Franzobels neue Seiten
Wer glaubt, dass gute Literatur und schneller Trash ein Widerspruch sein müssen, kennt den Schriftsteller „Franzobel“ (noch) nicht. Nach dem viel beachteten Stück „Hunt oder Der totale Februar“, über die Bürgerkriegswirren 1934, legt er nun sein bisher größtes Werk in Buchform vor: „Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik“.Alles im Leben hat zwei Seiten, der neue „Franzobel“ sogar 656. „Schreiben ist so, wie Gedanken im Flug festnageln“, sagte Virginia Woolf. Hemingway spitzte angeblich vor dem Schreibvorgang 20 Bleistifte an und war danach erst richtig scharf aufs Schreiben. „Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest“, schrieb der Dichter Heinrich Heine. Und was sagt der Mittelpunkt dieses Augustin-Gesprächs?
„Schreiben ist eher wie einen Tunnel graben: Zuerst muss man einmal durchkommen durch den Berg, dann erst kann man ausschachten, Umleitungen graben, überarbeiten“, sagt der Dichter mit dem Pseudonym Franzobel. Und wann braucht man schon einen Falschnamen höchstens beim Schwarzfahren in der U-Bahn, oder?
Franzobel, geboren als Stefan Griebl, schrieb für das oberösterreichische Wolfsegg am Hausruck das Stück „Hunt oder Der totale Februar“, das trotz einiger voreiligen Interventionen seine unbehinderte Uraufführung mit Hundertschaften von Mitspielern/Komparsen/Musikanten im August 2005 erlebte (und nächstes Jahr alternierend mit dem Frankenmarkter Würfelspiel dargeboten wird).
Rückblende 1: Der Bewältigungsversuch über den österreichischen Bürgerkrieg des Jahres 1934 polarisierte. Das Theaterstück über die Kampfhandlungen zwischen sozialdemokratischen Schutzbündlern und ÖVP naher Heimwehr-Verbände im Hausruck sorgte schon im Vorfeld für einige Aufregung. Gräben würden aufgerissen, meldete sich ein schwarzer Landtagsabgeordneter aus Linz zu Wort. Die lokalen Theatermacher befürchteten Zensur und eine Erschwerung ihrer ohnehin schon sehr ambitionierten Arbeitsbedingungen. Franzobel verabschiedete sich vom Hausruck, dem Gebirgskamm im Alpenvorland, schnurstracks ins Fernsehen und überzeugte ruhig und unaufgeregt, wie es seine Art ist, im „Treffpunkt Kultur“. Mit Regisseur Georg Schmiedleitner, der schon einige historische Stücke für Rabenhof und Volkstheater inszenierte, gelang es, bleibenden Eindruck in der von EU-Projekten wie „Leader plus“ geförderten Region zu hinterlassen.
An Schulen wird Zeitgeschichtliches über das Jahr 1934 kaum vermittelt, auch Schüler Griebls Wissen aus der HTL-Zeit war dürftig. Im Stück geht es um den Sozialdemokraten Ferdinand Fageth, der verzweifelt versucht, mit einigen Schutzbündlern den anrückenden Trupp der „Hahnenschwanzler“ aufzuhalten. Im Arbeiterheim von Holzleithen wurden schließlich, auf einen Befehl hin, sieben Arbeiter erschossen. Und dabei ging es nicht um den guten alten Krieg gegen das Fremde, das „uns“ ständig bedroht, sondern um nichts anderes als Nachbarn. Allesamt mehr oder weniger gute Bekannte: alt eingesessen, voll integriert ins Dorfgeschehen der funktionierenden Ortsbilder.
