Mehr als 10.000 Leute unterzeichnen parlamentarische Bürgerinitiative für Reform des Bankwesengesetzes
Heini Staudinger begann als Händler von alternativen «Earth Shoes», dann bekam er die «Waldviertler»-Schuhwerkstatt umgehängt. Er wurde zum Aktivisten für regionales Wirtschaften im Waldviertel. Zuletzt engagierte er sich viel in Tansania. Im Jänner holte ihn die Finanzmarktaufsicht in die österreichische Realität zurück. Er wird geklagt, weil er sein Unternehmen mit privaten Darlehen finanziert. Nun hat er eine neue Rolle: Anführer einer Revolte von kleinen und mittleren Unternehmen, die von Banken geknechtet werden.
Was sie eint, sind die Schuhe. Die «Waldviertler» sind vorne breit, damit sich die Zehen bewegen können. Sie haben dicke Gummisohlen, und sie sind fast unverwüstlich. Wolfgang Saurer trägt die Schuhe, wenn er in seine Werkstatt geht und auf die Baustellen. Er baut Häuser aus Holz. Der Weltenwanderer Gregor Sieböck trägt die Schuhe, wenn er von Bad Ischl nach Tokio geht, oder nach Patagonien. Der eine ist ein gestandener Tiroler Unternehmer, ohne viel Larifari im Kopf, der andere ein Aussteiger, mit Gedichten und Larifari im Kopf. Was sie noch eint, ist der «Brennstoff». Der innere und der äußere. Der äußere ist eine Zeitung, 32 Seiten stark. Sie erscheint viermal pro Jahr, Herausgeber ist Heini Staudinger, Auflage zuletzt 120.000. Heini Staudinger ist in seinem Hauptberuf Chef der «Waldviertler» Schuhwerkstatt. Auf der Titelseite des letzten «Brennstoff» ist ein breites ockergelbes Kreuz, im Hintergrund ein Friedhof, auf dem Kreuz steht «Gemma ham». Auf Seite 3 schreibt Heini über den Tod seines Papas im Kreise seiner Familie. Gebetet haben sie und gesungen. Der «Brennstoff» ist eine Zeitung mit klugen und manchmal schrägen Essays, mit Gedichten und Weisheiten. Zwischendurch gibt es auch ein bisschen Schuhwerbung. Einspaltig. Es muss ein innerer Brennstoff sein, der nun zu wirken beginnt. Vielleicht stieg deshalb Wolfgang Saurer am 14. November ins Auto und fuhr von Reutte in Tirol nach Schrems im Waldviertel. Zu einer Diskussion mit dem Titel «Wir sind das Volk. Bürgerrechte statt Bankenrechte». Thema: die Finanzmarktaufsicht (FMA) und ihre Aktionen gegen GEA sowie andere Unternehmen vorwiegend aus dem Ökologiebereich, gegen einige NGOs und gegen Bürger_innenbeteiligungen an Fotovoltaikanlagen. Sie alle beschuldigt die FMA, widerrechtlich Bankgeschäfte zu betreiben, weil sie Darlehen von Freunden, Bekannten und Kund_innen entgegennehmen, ohne eine Banklizenz zu besitzen. Der «Falter» hat erstmals im September darüber berichtet, der ORF am 17. Oktober, und seither ist der Bär los im Waldviertel. Tausende Bürger_innen sind empört und schicken solidarische E-Mails. Die Medien freuen sich über eine plakative Story, und der Heini kriegt viele neue Namen: Schuhtandler, Ökoschuster, Schuhrebell, Bankrebell. Wolfgang Saurer kannte Heini Staudinger nicht persönlich, bevor er zur Diskussion nach Schrems fuhr. Doch seine Familie trägt seit Jahren Waldviertler Schuhe und liest den «Brennstoff». Als nach dem Podium das Publikum an der Reihe ist, steht er spontan auf. «Ich bin der Wolfgang», sagt er. Auf der Fahrt von Tirol hierher habe er Radio gehört. Die Hypo Alpe Adria brauche neuerlich eineinhalb Milliarden. Aber ihm, einem seriösen Unternehmer seit vielen Jahrzehnten, hätte die Bank vor einigen Jahren fast ein wichtiges Geschäft vermasselt, weil der Kreditrahmen für eine Bankgarantie nicht ausreichte. Er musste ein Privatgrundstück seiner 80-jährigen Mutter verpfänden, sonst hätte er den Auftrag verloren. Wolfgang Saurer hat keine privaten Darlehensgeber. Er ist kein Ziel für die FMA. Aber er ist empört darüber, wie die Banken mit den kleinen und mittleren Unternehmen umgehen. Durch die immer strengeren Auflagen, denen sich Banken unterwerfen müssen, bekommen viele Unternehmen keine Kredite mehr. «Obwohl die Probleme der Banken nicht von der Realwirtschaft kommen, sondern von ihrer Zockerei.»
