Ausgestossen von der gediegenen Stadttun & lassen

AUGUSTIN bei den Kremser Sandlern

Jounalisten wie Herr Sagl aus Krems sorgen dafür, daß der Begriff „Provinzjournalismus“ negativ besetzt bleibt. Sein Aufschrei über die „Sandlerplage“ in der Beinahe-Hauptstadt Niederösterreichs provozierte einen AUGUSTIN-Bericht über die Lage der Ausgestoßenen in Krems (Ausgabe Nr. 38) – und eine Aktion der AUGUSTIN-Verkäufer, bei der es zu einem ersten „Krems-Wien-Sandlertreffen“ kam. Rainer König-Hollerwöger, „Basissoziologe“ (Eigendefinition) und Ombudsmann der Kremser Obdachlosen, präzisiert hier für den AUGUSTIN die Situation in Krems.Wenn das Wort „Sandlerplage“ in der Kremser NÖN (Niederösterreichische Nachrichten) verwendet wird, dann befindet man sich inmitten nationalsozialistischer Ausdrucks- und Denkformen, die in sich das unter Hitler übliche Ausgrenzen anderer, damals vor allem nichtdeutscher, Gruppen beinhalten. Letztlich schwingt mit in einem derartigen Begriff die Hetze und Vertreibung jener nicht in ein gediegenes Stadtbild passenden Menschen, die nicht wert sind, als menschlich gleichberechtigte Bürger aufgenommen zu werden.

Daß mit jenem vom Kremser NÖN-Redakteur Udo Sagl gebrauchten Begriff „Sandlerplage“ auch das mitschwingt, was im Dritten Reich mit „Judenplage“ bezeichnet wurde, liegt in einem an den historischen Tatsachen zu messenden Sinnzusammenhang auf der Hand.

Im Sinn von Udo Sagl sind jene drei bis fünf Obdachlosen von Krems eine Plage, gegen die sich die Kremser BürgerInnen zu wehren hätten. Man müsse sie aus der Stadt vertreiben. Ob sie irgendwo in der bekannten Wachau oder im Waldviertler Hinterland erfrieren oder verhungern, ist dann nach erfolgter Säuberung der Stadt Krems von jenen die Kremser Kultur und Zivilisation zerstörenden Trunkenbolde nicht mehr von humanitärem Interesse.

Apropos Trunkenbolde. Die Droge Nummer 1 in Krems und in der Wachau ist nach wie vor der Alkohol. Wer einmal von dieser gesellschaftlich legalisierten Droge abhängig ist, kann nicht mehr mit dem Appell an die Vernunft geheilt und wieder in den „normalen“ Alltag zurückgeführt werden. Ist beim Alkoholabhängigen eine berufliche Basis und der entsprechende finanziell-materielle Hintergrund vorhanden dann ist die gesellschaftliche Deckung des Alkoholikers gegeben.

Der Alkoholismus wird dann zu einem gesellschaftlich auffälligen Problem, wenn die davon Betroffenen weder Kapital oder eigene Güter besitzen, noch einem geregelten Beruf nachgehen. Denn dadurch sind sie gezwungen, den Ort ihres Lebens auf den Bahnhöfen, Gehsteigen, in Parkanlagen, in Hausdurchgängen … aufzusuchen.

In Krems gibt es derzeit drei bis fünf Obdachlose, deren letzter überdachter Zufluchtsort nur noch die Männertoilette des Bahnhofes ist. Die bis vor kurzem im Warteraum neben der Zentralheizung gestandenen Bänke wurden bereits entfernt. Somit wurde den konstant unterkühlten Obdachlosen die Möglichkeit genommen, sich aufzuwärmen.

Der derzeitige Gesundheitszustand von zwei etwa 50jährigen Obdachlosen ist sehr bedenklich. Alfred hat einige Hautausschläge, wiederholt stechende Kopfschmerzen seit seinem Schädelbasisbruch und Nierenprobleme. Als ich vor kurzem mit jenen von der Stadt Krems nicht akzeptierten unterstandslosen Männern beisammen saß, zeigte mir Hans seine Füße. Vom unteren Fußbereich bis zum Knie sind die Füße offene Wundflächen. Vor ein paar Wochen wurde er vom Krankenhaus St. Pölten, in dem er nur kurzfristig aufgenommen worden war, entlassen mit der ärztlichen Empfehlung, er solle seine Füße regelmäßig pflegen, waschen und mit einer Salbe einschmieren. Obwohl Hans dem Arzt mitteilte, daß er kein Dach über dem Kopf habe, wurde er in diesem Zustand entlassen. Notdürftig „pflegt“ er sich derzeit in der kremser Bahnhofstoilette.

