Aus der Mülltonne gerettetArtistin

Marginalisierte Filme im Brennpunkt Forschung im Filmmuseum

Das Österreichische Filmmuseum ist mehr als nur ein besonderes Kino: Archiv und Forschungsstätte, Ort von Bildung und Vermittlung. Ein Gespräch mit Dr. Ingo Zechner und Dr. Paolo Caneppele vom ÖFM über die Rettung von Filmen und ein Forschungsprojekt zu filmischen Dokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus.Film ist nicht nur Film das wird bei einem Besuch des Archivs des Österreichischen Filmmuseums schnell klar. Allein um die Filmstreifen «zum Leben zu erwecken» sind ein Projektor und eine Projektionsfläche erforderlich. Um mit dem Material (einst hochentzündlicher Nitrofilm, heute Polyester) sachgemäß und sorgsam arbeiten zu können, sind Gerätschaften wie Schneide- und Kopiertische nötig. Darüber hinaus bewahrt die 1964 gegründete Institution alle Arten von Dokumenten mit Kino- und Filmbezug von Filmplakaten über Festivalkataloge bis zu Kinoprogrammen und Zeitungsartikel auf.

An diese Materialien kommt das Filmmuseum z. T. durch Ankauf und Austausch mit ähnlichen Institutionen sowie durch Schenkungen oder Zufallsfunde. «Es gibt nette Leute, die vorbeikommen und sie legen sie [die Filmrollen] mir vor die Tür wie ein verlassenes Kind», erzählt Dr. Paolo Caneppele, Leiter der Sammlungen des ÖFM. «Oder ich gehe an eine Mülltonne, weil mich ein Herr angerufen hat: Ich sehe eine Dame, die schmeißt alte Plakate und alte Fotos weg.» Von der Lieferung im Rolls-Royce bis zur Mülltonne sei alles möglich. Über die Jahrzehnte ist die stetig erweiterte Dokumentation enorm angewachsen, es gibt z. B. rund 300.000 Fotos und über 25.000 Filme. Letztere sind in zwei klimatisierten Räumen untergebracht, auf meterhohen Regalen, gestapelt bis an die Decke. «Mich interessiert alles. Ich als Archivar mache keine kuratorische Auswahl. Für mich ist ein Film eines Meisters der Kinematografie oder der Geburtstag von Tante Emma gleichwertig», sagt Paolo Caneppele. Ein_e Historiker_in oder Filmwissenschaftler_in sucht gezielt Filme zu einem eingegrenzten Thema, das kann die NS-Zeit sein oder genauso gut Aufnahmen von Geburtstagen. «Für einen Archivar ist es nicht richtig, dass er die Auswahl der Quellen trifft, weil meine Auswahl beeinträchtigt die Geschichtsschreibung in hundert Jahren, wenn ich sage: Alle pornografischen Plakate schmeiß ich weg, weil sie Sausachen sind. Aber wie willst du eine Geschichte der Moralvorstellungen oder der Sexualforschung in den 70er- oder 80er-Jahren schreiben, ohne diese schweinischen Plakate?», erläutert der Sammlungsleiter.

Für das derzeit laufende Forschungsprojekt «Ephemere Filme: Nationalsozialismus in Österreich» liegt der Fokus auf einer Auswahl von rund 50 Filmen, meistens Amateuraufnahmen, die zwischen 1932 und 1942 entstanden. Ephemer, vom Verschwinden bedroht, seien diese Filme in zweierlei Hinsicht, erörtert Dr. Ingo Zechner, der das wissenschaftliche Projekt leitet; einerseits würde durch die oft unsachgemäße Lagerung der Zersetzungsprozess der Unikate beschleunigt, andererseits seien diese Filme innerhalb der Filmgeschichte vernachlässigt worden, da sie ursprünglich nicht für die breite Öffentlichkeit, sondern nur etwa für den Familienkreis, Schulklassen oder Firmenkunden gedacht waren. Auch Behörden nutzten Film, um sich darzustellen, so z. B. die Wiener Polizei, die ab den 1920er-Jahren bis 1938 Ereignisse dokumentierte, die für sie besonders wichtig schienen. «Für eine Situation wie 1938 können das Schlüsseldokumente sein. Wenn man den ganzen Transformationsprozess der Polizei, der Eingliederung in einen völlig neuen Herrschafts- und Gewaltapparat plötzlich in Bildern dargestellt bekommt, ohne dass es denen, die es gedreht haben, in dieser Form bewusst war», führt Ingo Zechner aus.

Warum ausgerechnet Filme zum Nationalsozialismus Thema des Projekts sind, erklärt Ingo Zechner damit, dass Bilder eine enorm wichtige, jedoch oft unterschätzte Rolle in den Köpfen der Menschen spielen. Sowohl Forschung als auch Dokumentationen zeigten bisher dieselben Bilder, «weil es nur einen begrenzten Stock an Materialien gibt, die immer wieder verwendet werden, und die stammen zu einem erheblichen Teil aus professionellen Produktionen, Wochenschauen usw., die zu Propagandazwecken hergestellt wurden.» Es geht darum, herauszufinden, inwiefern sich Filme, die unter anderen Produktionsbedingungen entstanden, davon unterscheiden.

«Keine Verneinung der Tradition»

Ingo Zechner schildert einen Aufmarsch auf der Ringstraße als Beispiel: «Statt nur die Höhepunkte aneinanderzureihen, sieht man auch, wie sich das Publikum am Rand gelangweilt darauf vorbereitet, dass endlich die Prominenten vorbeiziehen. Wie man das Heben der Hand zum Hitlergruß übt, wie Begeisterung eingeübt wird, also Dinge, die man heute aus Fernsehproduktionen kennt, wo ein Studiopublikum sitzt. Das musste man damals natürlich auch tun. Man sieht einen Blick hinter die Kulissen, der sonst wegfallen würde, weil die Filme nicht fertig geschnitten sind sozusagen. Und genau diese Details interessieren uns, weil sie mehr über den Alltag erzählen als das, was man dann aus der bekannten Berichterstattung kennt.»

Die «ephemeren Filme» rettet man durch Digitalisierung, besonders wichtige Dokumente sichert man zusätzlich als neue analoge Kopie. «Dass sie gerettet sind, heißt noch nicht, dass man sie auch sehen kann», merkt Ingo Zechner an. Üblicherweise werden die Filme im Rahmen von Spezialprogrammen gezeigt, mitunter wird eine DVD veröffentlicht, ein rascher und flexibler Zugriff auf ausgewählte Filmdokumente und Hintergrundinformation soll mittels einer innovativen Web-Applikation, die im Rahmen des Projekts entwickelt wird, ermöglicht werden. «Das löscht nicht das alte System, den Film zu retten. Das ist nur ein Zusatz zum alten System», so Paolo Caneppele. «Nicht: Wir digitalisieren die Filme und schmeißen die alten Filme weg sondern wir behalten die Filme, und wir nutzen die Möglichkeiten, die uns diese Technik bietet, die Filme zugänglicher zu machen. Bequemer, indexiert, annotiert, es ist nur eine Ergänzung, es ist keine Verneinung der Tradition.»