Wir plädieren für eine Bewegung gegen sinnlose Großprojekte
Die österreichische Bauwirtschaft, repräsentiert durch die heimischen Riesen Strabag und Porr, hat einen Wettbewerbsvorteil, über den nicht laut geredet wird. Die weltweit einzigartige Verquickung des großen Baukapitals mit der Organisation, die im Auftrag der Republik den öffentlichen Verkehr optimieren sollte, bringt es mit sich, dass öffentliche Güter und Gelder in die «notleidende» Baubranche gepumpt werden – allerdings weit verschleierter als das bei der Bankenrettung der Fall war.
Der Verschmelzungsprozess selbst erfolgt ohne jede Tarnung, weil die ständigen Personalrochaden ohnehin nie Quelle von zivilem Unmut waren. Horst Pöchhacker, Generaldirektor der Porr AG, verwandelte sich 2007 in den Aufsichtsvorsitzenden der ÖBB, und die gewichtigste unter den umgekehrten Metamorphosen ereignete sich 2011, als der ÖBB-Immobilien-Geschäftsführer Claus Stadler zur Porr AG hinüberwechselte. Weil es einen evidenten Zusammenhang zwischen den Großprojekten der ÖBB (Hauptbahnhof, Nordbahnhof, die umstrittenen Tunnelprojekte, demnächst Frachtenbahnhof Penzing) und dem positiven Fortgang der Porr’schen und Strabag’schen Angelegenheiten gibt, hätten personelle Verknüpfungen dieser Art in anderen Medienlandschaften journalistische Alarmsignale ausgelöst. In Österreich fragt kein Schreiberling nach, wenn ein Claus Stadler frozzelt, sein Übertritt sei passiert, weil es halt immer «spannend» sei, den Job zu wechseln.
Die ÖBB-, Strabag- und Porr-Inserate in den kriselnden Zeitungen verringern die Motivation der Redakteur_innen, den Parteien-Bahn-Baukonzerne-Komplex zu durchleuchten. Dass die Strabag zum Raiffeisenimperium gehört, macht – wie Augustinleser_innen inzwischen wissen – den gewünschten Transparenz-Schub, der von Zeitungen ausgehen könnte, noch einen Grad unvorstellbarer.
Was darf die ÖBB-Immo?
Die ÖBB sind ein Unternehmen, das den Interessen ihres Eigentümers verpflichtet ist. Der Eigentümer ist die Republik – wir alle. Es fragt sich, ob die riesigen öffentlichen Flächen in der Stadt, die einst nötig waren, um die Bahn zur führenden Trägerin des Personen- und Gütertransports, des Nah- und Fernverkehrs zu machen, heute überhaupt ohne Partizipation der Öffentlichkeit verscherbelt werden können. Das werden sie aber. Ziemlich freihändig, wie von einer privaten Immobilienfirma, die von keinerlei öffentlichen Ansprüchen am Agieren behindert werden kann. Die ÖBB-Immobilienmanagement GesmbH, eine Tochterfirma der ÖBB, die die nicht mehr benötigten Bahnhofsflächen «abwickelt» wie die Treuhandgesellschaft die DDR abgewickelt hat, wird nicht einmal von der ÖBB-internen «Strategischen Entbehrlichkeitsprüfung» behindert.
Die Herren Entbehrlichkeitsprüfer sind ganz auf Privatisierung getrimmt. Die ÖBB-Immo kriegt, was sie will, weil ohnehin keine öffentliche Instanz eingeschaltet ist, die das Recht hätte, alternative öffentliche Nutzungen der Flächen vorzuschlagen. Und dass die Bevölkerung erst recht keine Meinung zur weiteren Entwicklung der freiwerdenden Flächen zu haben hat, ist schon erwähnt worden.
Dabei genießen die Großprojekte, die im Zuge der als Sachzwang herbeigelogenen Zentralisierung der Wiener Bahnhofsituation entstanden sind, ohnehin eine hohe Reputation in der Bevölkerung. Die Wiener_innen sind weit davon entfernt, die Sinnhaftigkeit des Wiener Hauptbahnhofes mit demselben zivilgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein zu hinterfragen wie es die Stuttgarter_innen gegenüber der ihnen aufgezwungenen «Modernisierungs»-Farce tun. In Österreich mangelt es nicht nur an einer Widerstandskultur, sondern auch an einer Analyse, die das Großprojekt selbst zum Gegenstand macht, etwa gemäß dem Versuch des deutschen Publizisten Georg Seeßlen, das «sinnlose Großprojekt» als Symptom des späten Kapitalismus in kategorischen Verruf zu bringen. «Das sinnlose Großprojekt», schreibt er in seinem Blog, «bündelt Kapital, Mafia und Politik in einem scheinbar progressistischen Kraftakt, in aller Regel gegen die Interessen großer Teile der Gesellschaft. Unterirdische Bahnhöfe wie in Stuttgart und nun auch in Florenz, Tunnels und Flughäfen. Aber auch Kleinstädte haben ihre kleinen Großprojekte, auch hier Bahnhofsverlegungen, Altstadt-Umgestaltungen etc.»