Wie die Kremser Obdachlosen meinen, gehe es ihnen seit dem in der NÖN erschienenen zweiten Artikel von Udo Sagl (siehe Faksimiles) über ihre Situation „beschissen“. Sagl verwendete, ohne mich zu fragen, ein im AUGUSTIN veröffentlichtes Bild, auf dem drei Kremser Obdachlose und ich auf einer Bahnhofsbank sitzend abgebildet sind. Die Betroffenen werden laufend beschuldigt, Einbrüche zu machen. So mußten sie vor kurzem zur Kremser Kriminalpolizei gehen, wo sie wegen in Stein (!) verübter Autoeinbrüche verhört wurden. Das sie belastende „Argument“: Ein Kremser Bürger habe die Meinung vertreten, die Obdachlosen hätten „so viel Geld“.

Obwohl es sich herausstellte, daß sie nicht die „gefährlichen“ Autoeinbrecher von Stein waren, werden sie bei allen in Krems und Umgebung vorkommenden Delikten verdächtigt, die Täter, ja schlechthin die lauernde Gefahr der Stadt Krems und ihrer Ordnung zu sein.

Einmal trieb die beißende Kälte die Obdachlosen in das Rathaus von Krems, wo sie sich aufwärmen wollten. Binnen kürzester zeit wurden sie vom Leiter des Kremser Sozialreferats des Rathauses verwiesen. Wieder standen sie in der winterlichen Kälte, wieder mußten sie frieren. Auch während der Nacht frieren sie trotz Schlafsack oder Decke, wenn sie in irgendeinem unbeheizten Waggon schlafen.

Die „Blonde vom Zuckerlgeschäft“, das direkt mit dem Bahnhofswarteraum verbunden ist, sei es gewesen, die veranlaßt habe, den Obdachlosen die im Bereich des einzigen Zentralheizungskörpers befindlichen Bänke wegzunehmen. Dieser „Bankraub“ stößt inzwischen auch auf Empörung bei älteren Leuten, die sich aufregen, weil es im Warteraum nur noch eine weit von der Heizung entfernte Bank zum Sitzen gibt.

Am 29. Jänner fand in Krems die Aktion der AUGUSTIN-Verkäufer statt – siehe Fotos. Sie rief in der Kremser Bevölkerung verschiedenste Reaktionen hervor. Der Ausgangsort der auch von mir mitgetragenen Aktion war das in Krems legendäre, am Steinertor gelegene, Café Ullrich. Als ein in Krems nicht Unbekannter ging ich in dem zu jenem Zeitpunkt stark von Jugendlichen besuchten Kaffeehaus von Tisch zu Tisch, auf die in der „Ersten Österreichischen Boulevardzeitunhg“ kritisch beleuchtete Kremser Obdachlosensituation hinweisend. Manche Jugendliche kauften mir sofort einen AUGUSTIN ab. Andere Café-Besucher rückten etwas weg und wären am liebsten nicht von mir gefragt worden, ob sie denn nicht auch einen AUGUSTIN kaufen wollten.

Die AUGUSTIN-Verkäufer konnten in der Innenstadt etliche Exemplare verkaufen. Die Passanten waren zum Teil über die „ungenierte“ AUGUSTIN-Aktion sehr erstaunt.


Info:

Mag. Dr. Rainer König-Hollerwöger, der Autor dieses Beitrags, hat als von der nö. Landesregierung beauftragter Sozialforscher die Ursachen der Obdachlosigkeit im Waldviertel untersucht. Seit dieser Zeit ist er sozusagen der informelle Ombudsmann der Kremser Obdachlosen – eine Arbeit, die in Krems unbedankt und unhonoriert bleibt und die König-Hollerwöger aus eigener Tasche finanzieren muß. Nicht für sich, sondern zur finanziellen Unterstützung der Kremser Obdachlosen gibt der Autor eine Kontonummer bekannt: Postsparkasse, Nr. 1273702, lautend auf Mag. Dr. Rainer König-Hollerwöger, Kennwort „Kremser Sandlerproblem“.

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