Ausgelieferttun & lassen

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Anna Wachter ist 84 Jahre alt, hat Pflegestufe 2 und benötigt einen Rollator. Sie erhält 480 Euro Unterhalt von ihrem Ex-Mann, den Rest auf die Existenzgrundlage von 890 Euro stockt sie mit Mindestsicherung auf.

Wie viele Frauen hat sie ihr Leben lang zwar gearbeitet, aber dafür keinen Lohn und keine Versicherung bekommen. Als letztes Netz hilft hier jetzt nur mehr die Mindestsicherung. In Niederösterreich gibt es nun ein neues Gesetz, das vorigen Dezember ohne viel Diskussion durch gewunken wurde. Dieses Gesetz macht einiges möglich: So erhielt Frau Wagner einen Brief von der Gemeinde, wonach im Ort „Bedarf an der Erbringung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten“ bestehe. „Sobald wir eine konkrete Tätigkeit für Sie haben, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen“, stand da geschrieben – unterschrieben vom Bürgermeister. Möglich wären Straßenkehren oder Rasenmähen.

Diese Aufforderung an eine pflegebedürftige Frau ist kein Zufall – wie die dafür Verantwortlichen gleich zu beschwichtigen versuchten. Das kann chronisch Kranke, Teilzeitarbeitende mit Kindern, Alleinerzieherinnen – kurz alle treffen. So schwammig und unbestimmt ist das formuliert. Da ist die Willkür ins Gesetz geschrieben. Leute werden rechtlos gemacht und dem Belieben und dem Gutdünken der Behörden ausgeliefert. Der Willkür ist hier Tür und Tor geöffnet. Schaut aus wie das autoritäre „Armenwesen“ des vorigen Jahrhunderts, erinnert an das Heimatgesetz von 1863. Zuständig war die Gemeinde, in der man geboren oder als Frau verheiratet war. Die Bedingungen, die aus strikter Anbindung an die Heimatgemeinde, Arbeitspflicht, Kontrolle, Entzug des Wahlrechts, Disziplinierung und dem Fehlen von Rechtsansprüchen bestanden, wurden mit dem Vagabundengesetz in den 1880er Jahren noch verschärft.

Zurück in die Zukunft. Schon die Gesetzwerdung im vorigen Winter verlief so autoritär wie ihr Inhalt. Ein paar Tage vor Beschluss wurde dieser Abschnitt überfallsartig ins Gesetz hineingeschrieben – ohne Begutachtung, ohne öffentliche Diskussion. Wie schon bei sozialpolitischen Verschlechterungen der Vergangenheit hat sich die Landesregierung von Niederösterreich zentrale Einschnitte für Anträge im Sozialausschuss aufgehoben. Der strategische Vorteil: Durch die kurze Zeitspanne zwischen Sozialausschuss und beschlussfassender Sitzung des Landtages hat es eine kritische Öffentlichkeit schwer, die Vorhaben überhaupt wahr zu nehmen und zu diskutieren. Darunter leidet dann auch die Qualität. Und: Demokratie sieht anders aus. Besonders bei Grundrechtsfragen.

Im Kern handelt es sich um autoritäre Maßnahmen, die Grundrechte und Bürger_innenrechte missachten. Auffallend ist, dass diejenigen, die Werte ständig auf ihren Lippen führen, die ersten sind, die Grundrechte begeistert aufweichen. Es drängt sich der begründete Verdacht auf, dass über Werte gesprochen wird um über Menschenrechte zu schweigen. Auffallend ist stets: Die sich nicht wehren können, weniger Einfluss haben, sind die ersten bei denen Grundrechte fallen. Sie bilden so etwas wie ein Versuchslabor, wo Dinge erprobt werden, die über kurz oder lang dann bei allen Anwendung finden. „Flüchtling“ wird gesagt, zum Straßendienst werden dann alle gezwungen.

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