Back to the Lovara-Rootstun & lassen

"Was wolltet ihr immer schon über die Roma wissen?", fragt Gilda Horvath keck

Neben den Burgenland-Roma bilden die ursprünglich aus Ungarn stammenden Lovara die österreichische Volksgruppe der Roma. Die Gesamtzahl der in Österreich lebenden Roma ist wahrscheinlich zehnmal größer. Als Dunkelziffer wird 45.000 kolportiert. Roma aus Ex-Jugoslawien bilden die Mehrzahl. Die Mitglieder der Familie Stojka zählen zu den international bekannten VIPs der Wiener Lovara. Vielleicht ist übermorgen ein anderer Lovara-Name, der gleichermaßen für Poesie und für den Kampf gegen Antiziganismus stehen wird, in aller Munde: Gilda-Nancy Horvath …Me sim Rom = ich bin ein Mann

Me sim Romni = ich bin eine Frau

Tschi schanaf = ich weiß nicht

Tschi atscharaf = ich verstehe nicht

Sar schal tuke? = wie geht’s dir?

Schanes romanes? = kannst du Romanes?

Me buschaf Robert = ich heiße Robert

Ga schas? = wohin gehst du?

Me tschi gamaf tut = ich mag dich nicht

Andi butschi sim = ich bin in der Arbeit

Für meine erste Lektion in der Sprache der Roma, mein erstes Romanes-Schnuppern ist Gilda-Nancy Horvath verantwortlich. Es geschah an einer Art „Tag der offenen Tür“ im Thara-Haus, einer aus EU-Mittel geförderten Mut-Tankstelle für jugendliche Roma. Die Selbstsicherheit, die Eloquenz und der selbstverständliche Umgang mit akademischen Begrifflichkeiten, womit die junge Romni die BesucherInnen an die seltsame Sprache heranführte, in der sie mitten in Floridsdorf aufgewachsen war, fielen mir sonderbar auf. Auch anderen muss das missionarische Talent aufgefallen sein, denn Gilda, 23 Jahre jung, ist mittlerweile die Leitung der Öffentlichkeitsarbeit des Thara-Hauses anvertraut worden. Thara heißt Morgen oder Zukunft und wird so ausgesprochen: Tehara.

Nun sitzt also eine Sprecherin des Hauses der Zukunft in der Augustinredaktion und fragt keck: „Was wolltet ihr immer schon über die Roma wissen?“ Die Frage ist eine Falle, denn Gilda hat zuvor wiederholt deutlich gemacht: DIE Roma gibt es nicht. Jeder Satz, der mit „Die Roma sind …“ anfange, sei eine Lüge, sagt sie. Klar geben wir ihr recht, auch Sätze mit „Die Deutschen sind …“ können nur falsch sein, wir wollen jetzt auch nicht über die „Kultur der Roma“ schreiben, sondern über die Person Gilda-Nancy Horvath. Gilda beschreibt sich als eine Zerrissene: „Wie schaffe ich es als Romni, ein modernes Leben zu führen und trotzdem die Traditionen der Volksgruppe weiter zu führen?“ In diesem Konflikt leben viele junge ZigeunerInnen, sagt Gilda. Ihr Erwachsenwerden habe zunächst in einer Abkehr von den Traditionen der Lovara bestanden. Unverheiratet, mit 21 Jahren, ist sie von daheim ausgezogen, in eine eigene Wohnung. Ein unerhörter Schritt für die patriarchalisch geprägte Verwandtschaft. Das Engagement im Thara-Haus leitete ihr persönliches „back to the roots“ ein. „Ich habe noch nie so viel Romanes gesprochen wie im abgelaufenen Jahr“, sagt Gilda, die sich nun in einer modellhaften Balance zwischen Modernität und Tradition wähnt.

Wie sich denn die in der Herkunftskultur verwurzelten Anteile ihres Lebens ausdrückten, will ich wissen. Gilda grinst: „Ich glaube nicht an Zufälle, sondern an das Schicksal. Und ich bin abergläubisch. Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn mir eine schwarze Katze über den Weg läuft.“ Die schwarze Katze auf dem F13-Plakat, das am Eingang zur Redaktion klebt, hat sie ganz übersehen.

Dass sie diese Balance schafft, beruht auf der Sonderstellung, die sich Gilda in ihrer achtköpfigen Familie erkämpfte, auf ihrem Bildungshunger, ihrer Aufbruchbereitschaft und ihrer Aufmüpfigkeit. Diese Eigenschaften, meint Gilda, beunruhigten ihre Eltern, erfüllten sie aber auch ein wenig mit Stolz. Dass Gilda, die zweisprachig aufwuchs, schließlich Internationale Betriebswirtschaftslehre und Theaterwissenschaften studierte, verstößt zwar gegen alte Lovara-Sitten, die Mädchen zum Heiraten und zum Mann-Bekochen bestimmen, andererseits kennen auch die Lovara positives Denken: „Wenigstens eine von uns hat es zu was gebracht!“

Haus der Zukunft womöglich ohne Zukunft

Gildas Job im Thara-Haus ist prekär wie das weitere Schicksal der Einrichtung im Ganzen. Dass es übersetzt „Haus der Zukunft“ heißt, entbehrt nicht einer gewissen Possenhaftigkeit, denn im Juni 2007 läuft die EU-Förderung aus und die Träger – Volkshilfe Österreich und Verein Romanodrom – können das Projekt aus eigenen Mitteln nicht weiterführen. „200 junge Roma haben bisher vom Haus profitiert. Es sind Lehrstellen vermittelt worden, und es gab viele weitere Arten von Hilfe für die Jugendlichen. Da es im Thara-Haus zu 50 Prozent Roma sind, die Roma helfen, hat es inzwischen in der Community einen guten Ruf. Wir bemühen uns um ein Weiterbestehen der Einrichtung. Dafür gibt es zurzeit Gespräche mit der Gemeinde“, informiert Gilda. Dass sie sich selber kaum Sorgen um ihre Zukunft macht, liegt am paradoxen Phänomen der „positiven Diskriminierung“. Gerade als Romni habe sie in manchen Bereichen des bürokratischen und kulturellen Lebens -etwa bei Verlagen, in Medien, in Ämtern, in der EU-Administration -mehr Chancen als Gadje (Nicht-Roma) mit denselben Qualifikationen.