Es ist die Wut über die Zocker, über die Finanz- und Korruptionsskandale der letzten Jahre, über die Milliarden, die in die Rettung der Banken versenkt werden, und über die Ohnmacht, die jetzt plötzlich zu einer Bewegung in Österreich geführt hat.
Angeführt wird sie von einem Mann, der selber eher Aussteiger als Leader ist. Von einem Mann, dem die Schuhwerkstatt in Schrems im Waldviertel eher umgehängt wurde, als dass er sie selber wollte. Heini Staudinger hatte Ende 1980 als Schuhhändler von «Earth Shoes» begonnen. Es waren Schuhe mit einem Minus-Absatz, die sehr alternativ aussahen und jahrelang Erkennungszeichen für die Ökoszene waren. Seit 1984 verkaufte er auch Schuhe aus dem Waldviertel. Produziert wurden sie von einer selbstverwalteten Schuhwerkstatt, die von der Caritas und dem damaligen SPÖ-Sozialminister Alfred Dallinger mit Anfangskapital ausgestattet wurde. «Es war verrückt, im teuren Österreich Schuhe erzeugen zu wollen», sagt Staudinger. «Damals wurde gerade die gesamte Schuhproduktion nach Asien verlegt.» Weil es eben verrückt war und nicht sonderlich gut lief, bekamen die sich selbst verwaltenden Arbeiter_innen es mit der Angst zu tun und baten Staudinger und den damaligen Geschäftsführer, die Werkstatt zu übernehmen. So kam der Heini 1991 zu einer Schuhfabrik und einem Haufen Bankschulden. Sein Schlüsselerlebnis passierte 1999. Der neue Filialleiter seiner Bank lud ihn vor und kürzte ihm den Kreditrahmen obwohl es ausgerechnet in jenem Jahr einen satten Gewinn gab. Daraufhin beschloss der Heini, in Hinkunft ohne Banken auszukommen. Er zahlte alle Schulden zurück, borgte sich Geld von seiner Familie und von Freunden und Bekannten aus. Seit 2005 praktiziert er das Modell, das ihn jetzt in Schwierigkeiten bringt. Er bietet Menschen die Möglichkeit, dem Unternehmen ein Darlehen zu geben. Mindestens 3000 Euro, maximal 50.000 Euro, vier Prozent Zinsen jährlich. Derzeit haben rund 200 Personen Darlehen gegeben, insgesamt sind es drei Millionen Euro. Darüber hinaus haben sich rund 2000 Leute an der Fotovoltaikanlage beteiligt. Da beträgt ein Anteil 200 Euro, bezahlt wird man mit Warengutscheinen. «Wir brauchen keine Bank», hat der Heini oft erklärt. «Unsere Kunden schicken uns so viel Geld, dass wir gar nicht wissen, wohin damit. Wir müssen sie stoppen.» Für Heini Staudinger ist es erhebend. Er dankt seinen Mitarbeiter_innen. «Ohne euch stände ich schön blöd da», sagt er und weint fast vor Leuten und TV-Kameras. Doch er fängt sich bald. «Das ist der Beginn einer Bürgerbewegung! Wir sind das Volk!»