Austerität statt Brutalität in Simmeringvorstadt

Über eine gelungene Rettung im Elften

Miroslav Sraihans hat den Traditionsverein Simmering durch turbulente Zeiten geführt. Auf der Jagd nach sportlichem Erfolg darf aber die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleiben, findet der umtriebige Obmann im Gespräch mit Hannes Gaisberger (Text) und Mehmet Emir (Fotos).Zwischen den Feiertagen geht man es ruhiger an, und wenn Zeit bleibt, kann man auch Bilanz ziehen über die vergangenen Monate. Wenn diese positiv ausfällt, entspannt man sich an diesen Tagen sogar noch besser. So gesehen ein gutes Zeichen, dass Herr Sraihans zum vereinbarten Termin aufs Interview vergessen und sich im Fernsehen Skispringen angesehen hat. Noch besser, dass er trotzdem noch spontan nachgekommen ist, um ein paar Fragen zu beantworten.

Simmering ist ein Traditionsverein, der vielen durch einen Qualtinger-Spruch – der an dieser Stelle nicht wiederholt werden soll – im Gedächtnis verankert wurde. Hart soll es dort jedenfalls zugehen, Vorstadt halt. Als ich das letzte Mal am Platz war, hat dort Andi Ogris trainiert und in der Kantine seine(n) After-Match-Spritzer getrunken. Präsident war ein Selbstdarsteller – nennen wir ihn P. –, der in seinem Kammerl ein lebensgroßes Porträt seiner eigenen Wenigkeit hängen hatte. Zu den Hauptsponsoren zählte ein großer Saunaclub, der Fan-Nachwuchs driftete nach rechts ab.

Ein knappes Jahrzehnt später steht Simmering nach sportlichen und finanziellen Achterbahnfahrten recht solide da. Man hat vor zwei Jahren einen Sanierungsplan erarbeitet und so die drückenden Altlasten abgetragen. «Wir haben am 19. Juli die letzte Rate bezahlt. Das ist großartig. Das erste Mal, dass der Verein schuldenfrei ist. Das gab es seit ewig und einem Jahr nicht.» Miroslav «Mirko» Sraihans, der seit der kostspieligen Ära P. die Geschicke der rot-schwarzen Simmeringer als Obmann lenkt, hat allen Grund, zufrieden auf 2015 zurückzublicken.

 

Initiativbewerbung funktioniert

 

Der eloquente Pädagoge arbeitet schon lange für den Verein, bei dem er seinerzeit durch Zufall angeheuert hat. «Ich war Schülerliga-Trainer und habe einen Burschen von mir in den Nachwuchs von Simmering gebracht. Ich habe bei Spielen zugesehen und mir ist aufgefallen, dass die nicht gut spielen. Dann habe ich bei Trainings zugesehen und mir wurde klar, warum sie nicht gut spielen. Später habe ich ab und zu bei Spielen hineingerufen, und dann ist plötzlich der Trainer auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich nicht Co-Trainer werden möchte.» Es ist anzunehmen, dass der Verein mittlerweile Bewerbungen im konventionellen Stil bevorzugt.

Nach Jahren als Nachwuchstrainer wurde Sraihans Jugendleiter, zu jener Zeit, als sich die Schulden rasant aufzutürmen begannen. «Der Herr P. hat davon gelebt, dass er ein funktionierendes System mit Sponsoren gebracht hat. Da war schon eine Zeit lang ein ganz guter Betrieb möglich.» Nur hatte Simmering damals das Pech, dass sie von 2005 bis 2007 drei Mal in Serie Zweiter der Wiener Stadtliga geworden sind. Diese Nichtaufstiege, bei denen dennoch hohe Punkteprämien zu zahlen waren, haben das Konstrukt des Herrn P. gekillt. «Er war der Typ, der sich davon herausfordern lassen hat. Der hat sich gesagt: ‹Jetzt erst recht› und noch mehr reingehaut und den geholt und den geholt und irgendwann hat das nicht mehr geklappt.» P., der Geld von sich oder aus seinem Umfeld in den Verein gesteckt hatte, holte sich diese Beträge letztendlich wieder zurück. Dann war da ein Riesen-Loch in den Finanzen der Simmeringer.

