Die Kunstakademie am Schillerplatz wurde aufwendig saniert. Die Barrierefreiheit aber wurde zum Hintereingang verbannt. Eine Sache des Denkmalschutzes? Sicher nicht, meint der Künstler Philipp Muerling.
Anfang Oktober, Semesterbeginn. Vor dem Haupteingang der Akademie der bildenden Künste haben sich mehrere Menschen versammelt. Sie sind heute nicht zu Lehrveranstaltungen gekommen: Philipp Muerling, Student an der Kunstuniversität, hat hier eine Protestperformance für Barrierefreiheit angekündigt. Einige der Beiwohnenden haben zur Unterstützung Demonstrationsschilder gestaltet und sich damit bei den Stiegen in Position gestellt. «Endet Diversität am Hintereingang?», ist auf einem dieser Schilder zu lesen. «Diesen Spruch fand ich am besten», erzählt Philipp Muerling nach der Performance. Zuvor hat er sich vor der untersten Stufe aus seinem Rollstuhl sinken lassen und versucht, sich die weiteren Stufen bis zur Eingangstüre am Geländer entlang hochzuziehen. Das, wofür andere nicht einmal eine Minute brauchen, ist ihm an diesem Tag nicht gelungen. Nach wenigen Metern musste er aufgeben, zu anstrengend ist für ihn der Zugang ohne Rampe für seinen Rollstuhl.
So eine Rampe würde das Problem lösen, doch es gibt sie bis dato nicht, stattdessen wird er zum barrierefreien Eingang seitlich in der Makartgasse verwiesen. Diese Alternative sei jedoch mühsam, meint Muerling, und weit entfernt von Gleichberechtigung: «Es geht nicht nur um Barrierefreiheit, sondern um Inklusion», ist seine Ansicht: Er möchte wie einer von vielen sein, der ganz selbstverständlich den Haupteingang nehmen kann.
Stufen zur Barrierefreiheit
Philipp Muerling ist der erste Student an der Akademie der bildenden Künste seit deren Gründung, der im Rollstuhl sitzt. Das ist beachtlich in Anbetracht der langen Vergangenheit der Institution. Aber darum geht es Muerling nicht, auch will er seine eigenen Schwierigkeiten nicht in den Vordergrund stellen. «Ich bin ja nur ein Beispiel für viele», weist er darauf hin, dass er ganz allgemein auf Diskriminierungsformen aufmerksam machen möchte.
Um die Diskriminierung, die Muerling satt hat, zu erkennen, hilft nun aber doch ein Blick auf seinen konkreten Fall. Seit 2015 studiert er an der Akademie und achtete seitdem darauf, Klassen zu besuchen, bei denen auch die Räumlichkeiten für seine Bedürfnisse als Mensch mit Behinderung passten. Was bedeutete: Muerling wechselte öfter die Klasse, studiert jetzt im Fachbereich Kunst und Intervention bei Marina Gržinić, die als eine der wenigen Lehrenden seine Protestperformance offen unterstützt habe. Auch neben der Thematik mit dem Eingang stieß er auf Hürden innerhalb des Gebäudes. «Ich war entweder ausgesperrt oder eingesperrt», erzählt er. Vieles, was für andere Studierende selbstverständlich scheint – wenn man etwa für einen Wasseranschluss in einen anderen Raum muss – war für ihn umständlich.
«Bei der von der BIG durchgeführten Sanierung des historischen Gebäudes am Schillerplatz wurden neben automatischen Türöffnern im Inneren des Hauses, entsprechenden Sanitäranlagen und dem Treppenlift im Souterrain des Standortes auch ein barrierefreier Zugang über den Eingang Markartgasse installiert», fasst auf Nachfrage Vizerektor Werner Skvara zusammen, der für die Infrastruktur der Akademiestandorte und Nachhaltigkeit zuständig ist. Muerling ist dies zu wenig. «Ich muss trotzdem oft warten, bis jemand mir die Türe aufhält», fügt er hinzu. Und – ein wesentlicher Grund seiner Aktionen: Die Barrierefreiheit des Haupteingangs sei eigentlich eine Mindestanforderung. Denn auch der Weg um die Akademie herum dauert natürlich länger für ihn. Er habe sich auf die Verbesserungen durch die Renovierung des Hauses am Schillerplatz, die 2021 abgeschlossen wurde, gefreut, letztendlich aber keine ausreichenden Verbesserungen gesehen. Daher startete er im Herbst 2022 mit einer ersten Protestperformance auf den Stiegen des Haupteingangs am Schillerplatz: Schonungslose 30 Male versuchte er letztes Jahr, trotz Behinderung den gleichen Eingang wie alle zu nehmen. «Ich will einfach vor Ort studieren können», sagt Muerling, der hauptsächlich zeichnet. «Aber das kann ich nur ausüben, wenn ich nicht abgelenkt bin von Dingen wie dem Haupteingang.» Muerling ist nach mehreren ergebnislosen Gesprächen mittlerweile ein wenig entmutigt, aber dennoch froh über seine aktuelle Präsenz bei Diskussionen zum Thema Inklusion (vor kurzem etwa im Rahmen der Vienna Art Week) – auch wenn die Lösung für den Haupteingang noch nicht auf dem Tisch liegt. Und diese, so Muerling, «sollte nicht das Problem der Betroffenen sein. Gerade in einer Institution, wo man davon ausgeht, dass man den Gedanken von Inklusion beigebracht bekommt.» – oder, wie Johan Frederik Hartle, Rektor der Akademie, 2020 in einem Ö1-Interview sagte: «Wir wollen maximale Diversität unserer Studierendenschaft und unserer Mitarbeiter:innen.»
