Bananen von Unbekanntenvorstadt

Daniela Kirchner (Foto: Michael Bigus)

Daniela Kirchner ist bei den letzten beiden Three-Peaks-Radrennen (siehe Info) mitgefahren. Sie erklärt, worum es bei dieser Disziplin eigentlich geht und was daran Spaß macht.

Was bedeutet Unsupported Bike-Racing konkret?
Daniela Kirchner: Du darfst von niemandem, den du kennst, auf der Strecke Support haben. Man kann nur Hilfe annehmen von Leuten, die diese spontan anbieten. Also wenn mich jemand fragt: «He, willst du eine Banane?» Nur wenn ich den nicht kenne, darf ich die Banane annehmen. Für größere Reparaturen sucht man ein Radgeschäft auf, denn es hat ja jeder die Möglichkeit, da reinzugehen. Alles was jedem zur Verfügung steht, darfst du verwenden. Aber wenn du etwa auf der Strecke wohnst oder in der Nähe Freunde hast, dann darfst du dort nicht übernachten.

Gibt es auch Betrüger:innen?
Das ist jedem selbst überlassen. Es gibt ja nichts zu gewinnen, bei keinem Rennen. Die meisten machen es in erster Linie für sich selbst.

Wie bist du dazu gekommen, so extreme Rennen zu fahren?
Früher bin ich Radtouren gefahren, dann längere Strecken, auch mit dem Mountainbike. Ich habe öfter mit dem Rad Urlaub gemacht, sozusagen Bikepacking. Sonst bin ich an den Wochenenden viel rausgefahren, habe das Rad mitgenommen und im Wald gecampt. Und so macht man immer längere Touren. Sicher wäre Intervalltraining nicht schlecht, aber dazu bin ich zu faul. Ich will das Rennen ja nicht gewinnen. Ich will es für mich fertig fahren. Es ist ja auch ein eigenes Achievement. Ich hatte nie Radtraining, also wenn ich so was fahren kann, dann kann das jeder. Jeder, der möchte, kann das.

Okay, dann packen wir einmal für das Rennen ein. Was nimmt man an Verpflegung mit?
Zwei Trinkflaschen am Rad, ich trinke hauptsächlich Wasser. Wir sind schließlich in Mitteleuropa, da hast du mehr oder weniger alle 20 bis 30 Kilometer ein Dorf. Sonst muss man jemanden fragen. Essen nimmt man mit für den ersten Tag. Einige werden schon heute Abend in ein Gasthaus oder Restaurant gehen und sich was reinhauen.

Braucht man spezielle Ernährung für die Strapazen?
Ich esse fast nur normale Kost. In Frankreich hast du Boulangerien, wo du Croissants und Pain au chocolat kriegst. Ich esse auch viel Pizza. Sachen, von denen man weiß, dass man sie verträgt und auf die man nicht lange warten muss. Viele verdrücken massenhaft Riegel und Gels, doch das ist von der Verdauung her nicht zu empfehlen. Aber du musst viel essen, weil du ohnehin abnimmst. Ich versuche immer, vorher etwa 3 Kilogramm mehr drauf zu haben als normal. Ich glaube, niemand kann bei so einem Rennen sein Gewicht halten. Du darfst aber auch nicht zu viel essen, denn mit einem zu vollen Magen kann man auch nicht weiterfahren. Konstant essen. Am besten den ganzen Tag, alle zwei Stunden, so, dass man nie Hunger kriegt. Wenn du Hunger kriegst, ist es schon zu spät.

Was hast du an Werkzeug mit?
Standardsachen wie ein Multitool. Kettenreißer flicken und Bremsbeläge wechseln kann ich noch – danach hört es bei mir auf. Dann muss ich in ein Radgeschäft gehen.

Ein Schlafsack scheint ebenfalls Standard zu sein.
Den würde ich auch wieder mitnehmen. Aber ich fahre meist ohne Isomatte, die viele noch dabeihaben. Manche haben zusätzlich noch einen Biwaksack mit, das ist wie ein weiterer Schlafsack zum Drüberziehen, aber wasserdicht.
Wenn man sich die spärlich bepackten Räder ansieht – viel Platz für Kleidung scheint da nicht mehr zu sein.
Man hat nur den Rennanzug an und die ­Lagen zum Drüberziehen, Legwarmer, Regenjacke, Daunenjacke. Ob man irgendwann zu stinken anfängt? Wenn man in einen geschlossenen Raum geht, etwa auf ein Klo, dann merkt man es. Man sagt sich: «Okay, jetzt habe ich es gerochen, es wird wieder Zeit zum Duschen.» Aber wenn du nass bisst, dann fährst du weiter. Du ziehst es nicht aus, weil dann wird es noch grausiger. Letztes Jahr hat es drei Tage geregnet. Da wirst du einfach nass, keine Chance.

