Auf schiefer Bahnvorstadt

Noch trainieren die Bahnradfahrer_innen im Ferry-Dusika-Stadion, doch der Abriss dieser Halle ist beschlossene Sache. Ungewiss ist nur, wann er genau erfolgen wird. Ungewiss ist auch, wie es für die Sportler_innen weitergeht, wenn ihnen die letzte in Österreich noch bestehende Bahn genommen wird.

TEXT & FOTOS: WENZEL MÜLLER

Eine Menschenschlange vor dem Ferry-Dusika-Stadion. Nein, die Leute stehen nicht für ein Sportereignis an, sie wollen sich auf Corona testen lassen. Die runde Sportstätte ganz in der Nähe ihres großen Bruders Ernst-Happel-Stadion leistet in der Krise mal wieder gute Dienste, wie schon 2015, als sie kurzerhand in ein Flüchtlingslager umfunktioniert wurde. Dafür scheint sie allerdings nur Undank zu ernten. Ihr Abriss ist beschlossene Sache, Ende dieses Jahres soll er erfolgen, nur der genaue Termin steht noch nicht fest. Eine Renovierung dieses Baus aus den 1970er-Jahren, befanden Expert_innen, lohne sich nicht mehr. Stattdessen soll Wien eine neue Sportarena bekommen, an gleicher Stelle. Das bevorstehende Ende des Dusika-Stadions erschrickt insbesondere die Radfahrer_innen, denn die verlieren damit ihre Radbahn, die einzige in Österreich noch bestehende.
5.500 Zuschauer_innen haben in dieser Halle Platz – und jetzt, noch während des Lockdowns, tummeln sich in ihr gerade einmal ein paar Sportler_innen, die sich fast an einer Hand abzählen lassen. Im Innenbereich – die Corona-Teststraße beschränkt sich auf das Foyer des Stadions – Reck, Bock, Hochsprunganlage, Hürden, daran schließt eine Laufbahn an und an die wiederum die Besonderheit dieser Halle: die Radbahn. Ganz aus Holz, mit einem Neigungswinkel von 45 Grad in den Zentrifugen. Das Terrain teilen sich Radfahrer_innen, Turner_innen und Leichtathlet_innen.
Ich solle auf das Geräusch achten, sagt Gernot Kokas, Präsident des Wiener Landesradsportverbands. Tatsächlich, wenn die Radsportler_innen über das Holz brettern, entsteht ein seltsam surrendes Geräusch. Für Kokas selbstredend Musik in den Ohren.

Wintersport.

Unsereine_r kennt Radfahren nur draußen, wo Sonne unsere Haut wärmt und Blütenduft in unsere Nase zieht, so jedenfalls der Idealfall. Dies entfällt in der Halle. Bahnradfahren, erklärt Kokas, ist ein typischer Wintersport. Sinken die Temperaturen und wird es für die Radsportler_innen gefährlich auf den Straßen, ziehen sie um in den geschützten Innenbereich. Dabei wechseln sie auch ihr Arbeitsgerät, steigen um auf ein Rad ohne Bremse und ohne Schaltung, dafür mit starrer Übersetzung. Wahre Rennmaschinen sind das, mit denen Spitzengeschwindigkeiten von über 70 km/h erzielt werden können. Und mit mindestens 30 km/h müssen die Fahrer_innen ohnedies unterwegs sein, denn nur dann entwickeln sie jene Fliehkräfte, die sie sicher durch die steilen Wände bringen.
An diesem Vormittag trainieren Fahrer vom Sportleistungszentrum Südstadt. Im Pulk drehen sie ihre Runden, so dicht sitzen sie einander auf der Pelle, dass das sprichwörtliche Blatt Papier kaum zwischen ihre Reifen passt. Es gilt, den Windschatten des Vordermanns auszunutzen. Doch was, wenn dieser Vordermann plötzlich strauchelt? Ein Unfall wäre die unvermeidliche Folge. Man muss also ein eingespieltes Team sein. Und eine gehörige Portion Vertrauen mitbringen. Oder eine gehörige Portion Mut. Nun erkennt man auch, dass die karge Ausrüstung der Räder gar der Sicherheit dient: Wo eine Bremse fehlt und ununterbrochen in die Pedale getreten werden muss, sind abrupte Geschwindigkeitsänderungen kaum möglich.

Bahnreife.

Normalerweise gibt es Schnupperkurse, für all jene, die sich einmal auf die schiefe Bahn wagen wollen, doch wegen Corona entfallen die im Augenblick. Mit den Anfänger_innen steigt naturgemäß die Unfallgefahr auf diesem Rundkurs. Wer dem Bahnradfahren treu bleiben möchte, muss daher einige Prüfungen über sich ergehen lassen – zur Sicherheit aller Fahrer_innen.
Noch in den 1980er-Jahren, sagt Kokas, hatten sie bei Wettkämpfen im Dusika-Stadion stets ein volles Haus, damals, als noch ein Roland Königshofer oder ein Franz Stocher die Zuschauer_innen anzog. Die Stimmung war gut, wenn auch nicht so ausgelassen wie in Berlin, wo das legendäre 6-Tage-Rennen seit jeher als wahres Volksfest zelebriert wird. Bahnradfahren umfasst unterschiedliche Bewerbe, von Sprints bis zu Punktewertungen, die sich über mehrere Tage erstrecken. «Das Schöne für den Zuschauer in der Halle ist, dass er alle Bewerbe von Anfang bis Ende verfolgen kann. Anders als beim Straßenfahren, wo er an einer Stelle steht – da bekommt er nur den einen Ausschnitt mit», sagt Kokas. Dennoch hat der Bahnradsport an Popularität eingebüßt, die Zuschauer_innen bleiben aus.

Schlusssprint.

Wie geht es weiter? Das Ende des Dusika-Stadions ist absehbar. Und in der neuen Sportarena keine Radbahn vorgesehen. Bedeutet das das Ende des Radbahnfahrens in Österreich? Oder bekommen die Radbahnfahrer_innen gar eine eigene Halle, und wenn, wo? Wieder in Wien? Wir werden sehen, inwieweit sich die Vertreter_innen dieser Randsportart Gehör bei den verantwortlichen Politiker_innen verschaffen können.