Provokation neuer Gedanken
Mein Besuch der Albertina galt diesmal der Fotoausstellung «Provoke» (englisch: provozieren), die sich mit der japanischen Fotografie der Nachkriegszeit im Zeitraum 1960–1975 beschäftigt und im Speziellen mit dem zu dieser Zeit erschienen gleichnamigen Fotografie-Magazin. Provoke erschien 1968/69 in nur drei Ausgaben.
Bildtext: Proteste gegen den Bau des Narita Airport, 1969
Foto: (c) Collection of the Art Institute of Chicago
Dieses Magazin war so besonders, weil es in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in Japan entstand, die Protestfotografie revolutionierte, Aufschlüsse über die damals herrschenden Zustände aus Sicht der Bevölkerung wiedergab und die Kunstszene nennenswert beeinflusst hat. Des Weiteren waren auch die Künstler, die das Magazin gründeten oder die Entstehung beeinflussten, höchst interessant.
Die Ausstellung gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil erfährt man etwas über das Magazin selbst und weitere Projekte der Künstler. Die beiden ersten Provoke-Ausgaben hatten die Themen «Sommer 1968» und «Eros», während der dritte Band die inhaltliche Ausrichtung offen ließ. Die Künstler wollten damit Bilder schaffen, die Gedanken und Ideen «provozieren», daher auch der Titel. Eine Schlüsselfigur für das Magazin ist der Fotograf Shomei Tomatsu, der ab 1950 die sozialpolitischen Veränderungen in Japan fotografisch festhielt. Er trat als Förderer der anderen Provoke-Mitglieder auf und vereinte in dem Magazin «Gendai no me» erstmals ihre Fotografien.
Kikuji Kawada, dessen Buch «Chizu» («Die Landkarte») 1965 anlässlich des zwanzigjährigen Gedenkens an den Atombombenabwurf entstand, und das sich gegen das zunehmende Verdrängen der Ereignisse richtete, wurde durch den ausdrucksstarken sowie körnigen Druck seiner Bilder zum Vorbild für Provoke.
Der zweite und dritte Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit den damals herrschenden Zuständen in Japan, der Geschichte, die der Entstehung des Magazins zu Grunde lag, sowie dem Einfluss auf andere Künstler.
In den 1960ern und frühen 1970ern wurde Japan durch eine Reihe von zum Teil gewalttätigen Protestwellen erschüttert. Das Schlüsselereignis war der 1960 abgeschlossene Sicherheitspakt zwischen Japan und den USA. Auch Japans Rolle als Militärstützpunkt im Vietnamkrieg, der Bau des Flughafens Narita, bei dem letztendlich eine Zwangsräumung der dort lebenden Bevölkerung erfolgte sowie das Agieren von Großkonzernen führten zu den Protesten. In dieser Zeit erschienen an die 80 Publikationen von verschiedenen Gewerkschaften, Studentenvereinigungen, Künstlern sowie professionellen Fotojournalisten, die die Proteste und die damit einhergehende Aufarbeitung der jüngeren Geschichte zum Thema hatten.
Die Bücher zeichneten unter anderem ein innovatives Design, dynamische Ausschnitte und eine bewusste Kombination von minderwertigen Materialien mit aufwendigem Layout aus. Obgleich sich alle Provoke-Mitglieder mit Ausnahme von Moriyama politisch engagierten, waren sie der Meinung, dass sich die Protestfotografie erschöpft hatte. Sie orientierten sich aber dennoch an ihrer abstrakten und unscharfen Ästhetik sowie ihren Layout- und Drucktechniken.
Provoke blieb nicht ohne Folgen. Angeregt durch das Magazin ging zum Beispiel der Künstler Jiro Takamatsu neue Wege und schuf «Fotografie der Fotografie», bei der er einen Fotografen einlud, Bilder aus seinem Familienalbum aufzunehmen, die durch zufällige Bildausschnitte und Spiegelungen verfremdet wurden.
Die Ausstellung bietet einen noch viel tieferen Einblick in all das und ist sehenswert.
Sie hat sie mich dazu angeregt, mich näher mit den Vorkommnissen in Japan zur damaligen Zeit und deren Künstlern zu beschäftigen und hat so ganz im Sinne von Provoke auch bei mir neue Gedanken «provoziert».
Info: Ausstellung in der Albertina
Bis 8. Mai 2016