BadespaßDichter Innenteil

Auf der Wiese dicht gedrängt Bikini- und Badehosenträger_innen, am Rand sitzen verhüllte Frauen mit Kindern. Ich schäme mich und wechsle ins Sonnenbad.

Illu: Karl Berger

Frauen unterhalten sich, kochen und essen gemeinsam, drehen sich die Haare ein, lesen oder schlafen unter dem Sonnenschirm. Körper in allen Ausformungen. Die Vielfalt der Ausprägungen bestätigt jede einzelne. Keine Norm, die anderes verschwinden lässt. Ein gelblich weißer Körper liegt mit gefalteten Händen auf einer Liege, die geschlossenen Augen unter grauweißem Haar, ein eingefallener Leib, die ebensolchen Wangen. Wie die Natur uns geschaffen hat, bis zum Vergehen, denke ich. Der nackte Körper in all seinen Lebensphasen führt zu wohlwollendem Umgang und zu höherer Intimität. Unter der Dusche die hallenden Stimmen, die sich übertönen, die eine singt, die andere schäumt sich kraftvoll den umfangreichen Bauch ein, unter dem die Scham verschwindet. Eine Dritte hält ein Glas Wein in der Hand. Kommen Sie näher, sagt die Frau unter dem kleinen Schattendach, das macht mir nichts. Ich stelle meine Liege neben ihre. Das Nacktsein stärkt das Vertrauen und den Schutz. Die Alkoholisierte, die jede laut anspricht, wird mit freundlichen Worten gefüttert. Die Schlafenden verzeihen ihr lange. Ich ziehe meine Liege in die nächste Wiesenetage, stecke Wachs ins Ohr und lese. Das Handtuch fühlt sich rau an und duftet. Der Wind streift über die Brüste, trocknet sie. Befreit sind sie, leicht, ohne die enge Halterung, die nasse Überdeckung, die wir sonst ausblenden. Auf Wiedersehen, sagt die Dame neben mir. Wünsche einen guten Start in den Montag.

In jeder Sekunde könnte ein Unfall passieren

Der Bademeister ist weiß gekleidet, angespannt und düster. In jeder Sekunde könnte ein Unfall passieren. In zehn Stunden passiert nichts. Verzweifelt sucht er nach Vorfällen und studiert das Wasser. Querschwimmer gefunden. Kind mit Spielzeug. Nicht in diesem Becken, sagt er. Kein Ballspiel, und hebt den Zeigefinger. Er läuft auf mich zu. Ich habe heute schon geduscht, sage ich. Das kann ich nicht beurteilen sagt er, und schickt mich zum Duschkopf, der ein wenig rieselt. Sein Blick folgt mir beim Schwimmen, bin ich nach links abgetrieben? Ich wende nach je drei Rückentempi den Kopf und beachte den Gegenverkehr. Gestern, sagt ein Herr lächelnd, den ich mit der ausholenden Hand dennoch einfange, gab es Kämpfe zwischen den Damen. Die Vorwärtsschwimmerinnen haben der Rückwärtsschwimmerin die Hand verdreht und sie dem Bademeister vorgeführt. Ein Tratschverein, sagt die junge Frau mit beschlagenen Augengläsern, die alten Weiber, ich gehe nicht mehr in dieses Bad. Rückwärtsschwimmen, sagt der alte Herr, ist bei Pensionisten besonders verpönt. Schwimmerinnen generell. Ich werde sporteln, bis ich hundert bin, sagt er. Mit ihnen kann man gut reden, sagt er und schwimmt an meiner Seite. Familiär wirkt es hier, sage ich, den Frauen könnte auch ich meine Alltagssorgen erzählen. Die rufen schon am Morgen an, sagt die alte Frau in der Umkleidekabine, sonst holen wir dich, sagen sie, und schon wird geschwommen von neun bis zehn, da herrscht Ordnung, und jede hat ihre Liege, ihr Essen und ihren Schirm. Auf der höchstgelegenen Etage des Sonnenbads muss ich dies bestätigen. Mehrere Damen erheben sich aus ihren Liegen. Der ist Privatbesitz, sagen sie. Ich bekenne mich zum Neuankömmling und schließe sorgfältig den Sonnenschirm. Und die Liege? Auf der darf ich still verweilen. Die ist Gewohnheitsrecht.

