Bala bala für UnvermittelbareDichter Innenteil

Gestrandete in der Maschinerie des AMS? Tagebuch eines Kursteilnehmers

Wie Recht hatte Karl Öllinger, Sozialsprecher der Grünen, als er im Parlament Kritik an „vollkommen sinnlosen und geradezu entwürdigenden AMS-Kursen ohne Ausbildungswert“ übte, die „zum Teil mehr an Strafvollzug als an aktive Arbeitsmarktpolitik“ erinnerten? Das AMS dementiert. Es könne „natürlich unbefriedigende Einzelfälle“ geben, meint AMS-Vorstand Herbert Böhm. Aber 60 Prozent aller SchulungsteilnehmerInnen hätten nach sechs Monaten wieder einen Job. Abgesehen davon, dass viele dieser Jobs erstens nicht dauerhaft, zweitens nur halbseidene freie Dienstverträge ohne soziale Absicherung, drittens ausbeuterische Verhältnisse fern jeder Kollektivvertragsregelung sind: Vielen Gestrandeten ist selbst dieser moderne Sklavenmarkt verschlossen. Das AMS weiß das -und bestraft dennoch Unvermittelbare, die Kurse schwänzen, welche aus ihrer Perspektive objektiv sinnlos sind. Dazu ein Erfahrungsbericht von Ernst Walter Stummer.Zum dritten Mal in drei Jahren erhalte ich denselben Kurs vom AMS: Job-Coaching, was sich nun Job Express nennt. Erster Tag in einem riesigen, modernen Glaspalast in Wien-Meidling: Vorstellung der Coaches, Erklärung der „Maßnahme“ und Sanktions-Drohungen, wie schon zweimal zuvor. Es hat sich kaum etwas geändert, außer dass sich die Kursbesucher nicht mehr aussuchen dürfen, ob sie vormittags oder nachmittags kommen wollen.

Für einen 8-Uhr-Termin in der Zahnklinik musste ich eine Terminbestätigung verlangen. Denn ich konnte nur mit stundenlanger Verspätung zum Kurs – die Glaspaläste des Instituts sind etwas mehr als eine Fahrstunde mit den Öffis von meiner Wohnung, aber auch von der Zahnklinik entfernt.

Als ich verspätet kam, hatte sich der Coach Mag. T. schon vorgestellt, und ich erfuhr erst durch die im Kursraum aufliegenden Prospekte, dass er Psychologe ist. Als ich am zweiten Tag kam, mussten sich gerade die Kursteilnehmer vorstellen. Gegenüber den letzten beiden Job-Coaching-Kursen handelte es sich bei ihnen diesmal nicht nur um die typischen Gestrandeten, sondern zumindest zwei oder drei Teilnehmer waren hoch qualifiziert, einer arbeitete z. B. in aller Welt als Hotelmanager. Aber es war auch eine 58-jährige jugoslawische Metallarbeiterin da, die offensichtlich dazu verurteilt ist, bis zu ihrer Pension unnötige Kurse zu besuchen, neben einer 19-jährigen Zuckerbäckerin, bei der Job-Coaching auch mir gerechtfertigt scheint.

Mittwochs haben wir keinen Kurs. Donnerstag und Freitag war ich im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern, wegen einigen Untersuchungen bezüglich meiner Osteoporose. Am Montag darauf hatte ich völlig vergessen, wo mein Kursraum in dem riesigen Gebäude der Kursanbieter-Firma in der Breitenfurter Straße liegt. Ich irrte durch mehrere Stockwerke des Gebäudes, öffnete Türen und sah zu meinem Erstaunen sehr viele Frauen mit Kopftüchern. Als ich endlich meinen Kursraum fand, „unterrichtete“ dort in Vertretung von Herrn Mag. T. eine Lebens- und Sozialberaterin.

Sie stellte uns das Thema: Visionen, Wünsche Träume – was ist Arbeit? Ich bin 68 Jahre alt und höre schon etwas schlecht – und wenn ein Kursteilnehmer oder die „Lehrerin“ nicht laut genug bzw. wenig verständlich spricht, verstehe ich nichts. Etwa 70 Prozent des Inhalts ging für mich dadurch verloren. Ich sehe auch schlecht und kann Zeitungen nur bis zu etwa 9 Punkt Schriftgröße lesen, und auf der Tafel müsste für mich auch sehr viel größer geschrieben werden.

Am Montag, dem 26. März 2007 war wieder Herr Mag T. Coach, und wir hatten zwei Stunden Computerunterricht. Ich schrieb ein langes Bewerbungsschreiben. Es sollte nie Antwort kommen. Am nächsten Tag führte uns Mag. T. einen fast zehn Jahre alten Fernsehfilm von Hugo Potisch zum Thema „Zukunft der Arbeit“ vor und verriet uns gleich vor der Vorführung, dass von den Prognosen Portischs nicht sehr viel eingetroffen sei. Danach wurde über den Film diskutiert.

