Aus der Tiefsee der ErkenntnisArtistin

Der alte Panikmacher ist wieder da nicht nur als Reminiszenz

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Udo Lindenberg hat mit seinem feinen neuen Album Stark wie Zwei fast so etwas wie einen Überraschungserfolg gelandet und stattete vor kurzem Wien einen Kurzbesuch ab.

Die Freude ist groß, die Zedee geht enorm ab muss sagen, wir haben das schon ein bisschen gedacht, aber das mit dem Goldstatus hoch erfreut. Udo Lindenberg lässt den gerade noch sichtbaren Schwefelkopf eines Zündholzes von einem Mundwinkel zum anderen wandern. Wirklich niemand kann so gut Laute verschluckend und Wortketten bildend deutlich werden, sich in einem Satz über das Donauinselfest, das er noch gut im Gedächtnis hat, genauso wie über die Kooperation mit Falco, mit den Detektiven, bis zu den Panik-Shows so gut verlieren, dass einem beim Zuhören die Dezennien nur so verrinnen.

Ich bin gerast durch dieses Leben / bin geflogen aus den Kurven / hab‘ mich selber ausgeknockt / und immer weiter gezockt / Wo was los war ich war da / war der Hexer in jeder Bar / ich war hinter jeder Grenze und so viel weiter / Mann, ich hab‘ mich selber fast verlor`n / Doch so’n Hero stürzt ab, steht auf, startet von vorn …

(erste Strophe von Ich zieh‘ meinen Hut)

Wer so etwas auf seinem zirka 28sten Album, wenn wir die DVD 30 Jahre UdoLindenberg & das Panikorchester (2005) mitzählen und dafür Panik mit Hut. Die Singles (2006) weglassen, singt, der hat sich nicht nur einmal verloren. Ja, Selbstzweifel über so einen langen Zeitraum kommen schon auf: Du sagst dir, einiges hast du gut gemacht und das nicht so. Es fehlt dir auch so ’ne Orientierung für die Zukunft. Wie willst du diesen Gummihosen-Teeny-Starschnitt-Pop-Typ, wie soll er mit 60 auf der Bühne stehen? Udos unvermeidlicher Hut vibriert synchron mit den unsichtbaren Augenbrauen mit. Da war ich mir nicht klar, es gab keine Vorgaben, ich hatte keine Vorstellung.

Es gab auch keine Vorbilder. So was wie einen Chanson-Rock wie in Frankreich ’nen Chansonier auch nicht. Charles Aznavour mal sprechen können oder Yves Montand, so einen großen alten Herren, so was müsste man erst erfinden in Deutschland. Wie man sich da so definiert mit 60 auf der Bühne, da gab es natürlich Unsicherheiten. Und, nach einer Pause, in der das Streichholz kurz auf dem Tisch abgelegt wird, um sofort wieder aufgenommen zu werden, ob ich in der Lage bin, mit den Exzessen auf die Dauer klarzukommen, das war auch echt ’ne Frage, da war ich ein bisschen verloren, da wusste auch der Nervenarzt wirklich nicht so recht Huthüpfen und leises Ansingen und der Nervenarzt weiß auch nicht mehr, wie`s weitergeht, jawohl, aber sonst ist wieder alles klar, auf der Andrea Doria! Udo war ganz schön weggesunken, jetzt taucht er wieder auf wie so ein Amphibienmensch, sagt er, ein Amphibienfahrzeug im Wasser, aber auch unter Wasser, also in den Tiefen, in der Tiefsee der Erkenntnis.

Alkohol ist ein Kampf, den viele Künstler kennen, daher findet Udo manchmal wichtig zu sagen: Man muss sich als Künstler nicht zwangsläufig besaufen, oder alle Drogen nehmen, man kann aus sich selber herausstrahlen und leuchten, von außen gar nichts nehmen müssen. Diese Option sollte man den jungen Leuten wirklich freihalten. Das heißt auch wieder nicht, dass man sich fürs Alter die totale Askese aufheben muss, so à la . Siddharta, als ich das las, fand ich mich zu jung und sagte auch, jetzt muss ich einen saufen gehen Jedenfalls legt Udo Wert darauf, dass er kein Klischee erfüllt, nicht eine Rolle mimt, nach dem Motto: Das ist die Figur und das der echte Udo. Ne, das ist kongruent, würde sagen, 100 Pro kongruent, bis auf natürlich so ein paar geheime Inseln wie bei Marlon Brando, Marlene Dietrich, die sind einem auch lieb und intim. Aber sonst, ich lebe auch gern in der Öffentlichkeit, auf der Bühne. Man lässt sich teuer beleuchten, ein bisschen Narziss und Goldmund

Udos Ding

Er hat sich Zeit genommen für Stark wie Zwei, und die Texte sind noch stärker als der Titel. Manches liegt so im Wind der Zeit, ja eher so in der Luft, schwingt das Streichhölzchen mit dem Plaudern aus der Textschnitzerschule. Obwohl in Udos Texten schon immer Hermann Hesse und neuerdings auch Ödon von Horvath vorkommt die Sachen schnappst du irgendwo auf , erinnerst dich an eine Korrespondenz zwischen einer Panik-Show und auf der Straße und der Szene und Graffity, irgendwelche Flüsterattacken, plötzlich ist ein Spruch da, du weißt gar nicht so genau, woher der kommt, der ist dann halt so einfach da ja? Ich schreibe nicht so einsam oder studiere Literatur und Bücher. Ich les‘ ein bisschen, aber das hält sich auch in Grenzen bin mehr so unterwegs. Ja, bestätigt der Udohut, und alles ist so, wie man sich ein durch und durch Udo-Album ausmalen würde. Das beruhigt. Man freut sich, dass nichts schief gegangen ist.