Wie machst du das mit den Unterkünften? Viele scheinen sich mit Buchungs-Apps am Smartphone zu behelfen.
Ich finde das schwierig, unterwegs Hotels und Unterkünfte zu suchen und zu buchen. Da ist man eh schon so fertig. Wenn ich müde in ein Dorf komme, versuche ich einfach mein Glück, oder ich schlafe auf der Straße. Ich schlafe meistens irgendwo draußen, etwa auf Supermarkt-Parkplätzen. Während eines Rennens steht alles unter dem Motto der Zeiteffizienz. Ich erwische mich oft noch Tage danach dabei, Essen hastig in mich hineinzuschlingen.

Da stellt sich manchen vielleicht die Frage: Was macht daran Spaß?
Ich weiß, es erscheint vielen Leuten komisch. Aber man hat auch schöne Erlebnisse, beim Three Peaks mit den vielen Bergen, die Aussicht ist oft umwerfend. Natürlich bleibt man dann nur drei und nicht 30 Minuten stehen, um sich einen besonderen Ausblick zu geben. Ich sauge das alles ein bisschen auf, und dann fahre ich weiter. Nebenbei isst man vielleicht etwas. Ich versuche schon, das Ganze ein bisschen wahrzunehmen, aber natürlich geht das nicht so, wie wenn man auf Urlaub ist.
Andererseits ist es der komplette Urlaub vom Alltag, dieses Auf-etwas-fokussiert-Sein. Ich denke in dem Moment nicht nach, was ich übermorgen mache, sondern was ich die nächsten zehn Kilometer mache. Ich denke darüber nach, wo ich jetzt was zu essen kriege und wo ich schlafen könnte. Im Alltag ist man nie so ­fokussiert, immer lenkt einen etwas ab.

Three-Peaks-Bike-Race

Das seit 2018 jährlich in Wien startende Ultradistanz-Radrennen führt über die Alpen ans Mittelmeer, das Ziel ist abwechselnd in Nizza oder Barcelona. Heuer geht es wieder an die Côte d’Azur, und abgesehen von drei Gipfeln respektive Passhöhen kann, ja muss man die Route selbst wählen. Passo di Giau und Colle del Nivolet in Italien und Tannalp bei Melchsee-Frutt in der Schweiz sind 2022 die Checkpoints. Unendlich viele Möglichkeiten der Streckenwahl gibt es nicht, dennoch können Akzente gesetzt, Höhenmeter gegen Straßenkilometer abgewogen werden. Es ist ein sogenanntes Self-Supported-Bike-Packing–Rennen, was kurz gesagt bedeutet, dass sich die Startenden selbst darum kümmern müssen, wie sie ans Ziel kommen, was sie essen, wie viel und wo sie schlafen. Keine Betreuung oder Hilfe von Team, Familie oder Freund:innen ist gestattet.
Veranstalter Michael Wacker kommt selbst aus der Szene und bietet mit seiner Firma Adventure Bike Racing Radverrückten mittlerweile fünf verschiedene Rennen an. Beim Three Peaks sei die Grundidee die Passage von Mitteleuropa ans Mittelmeer oder «vom Baum zur Palme» gewesen, wie Wacker beim diesjährigen Start vor dem Schloss Schönbrunn dem Augustin verrät. Lapidar seine Antwort, wieso der Deutsche Wien als Startort erwählt hat: «Nah dran an den Alpen.»
Die Startenden (über 90 Prozent männlich) sind samt und sonders Amateur:innen. Für die meisten ist das Rennen Urlaub, zu erwartende Strapazen hin oder her. Während die einen noch überlegen, ob sie zu viel eingepackt haben, geht einem anderen ausgerechnet am Start die Luft aus. Der Reifen ist komplett hinüber, ein naheliegendes Radgeschäft wird aufgesucht. Bei einer gesamten Fahrzeit von vier ­Tagen bis zu zwei Wochen ein verschmerzbarer Stopp.