Ich tauche auf

Der chlorblaue Spiegel und hellblaue Horizont. Ich tauche mit Schwimmbrille, suche Korallen und Fische. Nur Füße strampeln und Bäuche schwappen. Ich tauche auf. Rhythmische Musik ertönt aus Boxen. Im Tanzschritt stapft die Trainerin nach links und rechts, stößt mit Armen und Beinen, schleudert das Bein hoch. Schon schwingt sie zwischen den Haltegriffen des Beckens, schert mit den Beinen. Ihr verschwitztes Gesicht in der Mittagssonne. Sie lacht noch immer. Die Frauen sollen im Wasser Schritt halten. Ich geselle mich zu ihnen, trete gegen den Widerstand des Wassers. Die Musik beschleunigt mein Tempo. Die Trainerin strahlt mich an, Ich juble, weil ich gesehen werde. Prustend greife ich nach der Schaumschlange, die aus dem Wasser fortspringt. Die Fortgeschrittenen können die Schlange auf dem Boden halten. Die Neuen lachen nur. Die Schlange beherrschen, ein Symbol, denke ich. Schon sitze ich auf meiner Schlange und rudere in der Gruppe der Enten ins Seichte. Der spritzende und sprühende Funke geht auf mich über. Meine Bewegungen sind eingebunden und angetrieben, das Entlein lernt gerne. Wir drehen nach rechts, nach links. Rudern synchron. Die Frauen bewegen ihre Rundungen, die Brüste schleifen an der Wasseroberfläche. Wir sind dankbar und warten auf die nächste Einheit. Am Rand des Beckens hinter der Absperrung die Männerköpfe, unbewegt.

Unendliche Weite wie am Meer

Nach einer klebrigen Nacht die niederdrückende Luft über dem heißen Atem des Betons. Mit dem Bus weiter hinauf. Hoch über Wien weht der Wind durch die Pinien. Am Wasserspiegel schwimmend sieht man Gebüsch, dahinter unendliche Weite wie am Meer. Die Bademeister stehen in lockeren Gruppen und unterhalten sich. Im Becken gibt es hier keine strikten Regeln. Das Publikum und die Landschaft sind zu schön. Die meisten sitzen am Beckenrand wie um einen Tisch, an dem man sich betrachtet, wozu höflicherweise der Körper gehört, den man nicht zu verstecken gedenkt, nur die Füße kühlen sich im Wasser. In einer aufrechten Haltung sitzen sie, den Oberkörper der Sonne hingestreckt, die sie erfassen und erfüllen wird, und ihre langsamen Worte treiben hin und her und bleiben mancher Frau auf der Haut liegen. Eine sitzt abgesondert im Yogasitz. Mit geschlossenen Augen dient sie der Sonne, die Glück streut über die Fläche ihres Gesichts. Dann lässt sie den Körper hinabgleiten und taucht mit Schwimmbrille und kräftigen Armzügen durch jeden Widerstand ins Universum.

Tätowierungen sind das vorrangige Muster der Männer. Auf der Terrasse vier muskulöse Oberkörper am Nachbartisch. Gesichter mit gespannter Haut und klarem Blick. Der blaue, nein, sagt der andere, der schwarze und der weiße, der grüne, sagt der Dritte, der rechtsseitig tätowiert ist, schwarz und weiß die Rassentrennung, sagt der zweite, linksseitig tätowiert, der mit dem Lichtschwert, sagt der vierte, der sich das Universum aneignet, sagt er, sein Oberkörper ist gänzlich tätowiert, es war so stickig, sagt der erste, der die Brust tätowiert hat, die Playstation im Schlafzimmer und alle Fenster offen, aber es nützt nichts. Hast du den Ultimativen gesehen? Seine Augen sind scharf auf den anderen gerichtet, die Zähne gerade in einer Reihe, weiß. Die wievielte von Spider-Man? Die zwei durchtrainierten und gebräunten Oberkörper sitzen den ebensolchen gegenüber. Je eine grüne Flasche Bier vor ihnen. Die feste Handführung zum Mund. Das war doch der blaue, denke ich, Spider-Man. Sie stehen auf und schieben ihre Sessel mit den kratzenden Rohrfüßen auf dem Beton nach hinten. Mit ähnlich festem Schritt gehen sie hintereinander mit der Bierflasche in der Hand die Stufen hinab. Ich schaue über das Schwimmbecken auf Wien hinunter.

