Ich hab mal in einer Tageszeitung gearbeitet. In der Wiener Lokalredaktion. Die war nicht so hoch bewertet wie die innenpolitische oder außenpolitische Abteilung des Blattes. Deshalb hatte unsere Abteilung einen frühen Redaktionsschluss. Was nach 16 Uhr in Wien geschah, konnte also in der Zeitung des nächsten Tages nicht mehr widergespiegelt werden, es sei denn, die Angelegenheit wurde zur innenpolitischen geadelt. Der frühe Redaktionsschluss war hart, denn wir Lokalschreiberlinge kamen oft erst nach Pressekonferenzen, Interviews oder Recherchen um 13 Uhr oder noch später in die Redaktion. Die Texte waren darum oft gehudelt und entsprechend unfertig. Nie wieder den Stress eines Tageszeitungsjournalisten! So schwor ich, und der Augustin entstand, und er war zunächst eine Monatszeitung, und der Stress war ein verträglicher.Inzwischen erscheint der Augustin jeden zweiten Mittwoch, was unseren Stress etwas verschärfte, aber eben nur etwas weil die Redaktion nämlich deswegen personell vergrößert wurde. Manchmal aber kommt es zu Situationen, die mich an die Geschwindigkeitsdiktatur des Tageszeitungsjournalismus erinnern. In dieser Woche passierte mir das zweimal. Katharina Nageles Text über eine aus der Sicht der Eltern und deren Rechtsanwältin skandalöse Entscheidung des Jugendamts kam mir ein wenig einseitig vor. Ich entwarf einen Relativierungsversuch, indem ich den Originaltext unserer freien Mitarbeiterin mit den Ausführungen eines
Sozialarbeits-Lehrers über die prekäre Lage der von der hohen Politik absolut vernachlässigten Jugendwohlfahrt verschränkte.
Im Bewusstsein, damit eine gute Lösung gefunden zu haben, mailte ich den Text zur Kenntnisnahme an die Team-Mitglieder/innen, die ihre Skepsis gegenüber Elternwahrnehmungen artikuliert hatten. Das Feedback ließ nur eine Schlussfolgerung zu: Klassisches Begräbnis eines Artikels, dessen Realisierung keinen geringen zeitlichen Aufwand erfordert hatte. Presserechtliche Gründe (es fehlt eine Stellungnahme des von den Eltern angegriffenen Jugendamts) und der Umstand, dass die Schilderung der familiären Verhältnisse im beschriebenen Fall keineswegs für die Belassung der Kinder im Familienverband spricht, sondern im Gegenteil für die Befreiung der Kinder aus einer elterngewaltschwangeren Wohnung, ließen schlussendlich keine andere Wahl zu. Das alles passierte kurz vor Redaktionsschluss; das Zurücknehmen des Textes hinterließ eine eineinhalb Zeitungsseiten umfassende Lücke, die nun rasch und qualitativ zu füllen war; außerdem macht es den Stress nicht milder, wenn man parallel dazu auch mit der zensurierten Autorin kommunizieren muss. Ich weiß in diesem Moment nicht, wie sie reagieren wird.
In denselben Tagen vor Redaktionsschluss machte eine überraschend schnelle Entscheidung des Wirtschaftsministers Bartenstein meinen Text über das Anlaufen eines Bürgerbeteiligungsverfahrens Thema: Leitbild zur Augarten-Entwicklung obsolet. Diese Entscheidung für ein Bauprojekt eines Privatmanns im Augarten (ein Bundesgarten, also ein öffentlicher!). Die Kritik des Partizipations-Prozesses, im Zentrum der ersten Version, wurde hinfällig: es ist sinnlos, Leichen zu besseren Menschen zu erziehen, und die Bürgerbeteiligung ward zur Leiche, nachdem Bartenstein sein Ja zum Knabenkristall gab und das parkverträgliche und kulturpolitisch interessante Gegenprojekt des Filmarchivs zum Tod verurteilte. Es galt, bis knapp vor Redaktionsschluss, die sich überschlagenden Meldungen zum Kampf um den Augarten mitzuverfolgen und auf der Basis der aktuellst möglichen Informationen einen völlig überarbeiteten Beitrag zu verfassen. Doppelte Arbeit wegen des Bartenstein-Pühringer-Deals (Immobilienhai Pühringer ist der Investor der höchst umstrittenen Knabenkonzerthalle).
Im Folgenden die beiden Versionen. In der ersten Version überwiegt noch die Auseinandersetzung zum Thema Bürgerbeteiligung da war noch offen, welchen Grad von Demokratie die Politik zulassen würde. In der zweiten Version der
Ernüchterung ist das Bürgerbeteiligungsversprechen als Farce rasch abgehandelt. Nun geht es darum, den AnrainerInnen und ParkbenützerInnen zu helfen, den Deal außerparlamentarisch zu bekämpfen wie damals die Kraftwerk-Hainburg-Entscheidung. Und auch der ältere Versuch der Durchsetzung privater Partikularinteressen im öffentlichen Park, das Datenspeicherprojekt im Flakturm, verdient Widerstand.