Sagenhaftes Output nach dem Bachmann-Preis
Hauptdarsteller Karl Markovics brillierte als Fageth, sein Widerpart im Stück ist Franz Froschauer, der in einer Doppelrolle sowohl als radikaler Schutzbundführer Skrabal als auch der Heimwehrführer Frühwirt agiert – zwei sich trotz allem ähnelnde Seiten derselben Medaille suggeriert. Egal, welche Seite: Nur die Menschlichkeit zählt. „Was für eine politische Richtung einer einschlägt, ob rechts oder links, hängt von den Umständen ab. Aber was einer draus macht, ob er Mensch oder Arschloch ist, daran muss er sich messen lassen!“, erhebt Karl Markovics im finalen Monolog den mahnenden Zeigefinder und gibt den beinahe 1000 Leuten pro Veranstaltung diese Botschaft mit auf den Nachhauseweg. Und schlussendlich hat es auch der ÖVP gefallen (oder sie hat sich dazu durchgerungen, mit dem Franzobel’schen Elaborat gut leben zu können). Dabei erinnert der Dichter in der persönlichen Begegnung die nicht zwischen Buchdeckeln, sondern im Cafe Wortner auf der Wieden stattfindet eher an ein sympathisches Klon-Konglomerat aus ÖVP-Politikern: listige Hasenzähne a la Taus, staatsmännische Brille wie Mock, genüsslicher Bauchansatz wie Graff und darober ein spitzbübisches Gehirn wie Busek. Also müsste die Volkspartei ihn eigentlich adoptieren, könnte man denken! Wird schon noch passieren, spätestens nach den nächsten Auszeichnungen des umtriebigen Vielschreibers, der seine Gesamtauflage etwa auf 50.000 Exemplare grob schätzt.
Rückblende 2: Geboren wurde Franzobel als Stefan Griebl am 1. März 1967 in Vöcklabruck. Dort machte er die HTL-Matura für Maschinenbau. Während dieser Zeit, sagt er, kam er über die Disney-Lektüre von Donald Duck und Micky Maus zum Lesen. Danach begann er eher untypisch für einen mickymauslesenden Techniker Germanistik und Geschichte in Wien zu studieren. Während der Studienzeit verdingte er sich als Komparse im Burgtheater und fand zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Malerei und Konzeptkunst. Dass er ein eher untypischer Autor ist, sieht man am Studienabschluss, aber „Herr Ingenieur“ hat noch niemand zu ihm gesagt.
Die meisten Literaten werden durch den praxisfernen Uni-Betrieb eher entmutigt, denn bekräftigt, sodass sie sich der Prioritätenfrage stellen müssen: Theorie oder Praxis? Franzobel kann mit beiden Seiten der Medaille gut leben: 1994 beschloss er sein acht Jahre dauerndes Studium an der Germanistik mit einer Diplomarbeit über die visuelle Poesie mit Schwerpunkt Österreich, also könnte es durchaus auch passieren, dass ihn jemand mit „Herr Magister“ anredet.
Und gleich ein Jahr darauf, 1995, wurde er Erster im Wettlesen, das jedes Jahr im Gedenken an eine große Tochter in der südlichsten Landeshauptstadt stattfindet. Seit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ist er ausschließlich als Literat tätig. Mit einem sagenhaften Output. Wie überhaupt die 90erjahre eine produktive Zeit waren. 1992/93 wurde er zum Linzer Stadtschreiber. Zwei weitere Preise erfreuen heute noch das Gemüt des einzigen österreichischen Dichters mit Pseudonym. 1998 erhielt er den „Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor“ und 2002 den „Arthur Schnitzler-Preis“ in Wien.
Frankreich gegen Belgien
Seitdem wird er auch von seiner Wahlheimat Wien vereinnahmt, wohnt doch der Vater von Söhnchen Laurenz beim Augustin-Redaktionsbüro gleich ums Eck und wandert sinnierend durch den vierten Hieb. Kopfschwer mit Erzählfäden, getroffen von Gedankensplittern. Flanieren, nannte man das zu Zeiten Heimito von Doderer. Lustwandeln zu Schnitzlers Zeiten. Und heute? Ist er ein Getriebener?
„Nein, aber ich schreibe gern, es ist für mich mein absoluter Wunschberuf.“ Die ersten neun Veröffentlichungen (darunter die Lexikonromane „Wimmerldrucker“ und „Thesaurus“ im Eigenverlag) fanden südlich des heimatlichen Oberösterreich, in Klagenfurt, statt. Nach dem Gewinn des Bachmann-Preises griff der renommierte Suhrkamp-Verlag zum gekürten Werk „Die Krautflut“. Über 20 Bücher tragen seither das Prädikat „Franzobel“ in der Autorenzeile „Ich sage immer, es sind zwanzig Bücher und fünf Romane, aber wie viel es wirklich sind, zähle ich nicht mehr“. Ebenso gibt es schon etliche Sekundärliteratur über ihn. Zwei Kinderbücher („Die Nase“ und „Schmetterling, Fetterling“ mit Illustrationen von Sibylle Vogel) sind im Picus Verlag erschienen. Und soviel ist gewiss: Es werden nicht die letzten gewesen sein!