Ausschließlich das Ziel, Geld zu bewegen
Das sinnlose Großprojekt habe als erste Aufgabe keineswegs die Verbesserung der Welt, in der wir leben: «Selbst jene Vorteile, die uns versprochen werden, tolle zehn Minuten früher irgendwo ankommen, noch mehr Shopping usw., auf die wir liebend gern verzichten würden, werden konsequent verfehlt. Die Nachteile dagegen steigen ins Unermessliche, beinahe immer werden sie vorher verschwiegen, schöngeredet, unterdrückt. Nein, das sinnlose Großprojekt hat ausschließlich zum Ziel, Geld zu bewegen und Macht zu verteilen. Es ist in aller Regel gerade fertiggestellt und fängt bereits wieder an, sozial und architektonisch zu verfallen. Denn alles ist hier darauf ausgerichtet, öffentlichen Raum nicht zu erzeugen, sondern zu vernichten. Das Scheitern in Form von Verzögerungen, Pleiten und Kostenexplosionen ist struktureller Teil des sinnlosen Großprojektes. Wir sehen, nur zum Beispiel, das bizarre Nürburgring-Projekt als gescheitert an. Doch was für uns sogar Metapher des Scheiterns ist, ist, näher betrachtet, ein durchaus gelungener Transfer von Geld. Das sinnlose Großprojekt hat als Inhalt nichts anderes, als die Verwandlung von öffentlichem in privates Geld.»
Genau das ist das Wesen der Stadtummodelung à la Westbahnhof und Südbahnhof, Lainzer Tunnel und Shopping City Nord, Porr City und Millennium Tower. Alle diese Projekte sind Maschinen zur Verwandlung von öffentlichem in privates Geld. Das ist die Form, in der «Klassenkampf» heute in Österreich ausgetragen wird. Fast immer endet er mit einem Triumph der Investor_innen, denn es mangelt auch der parlamentarischen Opposition an jener Konsequenz, die ihr Seeßlen bisher vergeblich vorformuliert hat: «Wir sind empört, wenn uns das sinnlose Großprojekt selbst betrifft, und das ist richtig so. Aber es geht auch noch darum, das strukturelle Wirken des sinnlosen Großprojektes zu erkennen (…) Wenn der «Fortschritt» und das «Wachstum» die Form des sinnlosen Großprojektes angenommen hat, dreht der Kapitalismus auch auf dem Gebiet der Realwirtschaft leer durch. Doch nicht zu übersehen ist, was dabei kaputt geht – an Natur, an Kultur, an Erinnerung, an sozialen Lebensformen. Unwiderruflich wird am Rand jedes dieser Großprodukte Stadt und Land enteignet; wenn das Großprojekt entweder wieder einmal gescheitert ist oder nur durch Steuergelder zu sanktionieren ist, dann haben längst Umwandlungen, auf dem Immobilienmarkt zum Beispiel, stattgefunden, die sich trefflich hinter dem technischen Gesicht des Großprojekts verstecken lassen.»
Wie viele «unvorgesehene» Kostenexplosionen müssen noch bekannt werden, damit sich die Bevölkerung mit dem Gedanken anfreundet, dass die in fast quartalsjährlichen Stufen emporkatapultierten Kosten, die «wir alle», die öffentliche Hand zu zahlen haben, struktureller Teil des sinnlosen Großprojektes sind? Nicht einmal ein verkehrsplanerischer Quergeist wie Hermann Knoflacher geht in Österreich so weit, den Stopp aller Großprojekte zu fordern und den Weiterbau vom Resultat zwingender Bürger_innenbeteiligungsverfahren abhängig zu machen.
Und schon wieder ein sinnloser Tunnel
Die Österreicher_innen raunzen, wenn sich die Befürworter_innen und Betreiber_innen der Supervorhaben wieder einmal «verrechnet» haben, wie ihnen glauben gemacht wird. Nochmals: Die falschen Berechnungen haben System. Expert_innen wie der Karlsruher Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter studierten öffentliche Großprojekte in aller Welt. Überall, so stellte sich heraus, werden die Bürger_innen an der Nase herumgeführt. In den allermeisten Fällen rechnen Politiker_innen den Preis möglichst klein, um Zustimmung zu dem Projekt zu bekommen, Risiken blenden sie bewusst aus. Viele Verantwortliche spekulierten darauf, dass sie im Zweifel dann nicht mehr Verantwortung tragen, wenn die Kosten explodieren – und selbst wenn, trügen in der Regel nicht sie persönlich die Haftung.
Vor ein paar Wochen stellte der Vorstandsdirektor der ÖBB-Infrastruktur AG, Franz Bauer, den Planungsstand für den 20 Kilometer langen Abschnitt der neuen Hochleistungsstrecke nördlich der Landeshauptstadt Salzburg vor. Diese Strecke ist Teil der Verbindung Paris-Bratislava und damit auch Teil des Transeuropäischen Netzes TEN. Die EU-Kommission hat beschlossen, dass die Züge auf den TEN-Strecken schneller fahren können müssen. Jedes diesem Ziel widersprechende Resultat eines Partizipationsprozesses würde Brüssel für illegal erklären. Herzstück des neuen Trassenverlaufs von Salzburg bis zur Einmündung in die bestehende Westbahnstrecke nahe der Flachgauer Gemeinde Köstendorf ist ein 14 Kilometer langer Tunnel. Den Reisenden zwischen Salzburg und Wien winkt eine 5-minütige Zeitersparnis (laut «Standard» vom 10. 1. 2013). Auf Preisbasis 2012 kalkulieren die ÖBB mit 1,65 Milliarden Euro.
Mit diesem Geld könnte die Renaissance des flächendeckenden Schienenverkehrs finanziert werden, modern und innovativ. Umso mehr, als es bei diesen 1,65 Milliarden nicht bleiben würde. Wir wollen gar nicht wissen, wie hoch die ultimativen Kosten sein werden. Wir brauchen es nicht zu wissen. Bis zum Baubeginn wird sich nämlich auch in Österreich herumgesprochen haben, dass nicht alles sinnvoll ist, woran Strabag und Porr verdienen.