Aus der kulturellen BracheArtistin

Lyrik

Die jüngste Literaturgattung ist die Coronaliteratur. In Zeiten der Pest entstanden etwa Boccaccios De-cameron und Daniel Defoes A Journal Of The Plague Year. Was von der Coronaschreibe bleibend sein wird, kann noch nicht beurteilt werden. Helmut Neundlingers Bändchen Virusalem hat jedenfalls das Zeug, über den Anlass hinaus lesbar und lesenswert zu bleiben. Der aus Oberösterreich stammende und in Wien lebende Musiker, Literaturwissenschafter und Autor (u. a. auch für den AUGUSTIN) nutzte die kulturelle Brache des Lockdowns zum Schreiben. Virusalem versammelt kurze Prosa- und Lyriktexte, die auf Pandemie, Isolation, Politsprech usw. referieren, es sind Selbstbeobachtungen, Blicke auf die plötzlich leere Stadt, kleine Porträts, knappe Nacherzählungen seltsamer Nachrichten (z. B. «Schusslicht», «Grenzfall»), Sprachspiele – eigentlich Sprachanalysen offizieller Verlautbarungen. «Wir konzentrieren / alle unsere Bemühungen / auf Entsammlung.» (aus «Lautbar III»).

Helmut Neundlinger: Virusalem. Gesänge aus dem Bauch des Wals
müry salzmann 2020
80 Seiten, 19 Euro

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