Aus der Platanenperspektivetun & lassen

Hände weg vom Lueger-Platz

Ein Tiefgaragenprojekt am Lueger-Platz erregt die Gemüter. Schließlich gibt es schon mehr als zwanzig geförderte Großgaragen in der City, die zumeist nicht ausgelastet sind. Noch dazu befürchten viele, die wunderschöne Platane könnte dabei zu Schaden kommen. Sie selbst fürchtet das auch und gewährte deshalb dem Augustin ein Exklusivinterview ….Interviewen wolln’s mich? Na so was. Das ist mir bis jetzt noch nie passiert. Und ich bin, wie Sie ja wissen, nimmer die Allerjüngste.

Aber bitte. Wenn’s glauben, dass das an Sinn hat.

Bevor wir uns aber weiter unterhalten, eine Bedingung: Sie dürfen niemandem verraten, auf welche Weise wir das tun. Denn sonst könnte ja jeder, der irgendwas vor sich hinbrabbelt, von mir eine Antwort erwarten. Das wär‘ net lustig. Glauben Sie mir.

Natur sei Dank wissen die meisten Menschen gar nicht, dass ich hören, sehen und riechen kann. Die sitzen unter meinen Ästen und lesen Zeitung -und ich lese mit. Sie flüstern sich Geheimnisse zu -und ich höre mit. Sie riechen nach Chemie oder nach Alkohol -und ich rieche mit. Aber wenn sie wüssten, dass ich mit ihnen kommunizieren könnte … Man kennt das ja: Ein falsches Wort, und schon hat man einen Feind. Und Feinde sind das Letzte, was ich jetzt brauchen kann.

Warum? Sagen Sie, können’s net lesen? Net in die Krone, auf meinen Stamm müssen’s schaun. Da steht auf einem großen weißen Papier: Der alten Platane geht es an die Wurzeln. Das heißt im Klartext: Die wollen schon wieder eine Tiefgarage bauen, und zwar direkt vor meiner Nase. So eine Garage ist anscheinend sogar dann profitabel, wenn sie halb leer steht. Denn davon gibt’s ja schon genug. Zum Glück sind Leute aufgetaucht, die mich beschützen wollen. Naturschutz ist leider nicht Schutz genug.

Für wie alt halten’s mich eigentlich? Sie brauchen sich nicht fürchten. Für Bäume ist ein hohes Alter was Positives.

Mindestens 100 Jahre, glauben Sie? Danke sehr. Aber so alt, fürchte ich, bin ich nicht. Ich weiß es allerdings selber nicht so genau. Wer erinnert sich schon wirklich an die frühe Kindheit? Doch an die letzten sechzig Jahre erinner‘ ich mich ziemlich gut.

Hab ich mir gleich gedacht, dass Sie das interessiert … Ich bin zwar keine, die sagt, dass früher alles besser war, aber die Nachkriegszeit, die war schon toll. Superbedingungen für eine Platane: viel Platz, da haben sich meine Wurzeln ausbreiten können, wenig Autoverkehr. Damals hat’s noch keine Fußgängerzone geben, nicht einmal das Wort hat existiert. War auch nicht nötig. Die paar Autos haben rund um den Platz und sogar durch das Durchhaus Richtung Postgasse fahren dürfen und niemanden gestört.

Und überall waren Kinder. Die sind Tempel g’hupft, hab’n die Hausmeister geärgert, Glöckerlpartie hat das g’heißen, am Gehsteigrand Handstand geübt und um dieses unhöfliche Denkmal herum Fangerl g’spielt.

Warum unhöflich? Sie stellen Fragen …. Das weiß doch jeder, dass man einer Dame nicht ständig den Rücken zuwendet.

