Baranka streckt ihre Fühler aus und lässt mich wandern zur Fortuna. Baranka* musste sterben, weil Hitler es so wollte – die Lovara aus Fleisch und Blut. Heute ist ein Park in Wien Favoriten nach ihr benannt. Mein Fluchtort aus der Stadt. Eingehüllt in alten Laubbäumen und Sträuchern, deren Wurzeln sich aus dem Untergrund zur Erde wölben, stärkt es meinen Sinn für Natur, mein Bedürfnis nach Natur, wenn nicht sogar meinen Hunger. Kraftexemplare zeigen sich mir Tag für Tag. Abgeschottet vom Alltagsrausch, dem Stadtgesäusel, versteckt Baranka zahlreiche botanische Schätze, behütet sämtliche wildpflanzliche Verstecke.
Brennnessel
Da ist die Brennnessel, die brennt vor Liebe, reinigt das Blut und reguliert und füllt bei einer dreiwöchigen Teekur den Eisenbestand. Jetzt, im aufkeimenden Herbst trägt die Brennessel Samen. Im Rohr aufgebacken, passen sie gut aufs Butterbrot oder als Zutat für den Salat. Die Volksmedizin sagt, sie soll ein gutes Haarpflegemittel sein. Als Kulinarikum sind auch Brennesselchips eine Variante. Nun, die Gesundheit jubelt schon jetzt und die Küche bekommt einen neuen Akzent. So verharre ich an diesem edlen Platz im Schneidersitz auf nacktem Erdboden und atme tief durch und noch einmal.
Die verwertbare Botanik ist damit noch lange nicht erschöpft. Allen Neugierigen rate ich schon jetzt, sich ein Bestimmungsbuch zuzulegen, wenn der Gusto hochsteigt auf die weite, breite Welt der Pflanzen, insbesondere Wildpflanzen. Als nächste Instanz begegnet mir der Löwenzahn, der Name ist abgeleitet von seinen zahnigen Blättern. Im Frühling ist er beinah überall, ein wahrer Kämpfer und einer der bedeutendsten unter den Wildpflanzen. Ein Nährstoffträger der besonderen Art – zwar vom Kopf bis zur Wurzel. Er beschenkt uns mit Bitterstoffen und damit ist der Magen- und Darmtrakt mit ihm gut versorgt. Die Krönung sind tatsächlich seine tiefen Wurzeln, Pfahlwurzeln – oft bis zu einem Meter unter der Erde. Denn im Herbst kullern alle Inhaltsstoffe in die Wurzeln um sich auszuruhen, zu sammeln und einfach in den «Winterschlaf» zu gehen.
Nachtkerze
Die Bäume werfen große Schatten. Das gefällt auch der Nachtkerze. Sie, die Mutige hat sich herausgetraut, als einzige von ihrer Sorte. Nicht wissend sind die Gärtner der Baranka, die hier das botanische Paradies so gerne zunichte mähen. Die Gewöhnliche Distel musste dieses Schicksal erleiden. Ich habe gelechzt nach ihrem Überleben. Aber sie haben es geschafft, sie zu töten. Dabei hat sie mir so oft aus der Patsche geholfen. Mitten in diese Liebe hinein, sagte man mir, sie sei Unkraut, wegen ihrer Stacheln und Dornen sei sie ein Störfaktor, so das Magistrat 42. Außerdem gehöre sie nicht in den Park – sie, meine Seelentrösterin. Doch die Nachtkerze stand da, als sei sie für die Baranka eigens geboren. Ihre Blüten kann man zu einer Salbe verwerten – gegen Falten, wohlgemerkt. Außerdem kann sie dazu beitragen, dünnhäutige Menschen bei oraler Einnahme ein «dickeres Fell» wachsen zu lassen. Das Rezept ist ganz einfach: Die Blüten in pflanzliches Öl ansetzen, 4 Wochen lang, und schon kann man die Kraft von Nachtkerzenöl vollziehen lassen.
Föhren
Nur ein paar Schritte weiter breiten die Bäume der Fortuna ihr Dasein aus. In diesem Areal ist die Leichtigkeit zu Hause – hier gedeiht ein anderes Lebensgefühl. Es ist, als ob man schweben würde. Föhren mischen sich mit den Laubgewächsen. Die Föhre und alle anderen Nadelbäume warten vor allem mit dem Elan ihrer Knospen auf – über diese Kunst verfügen generell alle Wildpflanzen. Es wird als Gemmatherapie bezeichnet: die Urkraft der Knospen. Es ist eine Frühlingsangelegenheit, wenn die Pflanzenwelt frisch treibt. Mit Alkohol kann man eine wunderbare Tinktur machen, und mit der Föhre wird es zum täglichen Stärkungsmittel.
Wie so alles auf diesem Planeten bewegen wir uns in einer Dualität. Das Gute nicht ohne das Schlechte und umgekehrt. Denn in die Oase Natur haben sich auch giftige Kerle gemischt. Paracelsus hat offenbahrt: «Die Dosis macht das Gift!» Vis va, vis va! Welche vage Aussage – 10 zu 90 oder 50 zu 50? Es lebe der Unterschied! Es gilt auch zu bedenken, dass wir trotz der kleinen Ausnahmegebiete in der Stadt mit vielen Emissionen leben. Aus diesem Grund ist es nicht ratsam, alles, das irgendwo wächst, zu sammeln. Aber Wien hat Ausweichplätze, bei denen dies ohne Bedenken möglich ist – den Wienerwald, den Himmel, die Steinfelder Gründe, die Sofienalpe – Natur im feinsten Maß, abgelegen und frei entfaltet.
Efeu
Der Efeu wollte sich kurzfristig aus meinen Erzählungen heraushalten, aber ich habe es nicht zugelassen, den scheuen Burschen entfleuchen zu lassen. Denn er zeigt exemplarisch die Signaturenlehre. In seinem herzförmigen Erscheinungsbild erinnert er uns daran, auf unser Herz zu hören, unterstützt bei Herz-Schmerz, aber sticht er uns besonders ins Auge oder begegnet uns immer wieder, hat etwas Magnetisches für uns, dann möchte er uns aufmerksam machen, einmal unser physiologisches Herz untersuchen zu lassen.
So leben Baranka und Fortuna in diesem Modus von «Stirb und werde» weiter. Und doch ist es ein unvergleichliches und unersetzbares Kleinod von Wien, in das ich mich verliebt habe.
*Maria Huber, genannt Baranka, war eine Naturheilerin. Als Angehörige der Lovara wurde sie 1941 in ein Konzentrationslager gebracht und später ermordet. Der heutige Baranka Park befindet sich auf dem Gelände der sogenannten Hellerwiese, die von Lovara, Sinti und Roma als Lagerplatz genutzt wurde.
Claudia Christine Magler ist diplomierte Kräuterpädagogin und Individual- und Gruppentrainerin