Es gab schon Zeiten, in denen Udo Lindenberg nicht so sehr auf Kritiker-Rosen gebettet war. Andererseits ist die Panik-Sache immer dabei. Weil es kein Zufall ist, dass die Texte wieder dichter sind, ganz in die Zeit passen. Gleich die zweite Nummer Wenn du durchhängst entstand, weil Udo gerade irgendwo auf See einen Anruf von einem Kumpel bekam, der gerade in Schwierigkeiten war: Ich sagte ihm, keine Panik, wir drehen das Ding schon gemeinsam, und dann kann dir das alles am Arsch vorbeigehen. Oder in Interview mit Gott stellt Udo gleich nach dem Werbeblock die Fragen, die sich heutzutage wohl viele stellen. Aber man hat als Gott auch noch was and`res zu tun., Als sich um eine durchgeknallte Menscheit zu kümmern.

Panikattacke. Aber echt. Der alte Panikmacher ist wieder da, nicht nur als Reminiszenz, wie sein Produzent, Andreas Herbig, den sich Udo wirklich gewünscht hat, das sah. Udo, weißt du, ich bin ja auch so ’ne Art Fan, hat er zu mir gesagt, Wie will ich dich hören? Als Kleinkind hab ich deine Sachen gehört. So wollte er mich. Man kann Herbig nur Recht geben. Die Platte soll ein kleiner Gruß in die Anfangszeit des Panikorchesters sein. Das hört man zum Beispiel, wenn Greise heiß sind und man unwillkürlich an die alte Ode Wir sind Rocker denken muss oder den Cowboy Rocker gen Las Vegas die Sonne putzend entschwinden sieht. Wir wollten diesen lässigen, schlurfigen Straßensound, keine Synthesizer, das Zündhölzchen hüpft begeistert mit dem Udohut um die Wette, Schmeiß die Synthis ausm Fenster raus, kein Computer, alles richtig live, schön transparent, Stimme auch ganz weit vorne, nicht so schön singen, schön singen ist richtig albern, sing ganz dirty die Straße will ich hören, Onkel Pö soll auch anklingen.

Wann Udo seinen Hut ziehen wirklich wird


Ernst Molden, der auf einer seiner beiden jüngsten CDs (Foan/Monkeymusic) Udo Lindenbergs Song Ich lieb‘ dich überhaupt nicht mehr auf I steh ibahaupt ned mea auf di umgedichtet hat, erzählte nur von einem Künster, der seit 20 Jahren oder so in einem Hotel in Hamburg wohnt. Und alle wussten, wer gemeint war. Ja, das war so eine fixe Idee, ich kam aus Querstrich Gronau, nicht an der Donau, Udo scheint in Reimen zu denken, da kam ich her, es gab keine Kohle mehr, ungefähr so, an nassen Matratzen herumgelutscht Udo kam also sehr arm nach Hamburg mit dem Vorsatz, Kohle müsse her, saß nun auf der Wiese und guckte am Kempinski hoch: Das war schon ein guter Fixpunkt, diese Präsidentensuite, ich musste jetzt noch den Weg finden, wie ich da reinkomme, aber, dass ich das erreiche, das war ’ne klare Sache, vielleicht als Berater auf der Reeperbahn

1980 hat er angefangen, in Hotels zu wohnen. Als Erstes in New York Hampshire im Essex-House, dann ging er nach Berlin auf ein paar Jahre ins Interconti, dann ins Hamburger Interconti. Seit 13 Jahre residiert Udo Lindenberg im Atlantic-Hotel in Hamburg, und er liebt es! Obwohl, Wien wäre eine superreizvolle Stadt, die er sich auch echt mal wieder ein bisschen genauer anschauen möchte, so ein bisschen unerkannt, getarnt. Also Hotel-Rezeptionen: Achtung, Udo könnte gut und gern incognito auftauchen Und eine richtige Udo-Show, so eine kleine Panik-Show, ist absolut zum Greifen nah. Gut incognito wird ihm dann aber etwas schwer fallen, so mit Hut. Vor wem, außer in einer Dankesbezeugung vor seinen Freunden, würde er ihn ziehen? Ich stelle ja mal so ’nen Alterspräsidenten in Deutschland wahrscheinlich, später, so in zehn Jahren. Dann, wenn die Deutschen mich zum Präsidenten wählen also so einen wie mich dann ziehe ich meinen Hut, öffentlich in der Tagesschau.

Info:

Udo Lindenberg/Stark wie Zwei

Starwatch Music/Warner Music

webtipp:
www.udo-lindenberg.de



Tipp für junge Musiker, die sich nicht verlieren wollen:

www.udo-lindenberg-stiftung.de

Eine Stiftung, die genau solche Leute auszeichnet, die damit konfrontiert sind, dass sie vom Radio nicht gespielt werden, keine Plattenfirma finden, weil sie eigensinnig oder Querulanten sind. Gesucht werden Leute mit Texten, Nachwuchsbands mit Schwerpunkt auf Texten im Geiste von Hermann Hesse und im Geiste der Panik, auch politische Dinge, äußerst kritisch für einen fairere Welt von morgen. Heißt ..