Autonomie und Autolacktun & lassen

Lutz Holzinger (1944 - 2014). Erinnerung an einen Überlegenden

Er starb ohne Schmerzen, erfahren wir aus dem Krankenhaus. Zeitlebens hatte ihn die Passivität seiner Zeitgenoss_innen geschmerzt. E i n e Arbeit konnte Lutz Holzinger nicht mehr vor seinem Tod zu Ende bringen. Es wäre ein Buch geworden, das der (katholischen) «Siegergeschichte», für die die Gegenreformation eine notwendige Normalisierung war, so umwerfend widerspricht, dass es als Unterrichtsbuch nicht gestattet worden wäre.Die Gegenreformation war nämlich begleitet von der ersten Vertreibung der Intelligenz aus Österreich. Diese und die viel bekanntere (und erst vor acht Jahrzehnten passierte) zweite Vertreibung, die im Gefolge des Anschlusses Österreichs an das Hitlerreich geschah, haben den kritischen Geist, der sich in Österreich immer wieder verdichtete, in einem Doppelschlag so ausgelaugt, dass sich die Gesellschaft bis heute nicht erholte. Die beiden Katastrophen wiederholen sich in der Zweiten Republik als Farce: Der Kreisky-Typus stirbt auf der höheren parteipolitischen Ebene aus und wird durch den Faymann-Typus ersetzt – die größte vorstellbare Hinfälligkeit.

Viel länger als sein Krebsleiden war sein Leiden an der Provinzialisierung Österreichs; der Ausbruch aus dieser Idiotie durch die Selbsterschaffung und Selbstorganisation einer zeitgenössischen Intelligenz war ein wichtiger Lebensstrang Holzingers. Gemeinsam mit Michael Scharang gelang es ihm Anfang der 70er Jahre, fast alle namhaften, gesellschaftskritischen österreichischen Schrifsteller_innen zu vernetzen. Der Arbeitskreis österreichischer Literaturproduzenten, von ihm selbst in einem auf Seite 22 dokumentierten Text vorgestellt, kann auch als Versuch gesehen werden, die fehlende Masse an klugen Nonkonformist_innen in diesem Land erstens durch ihre Organisierung, zweitens durch ihre Radikalisierung auszugleichen.

Poesie und Disziplin

Die Jura-Soyfer-Renaissance, die ebenfalls in der ersten Hälfte der 70er Jahre einsetzte, kann im Lichte dieser Emanzipation aus dem Provinzialismus gedeutet werden. Ohne den Beitrag Lutz Holzingers kann man diesen Prozess nicht darstellen, der die Popularisierung eines Dichters einleitete, der zum Bertolt Brecht Österreichs hätte werden können, wenn er nicht als 27-Jähriger in einem Nazi-KZ umgebracht worden wäre. Dank Lutz Holzinger wurde Soyfers verschollenes Romanfragment «So starb eine Partei» zum ersten Mal publiziert, dank Lutz Holzinger löste sich im Audimax der Wiener Universität zum ersten Mal «der Muff von tausend Jahren» in den frischen Windstößen von links auf, vermeintlich irreversibel. Vor mehr als 1000 Zuhörer_innen der von Holzinger organisierten Soyfer-Nacht las Qualtinger aus dem eben entdeckten Werk. Wenn heute davon die Rede ist, dass die 68er-Revolte in Österreich ein paar Stunden dauerte und im Hörsaal stattfand, ist das Happening der Wiener Aktionisten vom 7. Juni 1968 gemeint. Ihre wienerische Prägung und zugleich ihre Röte gewann die 68er-Revolte freilich in dieser denkwürdigen Nacht, sieben Jahre nach «68», also mit angemessener österreichischer Verspätung.

Dass sich die gebildeten Mitglieder der KPÖ, der Lutz Holzinger bis zuletzt angehörte, in den 80er Jahren nach der fast gesetzmäßig anmutenden politischen Verspätung auch Peter Weiss und seinem panoramatischen Roman «Ästhetik des Widerstands» zuwandten, auch daran war Lutz Holzinger nicht unschuldig. In seinem unendlich breiten Spektrum der Interessen ähnelte Holzinger für mich den Protagonisten der «Ästhetik des Widerstandes», er war für mich der Prototyp eines nachdenklichen Menschen, der sich selber keine Hierarchie der Interessengebiete auferlegte, anders als mir bekannte real existierende Karikaturen von Marxist_innen, die die Poesie als störend für die Disziplin empfanden. Holzinger lebte aus meiner Sicht eine Intellektualität vor, die Walter Benjamin als Verbindung von Poesie und Disziplin definiert hätte. Letzteres sollte man als revolutionäre Eigenschaft nicht unterschätzen: Diszipliniert realisierte Lutz Holzinger (im Verein mit seinem journalistischen Partner Clemens Staudinger) die Vereinbarung mit der Augustin-Redaktion, in jeder Ausgabe zuverlässig am Mythos des Raiffeisenkonzerns zu kratzen, so lange, bis der Konzern das Handtuch schmeißt. Das hat Holzinger nicht mehr erleben können, aber fast: Als Folge der Pleite der Ukraine und der Verstrickung in die Hypo-Unterwelt scheinen die Tage des Imperiums gezählt zu sein, um in Holzingers Optimismus zu verfallen.

Nach dem Aus der kommunistischen Medien «Volksstimme» und «Salto» wurde Holzinger, ohne die einschlägigen Agenda der Revolution zu vernachlässigen, Mitarbeiter eines Auto-Magazins und als solcher zu d e m österreichischen Experten in Sachen Autolacke (auch ich hielt das für übertrieben, bis ich nach www.firmenflotte.at googelte).

Ich kann meinem Lehrer Lutz Holzinger nicht mehr die Frage stellen, ob er nicht glaube, dass es in einem falschen Verkehr keinen richtigen Autolack gäbe. Ich sehe sein Lächeln voraus. Das Lächeln von einem, der amüsante Antworten auf blöde Fragen gibt, der sich andrerseits durch diese Frage auch ein bisschen ertappt fühlt …

Am Donnerstag, dem 10. April, wird im Rahmen eines Erinnerungsabends das Fragment von Holzingers Arbeit zur ersten Vertreibung der Intelligenz erstmals vorgestellt. Aktionsradius Wien, Gaußplatz 11, 19.30 Uhr.

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