Aus dem Schatten ans Licht – Musica FeminaDichter Innenteil

Über die Ausstellung 2018, Schönbrunn, Orangerie

Die Grelle der Sonne in diesem August, die unaufhörliche Hitzewelle, sie ziehen Energie und Lust ab. Irene Suchy postet via Facebook über Musica Femina, eine Ausstellung in der Orangerie in Schönbrunn. Ich ziehe Schirmkappe und dunkle Sonnenbrille tief in mein Gesicht und betrete den Wiener City Dschungel.

Foto: Jella Jost

Ich mag es, wenn ich mich verstecken kann, hinter einer Personage, die einst leidenschaftlich Musik machte, Musik, die mir einen Zugang zur Welt bedeutete, jenen Zugang, den ich vor ein paar Jahren verlor, weil äußere Strukturen zu hart für mich wurden. Meine Mutter im Sterben; zwei minderjährige Kinder; ein Partner mit denselben künstlerischen Ambitionen. Da ist man schnell bei dem entscheidenden Thema. Wer kann, nein, wer darf es sich leisten, Kunst zu machen? Kunst kommt demzufolge nicht von können, niemals, sondern von gönnen, also wem wird Finanzierung gegönnt? Dass dauerhafte und sich entwickelnde Kunst-, Musikproduktion nur wenigen vorbehalten ist, weil das gesamte Leben freigeschaufelt werden muss, um professionell arbeiten zu können, wissen vor allem die Künstler_innen selbst. Es ist ein ständiges Verhandeln mit der persönlichen Zeit, oft an der Kante von Notwendigkeit und Erträglichkeit. Diesen Spagat aufrechtzuerhalten kostet immense Kraft. Und diese reicht nicht ewig. Die hoch bezahlten Uni-Posten sind nur mit Doktorat, Beziehungen, der Fähigkeit, Fördergelder und Drittmittel zu lukrieren, in den richtigen Medien zu publizieren … und nicht zuletzt sich selbst gut zu verkaufen, zu haben. Da machen wir uns doch mal nichts vor. Ansonsten bleibt der Freie Markt mit all seiner chauvinistischen Brutalität. Kann man uns verwerten – und das tun meistens Manager oder Musikproduzenten –, erhalten wir im Mainstream Bedeutung. Kann man das nicht, wird man vergessen, für die breite Masse gibt es uns nicht. Man spricht dann zynisch von Nischen. Auch jene Frauen, die im 19. Jahrhundert Musik machten, die komponierten, schrieben, große Werke verfassten, waren historisch nicht existent.

Mir schwindelt. Langsam bewege ich mich in diesem Klima. Vorsichtig. Ich schlendere auf dem Weg in die wunderschönen Räumlichkeiten der Ausstellung. Schweißperlen rinnen stetig ins Gesicht. Taschentuch. Immer wieder. Heute ist alles erlaubt. Touristen-Massen ziehen glücklicherweise nicht an mir vorüber. Ist es, weil der schwarze Himmel am Horizont Wetter ankündigt? Und überhaupt: Wo bleibt der große Regen? Man macht sich Sorgen. Ich lebe seit 56 Jahren auf diesem teilweise unerträglich erzkonservativen Fleckchen Wien und habe so eine Atmosphäre noch nie erlebt.

Einübungen in Leerläufe

Irene Suchy ist Musikredakteurin bei Ö1, Lehrbeauftragte, Moderatorin, Dramaturgin, Literatin. In ihrem Lebenslauf lese ich Brisantes und mir so sehr Vertrautes. So schreibt sie: Aufgewachsen in einer typischen österreichischen Mitläufer-Familie – mitgelaufen bei den Hexenjagden des 20. Jahrhunderts, mitgelaufen bei der katholischen Bigotterie – ist meine Antriebskraft das Gegenteil: hinschauen, wo ich nicht hinsehen darf, hinhören, was ich überhören soll, bemerken, was andere vor mir verbargen. Wichtig nehmen, was andere unter den Teppich kehren, ernst nehmen, was nicht in Worten, sondern in Tönen gesagt wird. Die österreichische Nachkriegszeit machte musikalisch: Wer auf Sub-Töne hörte, auf die leise Verachtung und Beeinflussung, die in Worten nicht festzumachen war, lag richtig. «Das haben Sie sich gemerkt» – war der Vorwurf an die Heranwachsende, «gerade das fragen Sie» – der Versuch, die Neugier einzudämmen. «Sie dürfen nicht fragen» – war Ansporn, «Sie können das nicht beurteilen» – Einweisung in die weibliche Rolle. Befehle waren als Frage getarnt, Verunsicherung als Sorge. Das Österreich, in dem ich aufwuchs, war ein hierarchisches, eine Einübung in Leerläufe, ein unproduktives, ein unglückliches, ein erfolgloses. Alles das – von der Frauenverachtung bis zum Neid auf die andern – wollte ich überwinden.

Die Kuratorinnen von Musica Femina sind Irene Suchy und Clarissa Maylunas. Auf der Website musicafemina.at liest man, dass von allen internationalen Städten nur Wien keine wesentliche Ausstellung in den letzten 20 Jahren zum Thema Musik kuratiert hat. In dem also zeitlich aktuellen Projekt Musica Femina liegt der Fokus auf jenen Frauen, die über die Jahrhunderte immer schon eine signifikante Rolle spielten im Kreieren ihrer Musik. Musica Femina zeigt das Schaffen von Hildegard von Bingen bis Olga Neuwirth. «Auf den ersten Blick werden wir alle diese Frauen möglicherweise nicht kennen, die so einflussreich waren in Bezug auf die Entwicklung der europäischen Musik. Nach dem Besuch unsere Ausstellung jedoch werden sie wissen, was sie vermissten», lese ich. Ich betrete die schwüle Orangerie; die Luft steht, Fächer wedeln, auf das Podium begibt sich eine schöne junge Sängerin und eine Pianistin. Ich höre klassische Live-Musik, komponiert von jenen Künstlerinnen, die hier ausgestellt werden.