Auf einem anderen Tisch ebenso Bier. Flüchtlinge werden abgewiesen, wenn sie nicht beweisen, dass ihre Verwandten ausgerottet worden sind, sagt der kurzgeschorene schwarzhaarige Kopf mit Brille. Ich weiß nicht, sagt die Frau gegenüber und schiebt die Brille an der Nasenwurzel herum. Wegen Unzuständigkeit zurückgeschickt in das Erstland, das sie nie betreten haben, sagt der Mann. Er streckt den Oberkörper über die Tischplatte, dem Gesicht der blonden Frau zu, hebt die Bier Flasche schräg in die Luft, und steckt die Mündung in den Mund. Ein Finger ist weggestreckt. Der revolutionäre Geist muss sich entwickeln, wenn die Revolution zur Freiheit führen soll. Er hebt das blasse Gesicht gegen den Himmel, unter der Brille dunkle Augenhöhlen, Augen, die wenig Sonne kennen. Die Revolution frisst ihre Kinder, antwortet die blonde Frau, und drückt den Rücken in die Plastikschnüre des Sessels. Waagrechte Stirnfalten ziehen über der getönten Brille. Sie erheben sich, die sehr schlanken Körper gehen auf das entlastende Schwimmwasser zu.

Das Chlorblau wirkt nach, es juckt und reizt die Haut. Ich dusche und salbe. Mit dem Schienenersatzverkehr fahre ich die Donau hinauf. Der hohe Bus schaukelt durch die sich schlängelnde Straße. Von oben blicke ich auf die vorbeiziehenden Wiesen und Wälder und die Reihen kleiner Häuser. In der kühlen Luft innen fühle ich mich wie auf Reisen in den Süden. Die Freiheit des Fortfahrens hinein ins Erleben. Draußen 35 Grad.

Urlauber aus Wien auf ihren Camping-Sesseln

Im Gebüsch am Ufer riecht es. Das wild wuchernde Strauchwerk bietet nur kleine Schatteninseln. Dort sitzen die Urlauber aus Wien auf ihren Camping-Sesseln. Wein, Nahrungsmittel und Gegenstände sind verstreut. Sie reden laut wie auf ihrer Terrasse zu Hause. Ich wandere weiter, die nächste Schattenfläche unter einem verwachsenen Baumgehege weist ähnliche Verhältnisse auf. Durch die Hitze der Steppensonne komme ich zur dritten Biegung, ebenso lauthals besetzt. Abseits ein Holztisch mit Bank, auf der Mann und Frau sitzen und sich stimmlich austauschen. Ich gebe auf und kehre zurück zur ersten Nische. An der Uferböschung ein älterer Mann, der zu einer Frau hinaufspricht, nach vielfältigen Abwandlungen des gleichen Satzes, sie solle sich hier eine Immobilie kaufen, kann er sich noch immer nicht verabschieden. Die Frau hält das geöffnete Portemonnaie in der Hand und ein Hündchen an der Leine. Sie hält ihm das Gesicht und ein Lächeln hin, bis er gehen wird. Er fasst das anders auf. Beide stehen still, er schräg mit dem einen Bein hinauf, sie mit gebeugtem Oberkörper hinab. Von oben kommt eine Familie mit Oma, Opa und Enkeln und Schlauchboot. Alle müssen ihre unterschiedlichen Bedürfnisse ausdiskutieren. Der Opa will ins Schlauchboot, die Mutter nach Hause, die Oma sitzt auf der Böschung und gibt Anleitungen. Die Kinder sollen Schwimmwesten anziehen. Die rufenden Enkel rudern der fotografierenden Oma davon. In der freien Luft der weiten Landschaft können die Menschen ungehindert jeden Nachbarn vergessen. Endlich bin ich alleine, von der Dämmerung umhüllt. Ich schwimme ohne Widerstand im milden Wasser, der Körper ist umspült und weich die Haut. Ich kauere wie ein Kind auf der Decke. Alles Schwere ist abgestreift.