Bauernaufstand: Milchverarbeitung auf eigene Fausttun & lassen

450 Milchbetriebe machen sich von den Raiffeisen-Molkereien unabhängig

Kleine und mittlere Bauern und Bäuerinnen haben sich zu einer bestunterrichteten Berufsgruppe in Österreich entwickelt. Jedenfalls steigt der Anteil derartiger Höfe, die Raiffeisen in der Milchverarbeitung nicht mehr über den Weg trauen.Ernst Halbmayr ist ein Pionier unter den Milchbauern, die gegen Raiffeisen aufgestanden sind. 1987 hat er sich für den Biolandbau entschieden – und musste neunzehn Jahre auf die Abholung seines Rohprodukts warten. Heute betreibt er zusammen mit drei weiteren Bauernfamilien die Biohofgemeinschaft Halbmayr & Partner.

Grundlage für diese Tätigkeit ist eine sinnvolle Arbeitsteilung: Zwei Familien betreuen im Wochenrhythmus die insgesamt 85 in einem neuen Stall untergebrachten Kühe; am Hof von Halbmayr steht die Molkerei als technisch hoch entwickelte Anlage im «Stall»; als vierter im Bunde agiert der Bäcker, dem es auf diese Weise gelungen ist, ebenfalls selbständig zu werden. Im Programm der Biohofgemeinschaft finden sich weitere biologisch wertvolle Produkte, die von gleich gesinnten Agrarbetrieben der Region hergestellt und von der Biohofgemeinschaft unter der Marke «Die Hoflieferanten» vermarktet werden.

Freie Milch, faire Milch

Materielle Grundlage für Halbmayrs Tätigkeit sind fünfzig Hektar Eigen- und hundert Hektar Pachtgrund, auf denen insgesamt zehn Beschäftigte tätig sind. Die Marke «Die Hoflieferanten» betreibt zwei Geschäfte (in Steyr und Waidhofen) und sorgt für die Belieferung von Gasthäusern und Privatkund_innen in der Region, was für weitere vierzig Personen Beschäftigung schafft.

Über diese regionale Verankerung hinaus ist der Milchbauer als Geschäftsführer der «Freie Milch Austria» tätig. Mit Sitz in Steyr werden derzeit pro Jahr fünfzig Millionen Liter Rohmilch von 450 aktiven Mitgliedern gesammelt und nach Deutschland bzw. Italien geliefert. Gestartet wurde mit vier Millionen Liter von dreißig Lieferanten. Derzeit werden damit weitere fünfundzwanzig Personen mit zusätzlichen Arbeitsplätzen versorgt. Für die Milchlieferanten schaut dabei bis zu einer Höchstliefermenge von 50.000 Liter pro Jahr ein Bonus von zusätzlich zehn Cent pro Liter heraus, der keineswegs zu verachten ist.

Jetzt sind wir mitten im Milch-«Schlamassel» gelandet, das einer Erläuterung bedarf. Die Ansätze seiner Entstehung gehen auf Vorarbeiten zurück, die bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts aktuell waren. Die drei Säulen des alternativen Umgangs mit Milch bestehen aus folgenden Faktoren:

1. IG (Interessensgemeinschaft) Milch agiert als Verein für alle Milchbauern und Milchbäuerinnen, die mit der Berechnung des «Milchschillings» durch die Raiffeisen Molkereien unzufrieden waren und sind.

2. «Faire Milch» fungiert als Marke und PR-Plattform für einwandfreie Milch, die 2007 sensationellerweise mit dem Staatspreis für Marketing ausgezeichnet wurde.

3. «Freie Milch» dient als Plattform für die gemeinsame Milchvermarktung von oppositionellen heimischen Milchbetrieben in Deutschland und Italien.

Ein Jahrzehnt Interessensgemeinschaft Milch

Die formelle Gründung der IG Milch geht auf das Jahr 2003 zurück. Ausschlaggebend dafür war eine einseitige Senkung des «Milchschillings» durch die Molkereien von Raiffeisen. Sie erlaubte es den Handelsketten, Milchprodukte zwei-zu-eins anzubieten. Das bedeutete, dass man lediglich ein Produkt zahlen musste, wenn man zwei Einheiten erwerben wollte.

Hintergrund war die Tatsache, dass Milchprodukte lange Zeit die am stärksten unterbewerteten Agrargüter im Lebensmittelhandel waren. Dabei ist die Produktivität in der Milchherstellung äußerst schwer zu steigern. Kein Wunder, dass die Zahl der IG Milch-Mitglieder rasch auf rund 5000 Personen geklettert ist

Die geharnischten Proteste der Milcherzeuger_innen ergaben, dass für die Entscheidung in letzter Konsequenz nicht die Handelsriesen, sondern die Genossenschaften und politischen Entscheidungsträger_innen verantwortlich zeichneten. Diese wiederum zeigten sich an einem Kompromiss nicht interessiert.

Dabei ging es einem Milchbauern an den Kragen, der die Preispolitik der Molkereien kritisiert hatte: Michael Steiner aus dem Ennstal wurde als Mitglied ausgeschlossen und mit einer Strafgebühr von zehn Prozent vom Milchpreis belegt – mit dem Ergebnis, dass er seine Seele zum Schrecken aller Beteiligten ausgehaucht hat. Das rührte die Milchbarone von Raiffeisen jedoch nicht.

Auszeichnung macht sich bezahlt

Bezahlt machte sich hingegen die Auszeichnung von «Faire Milch» mit einem österreichweit gültigen Marketingpreis: Den Propagandist_innen gelang es, das Produkt mit diesem Prädikat nun unter anderem im Bereich der diversen Supermärkte von Spar zu platzieren und unter dem Qualitätsaspekt zu vermarkten.

Bemerkenswert ist natürlich vor allem die Kooperation «Freie Milch», die derzeit 450 Agrarbetrieben die Vermarktung von Frischmilch zu besonders guten Bedingungen erlaubt. Es war ein Kraftakt sondergleichen, dass in einem kartellähnlichen Wettbewerbsumfeld die Bauern und Bäuerinnen wieder am Milchmarkt Fuß fassen konnten.

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