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Texte von Frauen aus der Justizanstalt Schwarzau (5. und vorläufig letzter Teil)

Sammy Kovac war von 2003 bis 2007 in der JA Schwarzau inhaftiert. Sie ist eine der Protagonistinnen in Tina Leischs Film Gangster Girls. Im Laufe der Arbeit an dem Film begann sie zu schreiben. Hier Teil 5 ihrer Erinnerungen. Im ersten Teil (Der Tag) erzählte Sammy, wie sie wegen eines Spielzeugpistolenüberfalls auf eine Trafik ins Gefängnis kam. Im zweiten Teil (Das Leben in der Haft) berichtete sie über Konflikte unter den gefangenen Frauen. Im dritten Teil (Der Wasserkocher) erfuhren wir, wieso sie in der Haft erneut eine Verurteilung bekam. Im vierten Teil beschrieb sie das Dilemma der Verräterinnen.In der Justizanstalt Schwarzau ist von den Delikten her alles vertreten. Angefangen von kleinem Blödsinn bis hin zu den großen Verbrechen. Man sagt zwar immer, man wolle mit bestimmten Delikten nichts zu tun haben, wie zum Beispiel mit den Frauen, die Kinder umgebracht haben, aber das gilt dann doch nicht so generell für alle. Ich habe das früher auch immer gesagt, doch trotzdem gab es Frauen, die so ein Delikt hatten und mit denen ich mich sehr gut verstand. Also, man kann das nicht generalisieren, und bei manchen Frauen weiß man nicht genau, was sie getan haben.

Ich habe in Haft auch zwei von den Lainzer Krankenschwestern kennen gelernt. Mit einer von ihnen verstand ich mich sehr gut, sie ist total nett. Ich habe sie nie nach dem Wieso und Warum gefragt oder wie sie damit umgeht und wie sie jetzt darüber denkt. Obwohl es mich sehr interessiert hätte und auch noch immer interessiert. Wieso ich sie nicht danach gefragt habe? Es kam nie so eine richtige Gelegenheit, und ich dachte, vielleicht ist es ihr auch unangenehm. Mit ihrer Komplizin habe ich nichts geredet. Ich hatte mit der nie richtigen Kontakt, und das war auch gut so, denn sie war mir total unsympathisch. Ich sah sie nur, als ich im ersten Stock lag, beim Essenausteilen.

Als ich im Erstvollzug war, lag ich in einer Viererzelle mit Martina, auch Venusfalle genannt. Sie hatte den Männern vorgespielt, dass sie sie liebt, und daher Geld von ihnen bekommen.


Aus den Medien bekannt

Eines Tages beim Mittagessen hieß es, wir würden eine Neue in die Zelle bekommen. Wir hatten ja schon eine leise Ahnung, um wen es sich handeln könnte, und wir fragten bei der Beamtin nach, ob es die Kindermörderin sei, über deren Fall in den Wochen zuvor die Medien fast täglich berichtet hatten. Die Beamtin sagte, sie wisse es nicht. Aber ich denke, es war gelogen. Kurze Zeit später kam sie auch schon. Es war Annette, die Kindermörderin. Unser Verdacht hatte sich nun bestätigt. Wir waren natürlich alles andere als begeistert, dass wir diese Person in die Zelle bekommen. Martina machte natürlich gleich einen Aufstand, weil wir mit ihr in einer Zelle sein mussten, doch das brachte natürlich nichts. Im Gegenteil: Die Beamtinnen sagten zu Martina, wenn sie sich nicht benehme oder die Annette nicht in Ruhe lasse, komme sie in den Normalvollzug, wo sie nach der Arbeit den ganzen restlichen Tag in der Zelle sein müsse. Ich konnte nichts dazu sagen, es blieb mir nichts anderes übrig, als mit ihr die Zelle zu teilen.

Ein paar Tage später brachte der ORF in der Sendung Willkommen Österreich das Thema Wenn Mütter zu Täterinnen werden unter anderen Fällen wurde auch der von Annette präsentiert. Wir schauten uns das an. Annette saß ohne irgendeine Regung, ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken auf dem Bett und schaute sich das Ganze seelenruhig an. So als würde sie das gar nicht betreffen und sie gar nicht gerade im Fernsehen sein. Mir war das einfach zu viel, ich musste raus aus der Zelle. Ich konnte das einfach nicht fassen. Ich hatte so eine Wut in mir. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich hatte immer nur das Nötigste mit ihr gesprochen. Und was noch sehr heftig war: Sie hatte von ihrer kleinen Nichte Kinderfotos auf ihrer Pinwand hängen. Also, bei Annette dachte ich immer daran, was sie getan hatte. Bei ihr ging mir das nicht aus dem Kopf.

Es kam dann auch noch eine zu uns in die Zelle, deren Spitzname, so wurde sie auch in der Öffentlichkeit genannt, Spinne lautete. Mit der kam ich auch nicht klar. Ich bin dann in eine andere Zelle umgezogen. Dort war zwar auch ein junges Mädchen, die ein Delikt mit ihrem Kind hatte, aber mit ihr verstand ich mich sehr gut, und ich dachte auch nicht immer an ihr Delikt. Wenn man eine Frau kennen lernt und sie auch mag, ist es egal, was diejenige gemacht hat.

Keinen Sinn und keine Gerechtigkeit

Auf der Jugendabteilung war ein Mädchen, die hatte ihren Freund umgebracht, ihm den Penis abgeschnitten und die Hoden aufgeschnitten. Wieso sie das gemacht hatte, weiß ich nicht genau. Das Mädchen hieß Sylvia und sah aus wie ein Engel, aber ab und zu hatte ich bei ihr das Gefühl, dass sie nicht ganz normal im Kopf ist. Sie erzählte, dass sie nach der Tat noch mit dem Auto herumgefahren sei. Dieses Mädchen wird täglich an ihre Tat erinnert, da sie sich dabei an zwei Fingern die Sehnen durchschnitt, so dass sie Schwierigkeiten beim Greifen hat. Aber was das Ärgste ist: Sie hat dafür neun Jahre bekommen und musste nicht ganz fünf machen. Sie wurde nämlich als Jugendliche verurteilt. Da fragt man sich schon! Ich verübte einen Raubüberfall, bei dem niemanden verletzt wurde und musste deswegen viereinhalb Jahre in Haft verbringen. Aber es bringt ja gar nichts, darüber nachzudenken, denn einen Sinn findet man nicht und eine Gerechtigkeit sowieso nicht.

Info:

Alle Texte von Sammy Kovac und Näheres zu den Gangster Girls auf www.gangstergirls.at

Filmvorführung mit anschließender Podiumsdiskussion am Mittwoch, dem 4. März um 19.30 im Zentralkino, Wiener Neustadt, Lange Gasse 26.

Am Podium unter der Moderation von Sabine Etl u. a.: Margitta Essenther (Anstaltsleiterin JA Gerasdorf), Gottfried Neuberger (Anstaltsleiter der JA Schwarzau), Wolfgang Gratz (Studiengangsleiter Public Management FH Campus Wien), Tina Leisch (Regisseurin)

Regulärer Kinostart von Gangster Girls am 27. März im Wiener Stadtkino