Baumlogik versus Menschenlogik

Der ist aus Stein, sagen Sie? Na und. Das Material ist mir wurscht. Tatsache ist: Der arrogante Typ hat einfach keine Umgangsformen. Dabei ist er Bürgermeister. Aber der wird schauen, wenn sie ihn zerstückeln und fortschaffen, damit sie diese absurde Tiefgarage bauen können. Nur leider, ich werd’s nicht richtig genießen können. Denn ich wird‘ von allen Seiten von Betonmauern umzingelt sein. Rechts die U-Bahn, hinter mir der U-Bahn-Abgang, vor mir die Tiefgarage und links die Tiefgaragenausfahrt. Endstation für meine Wurzeln. Wenn die sie nicht eh schon vorher – irrtümlich werden sie sagen – verkürzen.

Dabei ist die Garage total für die Katz. Weil es gibt ja genug in allernächster Nähe. Aber die Leut‘ stellen ihre Autos nach wie vor lieber auf die Straße. Das ist billiger, sicherer, praktischer und weniger unheimlich.

Woher ich das weiß? Na, glauben Sie, wir Bäume reden nichts untereinander? Die Bäume am Ring, die sehen genau, was passiert. Wer zum Beispiel von der Zedlitzgassen oder am Georg-Coch-Platz in die Garage fahrt und wer nicht. Und außerdem hör ich ja, was die Leute so sagen, und Zeitung mitlesen tu ich auch.

Aber reden wir über was anderes. Sonst reg ich mich auf, und dann brauch ich mehr Wasser, und dann merk ich, dass das Grundwasser auch nicht mehr das ist, was es einmal war.

Eigentlich ist sehr wenig so, wie es einmal war. Wo der Plachutta ist, war schon in der berühmten Nachkriegszeit ein Restaurant, auch den Eissalon gibt’s schon sehr, sehr lang, das Café Prückel noch länger, nur der Taxistandplatz davor war früher einmal an der Ecke Biberstraße, wo heute Harry’s Time ist. Die Taxis haben ausg’schaut wie Kasteln auf Rädern, und die Taxler waren sehr laut, zumindest ist’s mir so vorkommen, weil’s ja kein Nachtleben geben hat. Bei Tag war mehr los, aber angenehm, wenn’s verstehn, was ich mein. Gelegentlich ist ein Pferdefuhrwerk auftaucht, zum Beispiel mit der Milch, ab und zu ein Motorrad, mit oder ohne Beiwagen, schon ein bissel öfter ein Fahrrad, aber seltener als heute, glaub ich. Die meisten Menschen sind zu Fuß gangen oder mit der Bim g’fahren. Die Waggons waren bumvoll, die Leut sind sogar außen auf den Trittbrettern g’standen, genauer gesagt: g’hängt. Und am Ring hat ein Polizist mit Handzeichen den spärlichen Verkehr geregelt.

Aber dann sind die Autos immer mehr worden. Man hat die Straße breiter g’macht. Die Mauer in der Dominikanerbastei war früher schief – sie ist begradigt worden, aus Platzgründen. Und dort, wo heute der DM ist, war einmal ein großes Restaurant, der Dominikanerkeller, mit einer Terrasse im ersten Stock, die ziemlich weit nach vorn gegangen ist. Die hat auch einer „erweiterten Fahrbahn“ weichen müssen, die wiederum inzwischen in eine Fußgängerzone umfunktioniert worden ist. Und aus dem Café Stadtpark ist ein Autosalon worden. Heute befindet sich dort eine Bank. Ist das nicht alles grotesk?

Was ich von Autos halt? Was soll ich von ihnen halten? Sie sind ja keine Lebewesen und tun nur das, was man mit ihnen macht. Das ist zwar schlimm genug, aber sie können nix dafür.

Apropos nix dafür können. Da hab ich neulich ein Gespräch belauscht zwischen einem Psycho- und einem Marketingexperten. Die haben über die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung geredet, nämlich dass der so genannte freie Wille beim Menschen was sehr Fragwürdiges ist. Also manchmal versteh ich euch ja überhaupt nicht. Ich persönlich weiß ziemlich genau, was ich will und was ich nicht will. Und ob ich das freiwillig tu oder nicht, ist mir egal.