In den musikalischen Pausen schlendere ich in der Orangerie, die in verschiedene Räume geteilt wurde. Diese sind fünf Perspektiven, geformt durch fünf spezielle kunstvolle und äußerst reizvolle Designs, in denen der wesentliche Beitrag von Frauen im Schaffen und Interpretieren von Musik für die gesamte Entwicklung der Musikgeschichte sichtbar gemacht wird. Im Raum der neun Musen, eine zentrale Idee Clarissa Maylunas, sind überlebensgroße hängende Klang-Skulpturen aus biegsamen Stahlbändern, die ein Thema repräsentieren. Der akustische Content, gestaltet von Irene Suchy, erzählt epochenübergreifend Genres und Typologien, jedoch hört man sie erst, wenn man sich in sie hineinbegibt. Oder der Raum der Zeitgenossinnen: Dieser Raum ist frei von Begrenzungen. Er entspricht dem weiten Schaffen zwischen Komposition, Improvisation, Performance, Transart und Vermittlung. Auf Stelen in Monitoren laufen mehr als 30 Showreels. Und das Auftragswerk Fassadenscan der Klangkünstlerin Ulla Rauter transferiert hochaufgelöste Fotos von Gebäudefassaden in Klänge. Irene Suchy erzählt mir am Telefon, wie schwer es war, eine Auswahl zu treffen, da niemals alle Frauen miteinbezogen werden könnten. Mein Kopf sagte dazu ja, aber mein Herz widersprach ihr innerlich. Ich vermisste stark meine Lieblingsdirigentin und Komponistin Maria Lynn Schneider aus den USA. Aber Björk war da. Und Joni Mitchell. Und die Pionierin Pauline Oliveros.

Frauen werden stetig eingegrenzt, reduziert, minimiert, verkleinert, verdrängt. Das ist das Tema der Frauen seit Jahrhunderten. Meinem Wunsch, die Namen tatsächlich aller Musikschaffenden über eine Soundinstallation einzuspielen, möchte ich hier Platz geben. So klängen alle Namen in der Öffentlichkeit, im gesamten Raum, man könnte ihnen nicht mehr ausweichen, die Ohren nicht mehr verschließen. Die Namen der bisher dokumentierten europäischen Instrumentalistinnen des 18., 19. Jahrhunderts habe ich gezählt, es sind 750. Das dauert bei drei Sekunden pro Namen 37,5 Minuten insgesamt. Ein Zeitspanne, die man gerne in einer Ausstellung verbringt. Es erinnert mich an meine erste Soundinstallation für Linz 09.

Wo bleibt die feministische Agenda? Wo?

Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die Frau gerne als mehr oder weniger passende Gefährtin des männlichen Genies festgeschrieben, sodass die Synthese Frau und Musik aus unreflektierter Sicht negativ konnotiert war. Nach dem 2. Weltkrieg veröffentlichte die US-Amerikanerin Sophie Drinker ihr Werk Die Frau in der Musik. Drinker gilt als Initiatorin der musikwissenschaftlichen Frauenforschung (siehe Link unten). Die amerikanische Musikgeschichte ist jünger und weniger durch männliche Helden-Mythen belastet als die europäische. Den jahrhundertelangen Kampf um ein gerechtes musikalisches Geschlechterverhältnis in Europa führte letztlich die britische Komponistin Ethel Smyth weiter. Sie schuf ein umfangreiches musikalisches Werk, von dem der March of Women, eine Hymne der englischen Frauenbewegung, ihr berühmtestes Werk ist. Allen ist ein Ziel gemeinsam, gestern wie heute: eine Welt zu schaffen, in der die soziale Geschlechtsidentität des Menschen (Gender) ausbalanciert ist.

Musica Femina wird 2019 international touren, Bregenzer Festspiele, Belgrad bis Washington, als auch auf Musikfestivals und in Institutionen, die eine feministische Agenda am Plan haben. Es braucht dringend mehr politisch-feministische Köpfe, die die riesigen weißen Flecken auf der Landkarte der Männerdomänen erkennen und mit Frauen besetzen. Es fehlen nach wie vor weibliche Funktionäre, weibliche Philharmonie, und ein weiblich besetzter Musikverein. Wien bleibt möglicherweise kleinkariert und provinziell, wenn es nicht in der Lage ist, einen internationalen Gleichstellungs-Status zu vollziehen. «Alle haben uns versichert, wie wichtig das Thema ist», sagt Suchy. «Aber umsetzen wollte es niemand.» Geglückt ist das Vorhaben mit finanziellem Support mehrere öffentlicher Fördergeber. Und letztendlich war es eine Idee von Stadtrat Mailath-Pokorny. Da reiße ich meine Augen aber weit auf vor Erstaunen, dass die SPÖ doch noch am Leben ist. Aber wer begrub die feministische Agenda? Wer?

INFO

Musica Femina. Women made music – Aus dem Schatten ans Licht

war von 4. 7. bis 2.9. in der Orangerie Schloss Schönbrunn zu sehen. Die Ausstellung tourt 2019 durch verschiedene Städte in Österreich und andere europäische Orte.

www.musicafemina.at