FLANERIE abseits der Tourismusrouten (7): Panozzalacke
Als wir im Mai noch ohne Arbeit waren, / versuchten wir es nicht mehr auf dem Bau; / wir packten uns zusammen, wie wir waren, / und bauten uns ein Zelt in der Lobau. / (…) Um Pfingsten hatten wir schon braune Rücken, / wir schwangen nackt im Gras den Schleuderball; / die Dämmerzeit mit ihren vielen Mücken / verbrachten wir im roten Reisigschwall …Als Theodor Kramer, der vertriebene Poet, diese Hommage an die Dechantlacke schrieb, zählte die Lobau erst seit wenigen Jahren zum öffentlichen Raum. Erst seit 1926 war es der Bevölkerung erlaubt, gegen geringe Eintrittsgebühr das damals mit Maschendraht eingezäunte ehemalige kaiserliche Jagdgebiet der Oberen Lobau zu besuchen.
Wer durch die Wälder streift, kann noch auf Überreste dieses Drahtes treten. Zelteln könnte Kramer heute nicht mehr: Ein Nationalpark ist kein Campingplatz! Und ob er, wie es im Gedicht weiter heißt, heute den ganzen Sommer in der Lobau bliebe, kann bezweifelt werden. So idyllisch wie auf diesem Foto stellt sich die Dechantlacke nur vor dem saisonalen Ansturm der Nackten aller sozialen, generationellen und „ideologischen“ Fraktionen dar …
Die Panozzalacke gilt als die unattraktivere Schwester der Dechantlacke in der Oberen Lobau. Die Raffineriestraße am Südufer des Gewässers, Zubringerin zum Ölhafen, entwertet die Idylle. In der Zwischenkriegszeit war das Schinakelfahren auf der Panozzalacke für die Habenichtse der Großstadt ein Ersatz für den unleistbaren Urlaub an der Adria.
Robert Eichert -„Eigendefinition: leidenschaftlicher Lobaufan“ könnte sich Mittelmeerurlaube leisten, und dennoch verbringt er seine Ferien am liebsten in den wiennahen Donauauen. Er verreise nur, wenn seine Freundin es in Wien nicht länger aushalte; was die Lobau betreffe, so sei er der Faszination des Dschungels vor der Großstadt gänzlich verfallen, meint der Donaustädter Grün-Aktivist, der Materialien für ein neues Standardwerk über die Lobau sammelt -und daher ein von uns gut gewählter Guide durch das Gebiet ist. Selbst am Gestade der im Vergleich zur Dechantlacke weniger erotischen Panozzalacke spart Eichert nicht mit autobiografischen Belegen für das „libidinöse Verlangen nach Wasser“.
Panozzalacke: Man denke sich den Lärm der Lastkraftwagen, mit welchen medidativen und sonstigen Methoden auch immer, weg. Dann kann die Liegezone, die etwa dort liegt, wo sich der alte Bootsverleih befand, in die Hitliste der Lobauer Badebuchten aufgenommen werden. Denn sie hat mehr als „Hinterland“. Wenige Schritte die Böschung hinauf, und der Besucher, die Besucherin steht im lauschigsten Gastgarten Wiens, den auch die RadlerInnen gerne aufsuchen, entweder bevor sie die lange Etappe Richtung Hainburg eröffnen, oder bevor sie auf dem Heimweg von dort in die Großstadt eintauchen, oder auch als Intermezzo einer Lobaurundtour.
Sperrstund‘ eine Stunde nach Dunkelheit
Der Gastgarten unter Kastanienbäumen gehört dem Kiosk „Zum Knusperhäuschen“, wo hinter der Selbstbedienungsausschank seit 20 Jahren die Diva der Oberen Lobau regiert: Brigitte Eibensteiner. Weil sie alleine der Frequenz nicht gewachsen wäre, mischen oft ihre beiden Töchter und ihre Schwester mit. Auch ohne Verlockungen wie den Pferdeleberkäs von Schuller und die selbst rausgebackenen Supersalzstangerl, neben den vertrauten Gerichten aus Wiener Hausmannskost, ist zwischen Kaisermühlen und Orth an der Donau keine stimmigere Situation zum Zelebrieren eines Schlucks Bier denkbar (entsprechendes Wetter vorausgesetzt). Schon manche esoterikfreie und an keine Wunder glaubende Menschen sollen sich hier wie an einem „Kraftort“ vorgekommen sein; dem Charme dieser Ecke der Oberen Lobau ist ja auch jenes Filmteam verfallen, das eine „Kommissar Rex“-Episode in den Gastgarten des „Knusperhäuschens“ verlegte.
Wem dieses Lob übertrieben klingt, der oder die nehme sofort die U 1 nach Kaisermühlen, steige hier in den Bus 91 A um und verlasse ihn bei der Station Lobgrundgasse. Zu Fuß ist es dann nur noch wenige Minuten zum „Kraftort“ an der Panozzalacke. An Samstagen, Sonntagen und Feiertagen fährt der letzte Bus um 22.29 Uhr „nach Wien zurück“, das sollte den EntdeckerInnen reichen, denn eine Stunde nach Dunkelheit muss das Eibensteiner’sche Frauenteam laut Nationalparkgesetz ohnehin den Laden dicht machen.
Wer vor dem kühlen Bier in die Lacke springen will, muss nicht unbedingt Badekleidung mitbringen. In der Badebucht beim „Knusperhäuschen“ tolerieren die Nackerten die Textilierten -und (in der Regel!) umgekehrt. Jungwirtin Manuela Eibensteiner: „Weil es kein ausgewiesenes FKK-Gelände ist, kommt es gelegentlich vor, dass sich jemand zimperlich über die Zumpferl beschwert.“ Die Nackerten nachhaltig zu verbannen, ist aber noch keinem Repräsentanten der Sprödigkeit gelungen. Was diese vielleicht noch nicht wissen: Der Geist der Lobau ist libertär. Wir halten das zumindest als Arbeitshypothese fest. Robert Eichert wird uns noch öfter durch die Lobau führen. Wir werden sehen, wohin der Geist tendiert …