Die folgende Strategie, so zu tun, als wäre nichts passiert, hat weder nach außen noch nach innen funktioniert. Sraihans erinnert sich mit Grauen: «Das war mörderisch. Wir haben uns nichts mehr leisten können. Man hat uns den Strom, das Warmwasser abgestellt. Wir waren der Spott der Liga.» Seine Arbeit als Jugendleiter, die dem Verein einen hervorragenden Nachwuchs beschert hatte, schien plötzlich umsonst gewesen zu sein. Also stellte Sraihans ein Schattenkabinett auf, und über einen gut vernetzten Rechtsanwalt, der seine Liebe zu Simmering wohltuend einbrachte, kontaktierte man potenzielle Sponsoren.

 

Schwarze Zahlen statt Rotlicht

 

Nach dem Abschied von P. hat der Verein versucht, sich auf juristischem Wege Gerechtigkeit zu erstreiten. Allein, das Geld blieb verschwunden. Der laufende Betrieb konnte mit dem neuen Sponsorennetzwerk gut abgedeckt werden. Doch jede Wirtschaftsflaute, jeder Ausstieg eines Großsponsors machte in den folgenden Jahren klar, wie chronisch angeschlagen Simmering in finanzieller Hinsicht noch immer war. Eisernes Sparen ruinierte dann wieder die Früchte jahrelanger Aufbauarbeit im Nachwuchs. Eine Viertelmillion Euro Altlasten wälzte man, wie eine Mischung aus Mistkäfer und Sisyphos, im 11. Bezirk vor sich her. Trotz aller Anstrengungen ist es nicht gelungen, diesen Block wegzubringen. Dank dem Sanierungsplan ist es nun also doch geschafft, Simmering schreibt wieder schwarze Zahlen. Was nun? «Jetzt versuchen wir, Reserven aufzubauen. Ganz gezielt so zu wirtschaften, dass Geld überbleibt. Damit man erstens etwas für Notfälle hat und andererseits in eine bestimmte Richtung planen kann.» Ob das Geld dann in Steine oder in Beine fließt, oder in Gehirne von Nachwuchstrainern – bei den Rot-Schwarzen wird es immer auch gewaltig menscheln.

Dazu muss man ein paar Worte zu dem Hintergrund von Sraihans verlieren. Zum Fußball sei er erst so richtig während seiner Ausbildung zum Sportlehrer gekommen. Neben seiner Arbeit in der Schule macht er Musik und Theater für Kinder, spricht ein Hörbuch mit afrikanischen Fabeln ein. 2011 gewinnt er die Auszeichnung «Teacher Of The Year» für seine Idee der Fußballklassen. Dort treffen sich die ihn bestimmenden Welten Schule und Fußball zu einer schönen Fusion. «Ich wollte in eine ganz gewöhnliche Hauptschule mehr Sport hineinbringen und habe dafür Fußball als Zugpferd genommen. Wir wissen, dass viele Kinder gerne Fußball spielen. Mein Ziel ist, den Kindern einen oder zwei Tage in der Schulwoche zu basteln, auf die sie sich freuen. Damit sie gerne in die Schule gehen. Wenn sie gerne in die Schule gehen, lernen sie auch gerne.» Diese Idee ist derart gut angekommen, dass sie von etlichen anderen Schulen kopiert worden ist.

IPS nennt sich ein weiteres lobenswertes Projekt, das Kürzel steht für Integrationsplattform Simmering. Im Lernclub können die Kinder unter professioneller Betreuung kostenlos an ihrer schulischen Performance feilen, den älteren Klient_innen wird geholfen, eine Lehr- oder Arbeitsstelle zu finden. «Solange ich dort Obmann bin, wird es das auch geben. Das ist ganz, ganz wesentlich für mich. Ich bin ein Obmann, der nicht aus der Wirtschaft kommt. Wir sind auf einem sehr hohen Leistungsstandard und trotzdem darf der Mensch nicht verlorengehen.» Da ist es fast schon selbstverständlich, dass sich der Verein bei der Hilfe für Flüchtlinge einbringt. Im Vorstand wurden erste Maßnahmen beschlossen: «Wir werden die Möglichkeit bieten, am Vormittag den Platz zu nutzen. Dann gibt es dort ja auch eine Infrastruktur, wo man etwa duschen kann, was in vielen Notaufnahmestellen nicht möglich ist.» Simmering ist längst nicht mehr so brutal, wie es sowieso nie war. Und auch nicht mehr so verschuldet, wie es immer war. Dank eines fleißigen Lehrers, dem zwischen Weihnachten und Neujahr ein bisschen Müßiggang vergönnt sei.

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