Roman
«‹Emilio, kannst du nicht endlich begreifen, dass ich meine Ideen nicht erklären will, als handle es sich um einen Katechismus? Versuchen wir zuerst, diesen Krieg aus der Welt zu schaffen. Danach wirst du Gelegenheit haben zum Lesen, Zuhören und Abwägen. Du wirst die Glocken hören und dir deinen Kirchturm auswählen.› Emilio war verärgert. Erstens, weil Simon den Katechismus als Beispiel für etwas Negatives verwendet hatte, und zweitens, weil er nicht akzeptieren wollte, Krieg führen zu müssen, ohne zu wissen, welches sein Kirchturm war.»
Simon, der Kommunist, und Emilio, der Katholik, sind enge Freunde. Und sie sind im norditalienischen Piemont Partisanen. 1944 schaffen es die vielen, vielgestaltigen und wenig koordinierten Partisan:innengruppen, gemeinsam das Ossolatal zu befreien. Nur vorübergehend, ein Rückschlag der Nazitruppen wird noch kommen. Aber vorerst riecht alles nach «liberazione».
In dieser Phase handelt Gino Vermicellis Roman Die unsichtbaren Dörfer, der 1984 im italienischen Original und jetzt in einer Neuauflage der deutschen Übersetzung erschienen ist. Letztlich ist es eine Mikrogeschichte dessen, was wir schon wissen: Welche hohe Relevanz die Partisan:innen mit all ihren Widersprüchen nicht nur für die Befreiung Italiens von den Nazis hatten, sondern auch für das politische Selbstbewusstsein. Aber Vermicelli, selbst Partisan, erzählt seine Geschichte außergewöhnlich schön, und darum sollte man sie lesen: viele Gefühle, viel Aufregung und sehr wenig Heldenepos.
Gino Vermicelli:
Die unsichtbaren Dörfer
Rotpunkt 2022 (Neuauflage)
418 Seiten, 30 Euro