Sie meinen, dann brauch ich auf das Denkmal auch nicht bös sein? Das ist doch ganz was anderes.

Das ist nicht logisch? Na gut, das ist halt meine Baumlogik, und Sie haben Ihre Menschenlogik. So ist es halt.

Nein, ich bin nicht beleidigt. Da müsst ich ja ständig beleidigt sein. Nur ein Beispiel. Sagt ein B’soffener zum anderen: „Wos, des waaßt net? In wos fir a Schul bist denn gangen? In die Baumschul?“ Na, wenn das politisch korrekt ist.

Aber auch die übertriebene Baumseligkeit geht mir auf die Nerven. Etwa wenn mich wer „Bruder Baum“ nennt, obwohl ich weiblich bin …

Von mir aus. El plátano. Wär ich halt in Spanien männlich. Wenn ich gewusst hätt‘, was Sie für eine I-Tüpfel-Reiterin sind, hätt‘ ich mich auf dieses Interview nicht eingelassen.

Warum Menschen „verwurzelt“ sein wollen …

Okay, okay, ich wollt Sie nicht kränken. Und Sie mich auch nicht. Zahlt sich ja net aus. Bleiben wir lieber sachlich.

Natürlich hab ich den U-Bahn-Bau überlebt. Damals hab ich nämlich Freunde in der Stadtplanung gehabt. Deshalb fahrt die U3 ja auch nicht unter mir durch. Aber jetzt … Denen bin ich doch völlig egal. Die überlassen mein Schicksal den Gutachtern. Und die vertreten immer die Meinung von denen, die sie bezahlen. Steht in der Zeitung. Und wenn mir was passiert, dann ist wieder keiner daran schuld. „Eine unselige Verkettung von Umständen.“

Ich sag Ihnen was: Ich hab Angst. Am liebsten würd‘ ich flüchten. Aber ich hab ja keine Füße, sondern Wurzeln. Ich versteh eh nicht, warum viele Menschen so gern behaupten, Wurzeln zu haben oder haben zu wollen. Die wissen nicht, wovon sie reden.

Und wenn ich ihn doch überleben sollte, diesen völlig unnötigen 5-stöckigen unterirdischen Monsterbau … Mit der Gemütlichkeit wär’s vorbei. Ehrlich gesagt, im Großen und Ganzen g’fallt mir der Platz, so wie er jetzt ist. Abgesehen von den Autos, die von der Wollzeile kommen und zum Ring fahren. Aber sonst – ein reines Idyll. Die Menschen sitzen gern auf den Bänken unter meiner Krone. Besonders, wenn’s heiß ist. Sie ruhen sich aus, machen Mittagspause, plaudern, lesen, beobachten die Passanten, essen Eis oder was sie halt grad mit haben. Und die vielen Touristen – alle möglichen Sprachen hört man da.

Auf den Stufen vom unhöflichen Lueger-Denkmal – eigentlich hab ich mich auch schon daran gewöhnt – spielen nach wie vor Kinder. Gelegentlich tauchen auch Nachwuchskünstler auf und zeichnen. Vorm Lueger, da gibt’s eine weitere Bankreihe und dahinter einen Rasen mit herrlich duftenden Rosen. Dort sitzen die Leute, die die Sonne genießen wollen, und schauen freundlich zu mir herüber.

Ja, und genau dort wollen die den Tiefgaragenausgang hinbauen. Also die üblichen hässlichen Liftkabinen. Die Entlüftungsschächte sollen in den Rasen münden. Und das alles wird subventioniert!

Wissens, was ich glaub? Irgendwann einmal werden die draufkommen, dass die meisten Autos in der City nix verloren haben. Auch am Ring net. Und was machen’s dann mit den ganzen Tiefgaragen?

INFO

BI Luegerplatz

www.platane.at

1011 Wien, Postfach 169

Tel.: (01) 513 26 92

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