Selbstverständlich Teilhaben
Um die Forderung der Inklusion via gleichen Zugangs für alle über den Haupteingang zu bekräftigen, holte Muerling unterschiedliche Statements zum Thema von Expert:innen ein, die er auf Instagram veröffentlichte und bei seiner letzten Stiegenperformance Anfang Oktober verlesen ließ. Die Architektin Gabu Heindl kommentierte beispielsweise: «Solange jemand den Hintereingang oder -ausgang nehmen muss, während andere beim Haupteingang rein- und rausgehen, ist ein Haus nicht barrierefrei. Punkt.»; Friedrich Dahm, Leiter des Bundesdenkmalamts, äußerte sich 2020 in der Sendung Journal Panorama auf Ö1 folgendermaßen: «Es gibt kein Match Barrierefreiheit contra Denkmalschutz. Ich kenne keinen einzigen Fall, wo wir nicht eine Lösung gefunden hätten.» Tatsächlich wird gerne auf zwei Dinge verwiesen, warum bisher kein angemessener Zugang ins Gebäude für Rollstuhlfahrende wie ihn umgesetzt wurde, fasst Muerling zusammen: Denkmalschutz und Kostenfragen. Doch auch anderswo gelingen barrierefreie Umbauten mit Berücksichtigung des Denkmalschutzes. Beim kürzlich neu eröffneten Parlament etwa wurde darauf geachtet, dass Modernisierung und Denkmalschutz zusammengehen. Und auch die rechtlichen Grundlagen sind deutlich: Die UN-Behindertenrechtskonvention regelt ebenso wie das Barrierefreiheitsgesetz, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben und Zugang zu Institutionen haben sollen.
Mittlerweile scheint die Akademie der Bildenden Künste eine weitere Möglichkeit in Betracht zu ziehen – einen Lift. «Eine Entscheidung oder Zusage gibt es dazu noch nicht, die Gespräche sind am Laufen. Das Bundesdenkmalamt hat keine Bedenken bezüglich der beschriebenen Lift-Variante und war in den Prozess der Ausarbeitung der verschiedenen Ertüchtigungsvarianten für den Eingang vom Schillerplatz aus eingebunden», heißt es von Seiten des Vizerektors Werner Skvara. Man habe mit Behindertenvertreter:innen am Haus, Vertreter:innen externer Gruppen, der BIG als Hauseigentümerin, dem Bundesdenkmalamt und internen wie externen Architekt:innen drei mögliche Varianten für einen barrierefreien Zugang am Schillerplatz 3 ausgearbeitet – den Bau einer Rampe, eines Treppenliftes, und eines neuen innenliegenden Liftes direkt am Eingang Schillerplatz. Der Liftbau sei für die «nachhaltigste Lösung, die eine Verbesserung des Zugangs für eine große Personengruppe darstellt» befunden worden, so das Statement aus dem Vizerektorat. Bis dahin wird Muerling sich weiter für Inklusion und Diversität einsetzen und sein Studium verfolgen.
Wären mehr Menschen mit Beeinträchtigung an der Akademie der Bildenden Künste, wenn es den gleichen Zugang für alle bereits gäbe? Diese Frage wurde vor kurzem bei einer Diskussionsrunde im Depot aufgeworfen, an der Muerling teilnahm. Ein Wunsch der Diskutierenden: dass Menschen mit Behinderung auch auf struktureller Ebene Mitgestaltende sein können. Im Sinne eines selbstverständlichen Nebeneinanders und einer gleichberechtigten Teilhabe aller.