar nicht gewusst haben, dass sie überhaupt in unserem Besitz sind.»
Der Museumsstandort am Ilgplatz im Stuwerviertel passe nicht nur wegen der Praternähe wie die Faust aufs Auge, erklärt Kaldy-Karo: «Stuwer war eine legendäre Praterdynastie, die ab Ende des 18. Jahrhunderts für spektakuläre Feuerwerksshows sorgte.» Wo heute das Museum steht, war früher das Munitionslager, so Kaldy-Karo, und «die Wiener pilgerten hierher, denn man konnte ihre ‹Raketerln› kaufen».
Von Stuwers Lager ist nichts mehr zu sehen, stattdessen ist das Museum seit Corona mit neuem Boden, frisch ausgemalten Wänden und verschiedenen Drapierungen an der Decke ein stimmiger Zauberkasten, der einem das Gefühl gibt, irgendwo zwischen Zirkuszelt und Wunderkammer gelandet zu sein: Man erwartet einen Rekommandeur, eine Dame ohne Unterleib oder einen Entfesselungskünstler hinter der nächsten Ecke lauern. «Bei der Neugestaltung hat sich mein Co-Direktor Michael Swatosch mit verschiedenen künstlerischen Handwerkern ausgelassen. Das Ganze soll zurückführen in eine andere Zeit, in der Zirkus, Varieté und Cabaret noch ihren Ruhm genossen haben.» In eine Zeit also, in der das Museum seinen Ursprung hat: Bereits 1927 präsentierte der Autor, Clown und Journalist Heino Seitler seine Privatsammlung, auf der das heutige Museum beruht, der Öffentlichkeit. Sie ging 1968 durch eine Schenkung an die Stadt Wien und gehört nunmehr mit dem Wiener Circus- und Clownmuseum zur ARGE der Bezirks- und Sondermuseen.

Früher nur Hochkultur gesammelt

Trotz der Fülle an Material – von Schildern und Plänen über Kostüme bis hin zu Ringelspielartefakten – wirken die Räumlichkeiten sehr locker und luftig. «Wir haben sehr viele Gegenstände freistehend, damit man ein authentisches Feeling bekommt», sagt Kaldy-Karo und zeigt auf einen massiven Pferdekopf aus Stein, der an der Wand hängt: «Der stammt aus dem Zirkus Renz, der war in der Krönungsattika oben und wiegt um die 60, 70 Kilo. Wir haben hier noch den Direktionsstuhl, aber sonst ist aus dem Renz nichts übrig geblieben.» Wie das, handelt es sich doch beim Zirkus Renz um einen der berühmtesten Zirkusfestbauten, die in Wien je gestanden sind? «Man hat früher nur Hochkultur gesammelt und sich nicht um die Kultur der normalen Menschen gekümmert», erklärt Kaldy-Karo, «nur einzelne Liebhaber haben solche Gegenstände aufgehoben, und viele davon sind im Laufe der Zeit zu uns gekommen. Der Steinkopf vom Renz etwa, den hat damals ein interessierter Wien-Historiker aufgehoben und in seiner Wohnung hängen gehabt – und irgendwann hat er völlig aus dem Nichts gemeint, wir sollen ihn holen.»
Diese Gegenstände werden niederschwellig und professionell gleichzeitig präsentiert, und bei Gelegenheit erzählt das wandelnde Lexikon Kaldy-Karo im Vorbeigehen zu den Objekten eine eigene Geschichte: sei es nun über die Ziehharmonika von Fritz Hakl, der es als «Liliputaner» von der Praterschaubude ins Burgtheater und in die Volker-Schlöndorff-Verfilmung von Günter-Grass’ Blechtrommel geschafft hat, oder über Requisiten des Rumpfmenschen Nikolai Kobelkoff aus dem Russischen Kaiserreich, der es zum erfolgreichen Praterunternehmer und zu elf Kindern gebracht hat, die bis heute die Praterdynastie am Leben halten. Es gibt Unmengen zu sehen und zu entdecken, der Kostümfundus reicht vom edelsteinbestückten Manegenkleid der Grande Dame und Gründerin des Österreichischen Nationalzirkus Elfi Althoff-Jacobi bis hin zu den Outfits des modernen Anarchoclowns Jango Edwards, vielleicht noch bekannt als Dosenbierfräse aus Helmut Zenkers Serie Tohuwabohu. Daneben hängen historische Praterpläne aus verschiedenen Jahren: 1864 etwa noch mit riesigen Waldflächen auf dem weitläufigen Gelände, oder von 1873 – dem Jahr der Weltausstellung, in dem Wien zur Stadt wurde –, wo mit gigantischer Rotunde und einer Fülle von Ausstellungspavillons sich das ganze Bild geändert hat. Auch von denen ist nicht viel mehr übrig geblieben als ein Pavillon beim Trabrennpark Krieau, der heute als Bildhaueratelier verwendet wird.
Kaldy-Karo, in bester Kenntnis darüber, was alles – hauptsächlich durch den Zweiten Weltkrieg – verlorengegangen ist, ist es umso wichtiger, die letzten Bestände zu bewahren und gleichzeitig die Brücke zur Gegenwart zu schlagen und das Museum lebendig zu halten. Er sagt, auf eine Bühne inmitten der Sammlung zeigend: «Hier führen wir unser Pratervarieté und magische Séancen vor, dabei kann man vergessene Kleinkünste erleben, so wie sie früher im Prater aufgeführt wurden.»

Neues Altes hervorzaubern

In diesem Sinn wird es im September auch eine Einweihungsfeier der renovierten Räumlichkeiten geben, und sofern es die geltenden Regelungen erlauben, die Lange Nacht der Museen am 2. Oktober. «Warten wir einmal ab, das ist alles ein bisschen wacklig», schließt der Museumsdirektor ab. Und bei allem vagen Unmut, der daran hängt: Robert Kaldy­-Karo würde auch beim nächsten Lockdown kein Fuß einschlafen. Er könnte sich weiter durch die hauseigenen Archive graben und neues Altes hervorzaubern.

Circus- und Clownmuseum
2., Ilgplatz 7
Sonntags von 10 bis 13 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet
www.circus-clownmuseum.at