Barfüßiger Bandit will fliegenArtistin

Eine Graphic Novel huldigt Schani Breitwiesers amerikanischem Bruder

Der «Barefoot Bandit» ist von klein an ein Outlaw. Nicht aus Romantik, sondern weil er nur so zu leben lernt. 2011 wird er in den USA festgenommen und sitzt eine mehrjährige Haftstrafe ab. Alexandra Rügler hat seine Geschichte in Bildern nachempfunden – als Hohelied auf eine unversehrte Kindheit. Von Lisa Bolyos«Hör auf zu träumen und bring deiner Mutter ein Bier!» Brutaler geht es kaum: Hör auf zu träumen.

In Blau und Rot zeichnet Alexandra Rügler den kindhaften Clay, der in einem Trailer im Wald aufwächst, mit einer Mutter und vielleicht einem Vater, der wird verhaftet oder ist jedenfalls nicht richtig anwesend. Clay stiehlt und macht Rabatz, aber freundlichen. Er sucht sich Freunde, die Dinge können wie Autos stehlen. Das ist gar nicht so schwer, denkt er, und blickt sehnsüchtig einem Flugzeug am dunklen Abendhimmel nach. Der barfüßige Clay möchte fliegen.

Be safe. Keep running

Clays reale Entsprechung heißt Colton Harris-Moore. Er wurde 1991 in den USA geboren und hatte kurz gesagt eine Scheißkindheit. Seine ersten kleinen Kriminaltaten büßte er mit ein paar Hafttagen und Sozialarbeitsstunden, später ging er ins Gefängnis und sprang, wegen guter Führung in den offenen Vollzug entlassen, eines Tages aus dem Fenster davon in die Wälder. Auch der echte «Barefoot Bandit» brachte sich selbst das Fliegen bei. Er ließ mehrere Flugzeuge in sein Eigentum übergehen und flog hunderte Kilometer, Bruchlandungen und Abstürze unversehrt überlebend. Erst auf einem Motorboot, das er sich nach einer Flugzeugflucht auf den Bahamas unter den Nagel gerissen hatte, wurde er von der Polizei gefasst und wird wohl etwa 2018 aus der Haft entlassen werden.

«Be safe. Keep running», schrieb einer von 25.000 Fans auf der Facebookseite, auf der Colton Harris-Moore während seines flüchtigen Lebens in den Wäldern zwischen den USA und Kanada virtuell unterstützt wurde. Die Polizei, hört man ihre Vertreter_innen in aufgezeichneten Nachrichtensendungen sprechen, war sichtlich genervt von diesem Kult, der kein Ende zu nehmen schien. Jahrelang liefen sie Coltons nackten Füßen hinterher. Fanden mal hier, mal da eine Spur, aber hatten in Wirklichkeit keine Ahnung, wo er war. Bücher wurden geschrieben, Filme gedreht, T-Shirts mit seinem Konterfei gedruckt – Schriftzug: «Momma tried», Mama hat’s versucht. Ob Mama aber überhaupt die Chance gehabt hatte, es zu versuchen?

Bei Alexandra Rügler hat die Mutter eine zweite Stimme. Sie ist quasi der O-Ton, der Erzähltext, der einem Brief nachempfunden ist, den die Mutter eines inhaftierten Jugendlichen in Berlin an die zuständige Richterin geschrieben hat: «Wenn er aus der Haft entlassen wird, soll er bei meiner Schwester wohnen. Denn ich fürchte, die Polizisten hier werden ihn nie in Frieden lassen.»

Woher nehmen, wenn nicht stehlen

Colton/Clay ist einfach eines von den Kindern, die keine gesetzförmige Zukunft für sich sehen. Und hat er nicht recht damit? Er wird zum Star, zum Teenie-Robin-Hood, weil seine Verbrechen unblutig sind. Er will ein bisschen was besitzen, vielleicht will er auch ein bisschen Aufmerksamkeit, er ist klüger als seine Verfolger (und es macht eventuell gar nicht so wenig Spaß, die Großen zu foppen) und er will Flugzeuge fliegen. Würde er irgendwas davon bekommen, ohne es sich zu nehmen? Eben nicht.

Darum ist Alexandra Rüglers Buch auch eine Hommage an die Unversehrtheit der Kinder, eine Ode an die Sorgsamkeit, mit der eine Gesellschaft sie aufwachsen lassen sollte (und ein klein wenig auch eine hauptabendserienartige Ode an die Blödheit des FBI). Rüglers Version der Dinge ist nicht kitschig. Was ist an Kinderrechten schließlich Kitsch? Aber sie ist natürlich ein bisschen Kultproduktion: cooler, wendiger Clay, der vor gemeinen und ungeschickten Bullen davonrennt. Die Nachricht: Clay soll träumen dürfen; und seine Mutter soll ihn träumen lassen können. Und außerdem, liebe Leute, ist der Gap zwischen Reich und Arm zu groß. Lasst euch das von diesem schönen Druckprodukt aus dem Hause «Jaja» wieder einmal gesagt sein.

Alexandra Rügler: Ballad of the Barefoot Bandit. Jaja Verlag, Berlin 2015, 15 Euro

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