Eing'Schenkt (28. Februar 2024)
«Ich war schnell mit der Miete im Verzug. Es war so schlimm, dass ich mich zwei Wochen nur von Reis ernährt habe. Andere gehen zu ihren Eltern und fragen um Unterstützung. Bei mir ging das nicht», erzählt Paul.
Im Schnitt ziehen junge Menschen hierzulande mit 25,3 Jahren von zu Hause aus – und auch dann werden viele noch weiter unterstützt. Anders ist es jedoch ausgerechnet bei den Jugendlichen, die in Wohngemeinschaften oder Pflegefamilien aufwachsen. «Andere Jugendliche haben ihre Eltern, auf die sie sich meist verlassen können. Wir aber nicht.»
«Careleaver» ist ein gängiger Begriff für junge Menschen, die einen Teil ihres Lebens in Wohngruppen, betreutem Wohnen oder Pflegefamilien verbracht haben. Da sie mit 18 aus der Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe (care) entlassen werden (to leave), nennt man diese Jugendlichen «Careleaver».
«Wenn wir Careleaver mit finanziellen Problemen kämpfen, emotional belastet sind oder Unterstützung bei der Ausbildungs- und Wohnungssuche brauchen, dann wäre es ein gutes Gefühl zu wissen, dass wir jemanden haben, der uns hilft und auch den existenziellen Druck, unter dem wir ständig stehen, abfedert», sagt Alexandra Weiss, die sich im österreichischen Verein zur Selbstvertretung von Careleaver:innen engagiert. «Wir wünschen uns nichts Außergewöhnliches, nur die gleichen Chancen wie unsere Altersgenossen auch.»
In einigen Bundesländern haben sich Anlaufstellen für die jungen Leute gebildet. «Hier findet man kompetente Mitarbeiter:innen mit jeder Menge Verständnis, die gemeinsam mit einem Probleme lösen. Und wenn es nur ein Bewerbungsschreiben ist», berichtet Paul. Die Mitarbeiter:innen sind auch immer da, ergänzt Anna. «Dafür bin ich sehr dankbar. Sie sagen zu mir: ‹Wenn was ist, dann komm einfach vorbei.› Und damit weiß ich, ich habe eine emotionale Stütze. Diese Sicherheit macht schon sehr viel aus.»
They don’t leave care. Care leaves them. Die Jugendlichen verlassen nicht die Begleitung und Betreuung. Die Begleitung und Betreuung verlässt sie. In der ÖVP/FPÖ Regierung erfolgte die bundespolitische Kindesweglegung, das Jugendhilfegesetz wurde verändert, ohne österreichweite Standards, alles überall verschieden. Gerade Jugendliche mit schwieriger Lebensgeschichte darf man nicht allein lassen. Es braucht dringend einen Rechtsanspruch auf Betreuung bis zum 21., bestenfalls 24. Lebensjahr. Unterstützung soll sinnvollerweise nicht nur im äußersten Krisenfall einsetzen, sondern vor allem vorher greifen und besonderen Belastungen vorbeugen.
«Solange ich denken kann, bin ich angespannt», sagt Lisa, Selbstvertreterin. «Mein großer Wunsch wäre, dass ich in Balance komme und dass mein Rucksack, den ich schon so lange mitschleppe, endlich leichter wird. Ich weiß, dass ich das schaffen kann. Aber es geht nicht alles von heute auf morgen.» Die Unterstützung ist für sie ein Jahr verlängert worden, weil sie noch die Matura mit 19 macht. «Ich habe traumatische Erfahrungen als kleines Kind machen müssen, viele Beziehungsabbrüche erlebt, bin da sehr unsicher. Zuwendung gibt es immer nur unter Bedingungen, die andere mir setzen. Jetzt wieder, es gibt nur Betreuung bis 19 Jahren unter der Bedingung, dass ich Matura mache – nicht weil ich sie einfach brauche», seufzt Lisa. «Ich kämpfe in jeder Beziehung damit, dass ich glaube, mir Liebe erst verdienen zu müssen.»