Die Vorteile der „positiven Diskriminierung“ ausnutzend, will Gilda-Nancy Horvath ihren Teil zum Kampf gegen die wirkliche Diskriminierung beitragen. Die aktuelle Schleifung von Roma-Siedlungen in Russland durch die Putin-Administration zeige, wie wichtig die Entwicklung einer internationalen Roma-Vertretung wäre, die die Ihrigen schützen könnte wie eine Nation ihre Angehörigen schützt. Roma-Empowerment müsste den Medien entgegentreten, die fortwährend Klischees erzeugen, indem sie Roma nur in Form von bettelnden, barfüßigen Kindern zeigen, während Bilder von erfolgreichen Menschen der Ethnie ungeläufig sind. Die Zersplitterung der Roma-Bewegung zu überwinden, sei ihr ein weiteres wichtiges Anliegen. Bewegt erzählt uns Gilda von der Erfahrung des Dezember 2005, als zum ersten Mal alle in Österreich wirkenden Roma-Vereine an einem Tisch saßen, „ohne zu streiten“, und das Österreichische Roma-Netzwerk aus der Taufe hoben. Bewegt berichtet sie uns auch vom Kampf um die Erhaltung der Sprache.

Das Auschwitz-Erlebnis

Niemand hatte es gesehen, geahnt. Der Tod besetzte einen Ort, nistete sich ein, ohne Rücksicht, ohne Zeitverlust. Sie lebten von den Toten, die Lebenden von Auschwitz. Sie tun es heute noch, sie hörten niemals auf.

Ein Volk von Blinden sah in den Himmel. Ein Volk von Tauben hörte den Vögeln zu. Keiner vermochte es zu sehen, das Konzentrationslager, so groß wie dieses kleine Dorf selbst, so groß wie Auschwitz und seine gesamte zukünftige Geschichte.

Keiner wagte es, hinzusehen. Ihre Seelen indessen waren schon lange erblindet durch den Anblick grauer Rauchwolken am sonst so ruhigen Himmel.

In letzter Zeit ist Gilda-Nancy Horvath viel herumgekommen. In Bozen lernte sie die Probleme der halbnomadisierenden Roma kennen. Ein halbes Jahr lang befinden sie sich auf Wanderschaft, die andere Hälfte sind sie sesshaft. Auf den Spuren ihrer Großmutter besuchte sie kürzlich erstmals Auschwitz. Ihrem literarischen Reisebericht „Auschwitz ist eine Stadt in Polen“ sind obige Zeilen entnommen. Wie die Burgenland-Roma sind auch die Lovara in der Nazizeit katastrophal dezimiert worden. Gildas Großvater bekam knapp vor Kriegsende, bei der Flucht aus dem KZ, sechs Kugeln in den Rücken. Er starb an den Folgen dieser Verletzung. Die Großmutter überlebte Auschwitz.

Nach der Befreiung schnitt sie sich ihre schwarzen, langen Zigeunerinnenhaare kurz und färbte sie blond – bis heute. Jeder in der Familie wusste Bescheid über ihre KZ-Zeit, aber man sprach nicht davon. Gilda gelingt es, das Schweigen zu brechen. „Wir Roma sind ängstlich. Gegenüber Gadje und gegenüber dem Staat. Unsere Paranoia ist wohlbegründet. Aber wir müssen das Misstrauen überwinden“, sagt Gilda. Ihr gegenüber, dem sich seiner Wurzeln bewussten Enkelkind, fängt die Großmutter zu sprechen an. Erzählt schonungslos. Sogar von Roma, die im KZ an der Seite der Täter waren. „Und immer wieder kommt das Wort kaltblütig vor“, fiel der interviewenden Enkeltochter auf. Gilda-Nancy Horvath wird dieses Gespräch und andere Gespräche veröffentlichen. Und sie wird ihre eigenen lyrischen Versuche publizieren. Die Vorstellung, keinen Verlag dafür zu finden, ist ihr ganz fremd. Sie ist doch eine junge qualifizierte Romni vom Stamm der Lovara – wer sollte sie zurück an Ehemann und Herd schicken?

Dik!

O lolo baji anda mure sune, mulas tuke

But si mange tschire sune, so tschi muken te treijin mure

Tschi atschares? Merel, puro Gindo, thai nevo

Galo chochaimo ande lole Gada

Mules bodschinaf vramenza

Ga gelantar mandar voja?

Sieh!

Das rote Rinnsal meiner Träume, ersterbend dir zu Ehren.

Als ob die Bürde deiner Träume die meinigen nicht träumen ließen.

Spürst du nichts? Sie geht zu Grunde, alte Hoffnung an neuem Stolz

du schwarze Täuschung gehüllt in rote Leidenschaft

erstarrt bezahle ich mit Zeit

Wo gingst du lernen Leichtigkeit?

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