An Vorlagen, nicht nur historischen, hat Franzobel sich abgearbeitet: „Austrian Psycho“ ist ein Mischmasch aus Bret Easton Ellis‘ gewalt(tät)igem Roman „American Psycho“ und eine Exegese aus dem gutmütigen „Hödlmoser“, aus der Feder des gemütlich österreichischen Autors Reinhard P. Gruber.
Inzwischen ist auch Franzobels neuester Streich, ein Buch mit über 600 Seiten erschienen. Dafür benötigte der Dichter den für ihn unüblichen Zeitrahmen von sechs Jahren. Es geht um einen Unmenschlichkeits-Gewinnler namens Wuthenau, der ein Heimatloser aus Verzweiflung ist. Dieser traurige Spekulant gerät in der Mitte der 50erjahre nach Südamerika, macht Bekanntschaft mit Nazis, gerät in eine Orgie, heiratet, errichtet das erste Atomkraftwerk Argentiniens, bekommt in der DDR die Brecht-Medaille und stellt Wien auf den Kopf. Es ist ein über mehrere Epochen gehendes Familienepos wie es derzeit modern ist aber auch ein Schelmenroman und gewiss ein Stück österreichische Literatur von Bestand. Das Panoptikum eines aus den Fugen geratenen Jahrhunderts in der Retrospektive.
Das personelle Setting des starken, von der Kritik bereits gefeierten Romans sieht auf den ersten Blick aus wie eine Sammlung von Playmobil-Figuren: Irgendwie ist alles vertreten an Schießbudenfiguren und Knallchargen, was nur dramaturgisch etwas hergibt. Und erstmals geht der Autor dabei wortgewaltig, wie es seine fulminante Art ist, über 600 Seiten und mehrere Jahre seines Schaffensprozesses. Nur „Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt“ wurde mit etwa 400 Seiten ein ähnlich ausuferndes Opus magnum.
Normaler Weise schreibt Franzobel ein bis zwei Werke pro Jahr. Dieser locker dahinfließende Erzählstrom geht gut ab, verkauft sich auch dank des anerkannten Namens, den er sich gemacht hat. Und bei durchschnittlich 180 Seiten kann nicht viel verhaut sein, denkt sich die treue Leserschaft, der er seine mindestens zwanzig Buchrücken zudreht.
Ein Spielstand soll für Franzobels Künstlername Pate gestanden haben. Gesehen und geschehen bei einer WM oder EM in den 80ern. Die Einblendung FRAN2:0BEL habe ihn erleuchtend inspiriert, gerade als Frankreich 2:0 gegen Belgien geführt haben soll. Ein Fressen für die Pressen dieser Legendenwelt. Und seither ist er Experte für alles, das mit Fußball zusammenhängt. Auch wenn es ihn „mittlerweile nicht wenig anzipft“, aber so ist das mit dem Expertentum – und ein Autor muss froh sein, wenn er überhaupt irgendwo vorkommt.
Das Literaturhaus weiß es besser, bezüglich der Legendenbildung: „Der Autor Franzobel war vor seiner schriftstellerischen Karriere fünf Jahre lang als bildender
Künstler Franz Zobel tätig. 1991 erklärte er seine Produktion bildender Kunst für beendet. In seinem Buch ,Schinkensünden. Ein Katalog‘ rechnet er mit seinen eigenen künstlerischen Ambitionen und dem Kunstbetrieb ab: ,Ich definierte damals die Laufbahn des Dichters Franzobel als Konzept des bildenden Künstlers Franz Zobel'“, steht es geschrieben in der Publikation „zirkular“. Egal, jeder Mensch darf sich selber finden und erfinden. Wenn auch nicht wahr, so auf jeden Fall gut erfunden. Und das kann er, keine Frage!
Franzobel „Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik“, erschienen im Zsolnay Verlag, ISBN 3-552-05349-2, Roman mit 656 Seiten, Hardcover