In dem siebenstöckigen Institutsgebäude sind überall Zettel angebracht: „Diese Maßnahme wird im Auftrag des AMS durchgeführt und aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds kofinanziert.“ Na ja, wenn die EU bezahlt … Das Kursträger-Institut, einer der AMS-Partner, war vor wenigen Jahren noch winzig und ist nunmehr ein Millionenunternehmen mit mehreren Standorten.

68 Jahre alt, fast die Hälfte des Lebens hinter Gittern: Das beeindruckt die Personalchefs!

Ich bin, wie gesagt, 68 Jahre alt, und 30 Jahre meines Lebens verbrachte ich im Gefängnis. Es wäre also ein Wunder, wenn mich ein Arbeitnehmer aufnimmt. Deshalb verfolge ich seit drei Jahren Projekte einer selbständigen Tätigkeit. So konzipierte ich mit einem Journalisten ein Sicherheitsmagazin mit dem Titel „Öffentliche Unsicherheit“, in dem auch die Sicherheitsindustrie werben könnte (als „Einbrecherkönig“, der hunderte mit Gefängnisstrafen sanktionierte und eine hohe Dunkelziffer an unaufgeklärten und straflos gebliebenen Einbrüchen begangen hatte, ist der Verfasser ein Spezialist für Einbruchs-Prävention, die Red.).

Am 29. März waren wir wieder im Computerraum. Ich versandte etwa 40 Bewerbungsschreiben, erhielt aber keine einzige Antwort. An mich selbst hatte ich auch ein Bewerbungsschreiben geschickt. Diese Mail kam bei mir nicht an, also dürften vielleicht alle anderen 40 Schreiben ebenfalls nicht angekommen sein. Waren die Bewerbungen von vornherein nur als Beschäftigungstherapie geplant?

Die „Führungskräfte“ in unserer Gruppe übernehmen an diesem Tag gemeinsam mit Mag T. die Diskussion. Unser Hoteldirektor etwa erzählte uns von den Arbeitsverhältnissen und der Arbeitsmoral in diversen fremden Ländern. Ein zweiter Kursteilnehmer erzählte von seinen Erlebnissen als Führungskraft in Hongkong. Sehr interessant, das Ganze, mir wäre aber lieber gewesen, ich hätte die Zeit frei gehabt, um an meinem Magazinprojekt zu arbeiten. Die Kursteilnehmer fügen sich in ihr Schicksal. Allgemein herrscht die Haltung vor: Wenn wir den blöden Kurs schon besuchen müssen, versuchen wir, das Positive herauszuklauben.

Wir sind etwa zwölf Kursteilnehmer, wovon tatsächlich immer bloß rund fünf Leute anwesend sind. Die anderen sind vorstellen, beim Arzt, im Krankenstand usw. Ich schrieb dem AMS, dass ich pro Stunde unnötiger „Maßnahme“ zehn Euro verlange. Ich habe nichts gegen sinnvolle Kurse, in welchen man etwas lernt, aber zum dritten Mal in drei Jahren Job-Coaching ist eine Frechheit! Ich versuche, mit einer Klage vom Gericht feststellen zu lassen, dass der Kurs lediglich der Vermögensvermehrung der Kursbetreiber dient, dem Arbeitslosen aber nur Nachteile bringt. Ich bekomme täglich 13,41 Euro und dafür muss ich täglich eineinhalb Stunden ans andere Ende von Wien fahren, um mir Blabla anzuhören. Laut meiner philippinischen Gattin heißt Blabla auf Takalog „bala bala“. Ich mache also einen Bala-Bala-Kurs.

In den „Allgemeinen Informationen des AMS Wien“ heißt es unter anderem: „Jede geförderte Kursmaßnahme beinhaltet die unbedingte Anwesenheitspflicht während des Kurses. Die Anwesenheit wird täglich kontrolliert. Bei Abwesenheit ersuchen wir sie um telefonische Benachrichtigung.“ Verstößt man dagegen, wird die Arbeitslosenunterstützung für einige Zeit gestrichen. Man hat auch jederzeit dem AMS zur Verfügung zu stehen. Ich komme mir wie ein AMS-Sklave vor und nicht wie ein Versicherter, der für die Leistung der Jobvermittlung vorher einbezahlt hat! In einer Tageszeitung war kürzlich von einer Gründung einer „Anti-AMS“ namens AMSEL (Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen) zu lesen.

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