Bericht über eine Kontroversetun & lassen

Wie glücklich sind "Glückliche Arbeitslose"?

Das letzte Augustin-Heft enthielt den Vortrag über die „Glücklichen Arbeitslosen“, den der Kulturwissenschaftler Dieter Schrage auf der Ersten Österreichischen Erwerbsarbeitslosenkonferenz (15./16. Okt. 2005) hielt. Im Folgenden geht Schrage auf die Kontroversen ein, die sein Konferenzbeitrag verursachte.Zur Erinnerung bzw. Information: Die Glücklichen Arbeitslosen sind – und hier folge ich der freien (Internet-)Enzyklopädie Wikipedia – eine lose organisierte Bewegung von (nach eigenen Angaben) „ein paar Millionen“ Menschen in Europa, die das Konzept der so genannten glücklichen Arbeitslosigkeit fördern wollen. Unter glücklicher Arbeitslosigkeit wird ein Zustand verstanden, das Faktum der Arbeitslosigkeit (Anm. d. A.: und das ist entscheidend) zu akzeptieren, im Rahmen des Möglichen zu genießen und durch ein Coming-out (Anm. d. A.: wichtig!) offensiv damit umzugehen. Dabei präsentieren sich die Glücklichen Arbeitslosen ideologisch weitgehend unverbindlich; sie weisen jede Nähe zu klassenkämpferischem Gedankengut von sich, zelebrieren jedoch eine gewisse – aber immer unverbindlich spaßig bleibende – Nähe zu anarchistischen und situationistischen Ideen.

Und dieses Fehlen eines herkömmlich klassenkämpferischen Ansatzes war auch der Einstieg in die von Gerald Grassl tapfer moderierte heftige Diskussion. Vehement warf Alexander von der „Gegeninformationsinitiative Aug und Ohr“ der Glücklichen-Arbeitslosen-Bewegung vor, sie unterlaufe und schwäche die in ganz Europa aufkommende organisierte Arbeitslosenbewegung wie z. B. in Frankreich die AC!, die als eine autonome, weitgehend spontane Bewegung gerade durch ihre kämpferische Radikalität breite Anerkennung und erste Erfolge – auch gegenüber der Regierung – erreicht habe.

Ich wandte dagegen ein, dass ich in meinem Beitrag über das bemerkenswerte Phänomen der Glücklichen Arbeitslosen keinesfalls die beiden Ansätze – kämpferische Selbstbehauptung in syndikalistischen Gruppierungen einerseits und ein breites nur lose organisiertes Unterlaufen des bestehenden kapitalistischen Produktions- und Verwertungssystems einschließlich seiner tragenden Ideologie der Arbeitsamkeit andererseits – gegeneinander ausspielen wollte. Beide Strategien seien je nach Intention und Persönlichkeit der Betroffenen notwendig.

Grundsicherung versus Grundeinkommen

Ernstzunehmen war auch die wiederholt aufgeworfene Frage, ob es akzeptabel und in Anbetracht der Entwicklung der Erwerbsarbeit scheinbar unausweichlich sei, sich auf der Basis einer bisher problematischen, oft auch unwürdigen „Grundsicherung“ (d. h. in der Realität Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Notstandshilfe) in einer immerwährenden („glücklichen“) Arbeitslosigkeit einzurichten.

Vielmehr sei eine radikale Neu- bzw. Umverteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit angesagt. Auch ich teile in Anbetracht der ständigen Produktivitätssteigerungen und Profite der Unternehmen die Notwendigkeit einer weitestgehenden Arbeitszeitverkürzung bei gerechtem Lohn als Basis einer Neuverteilung der Erwerbsarbeit.

Schon während meines Vortrages war durch Einwürfe und Zwischenfragen immer wieder eine Diskussion über Grundsicherung und Grundeinkommen aufgebrochen. Dabei wurde wie schon oft deutlich, dass über die Begriffe Grundsicherung, wie diese beispielsweise von den Wiener Grünen gefordert und aktuell mit 800 Euro pro Monat beziffert wird, und dem heute aus den verschiedensten gesellschaftlichen Positionen geforderten Grundeinkommen große Unklarheit besteht.

Ganz knapp ein Versuch der Klärung: bei der Grundsicherung als einer Maßnahme der Armutsbekämpfung hat die soziale Sicherheit durch Erwerbsarbeit Vorrang gegenüber dem Bezug einer Grundsicherung. Die an die Lebenslage (z. B. Krankheit, Arbeitslosigkeit u.v.a.) gebundene Grundsicherung für alle mit Rechtsanspruch (!) tritt nur in Kraft, wenn festgesetzte finanzielle Standards (bei dem grünen Modell z. B. 800 Euro pro Monat) nicht erreicht werden. Das Grundeinkommen, dem im Oktober in Wien auch der große internationale Kongress „In Freiheit tätig sein“ galt, bedeutet für alle Menschen, „dass sie unabhängig von Erwerbstätigkeit und Bedarfsprüfung ein Existenz sicherndes Einkommen erhalten und eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben möglich ist“. Eine gute Einführung zu den Fragen von Grundsicherung und Grundeinkommen gibt: Elisabeth Hammer, Grundlagen der Sozialpolitik. Grundsicherung und Grundeinkommen, Fachhochschule Campus Wien, Studiengang Sozialarbeit, Wien 2002.

In unserer Diskussion forderte die Mehrheit der Anwesenden die baldige Einführung eines allgemeinen, personenbezogenen und nicht auf Erwerbsarbeit fußenden Grundeinkommens auf der Grundlage eines Rechtsanspruchs für alle. Und da mir klar ist, dass die Lebensbedürfnisse der Menschen und somit auch unser an sich problematischer „sozialer Friede“ nicht mehr durch die immer knapper werdende Erwerbsarbeit gesichert werden können, bin ich überzeugt, dass es in den Industrieländern in zwei oder drei Jahrzehnten ein Grundeinkommen für alle geben wird.

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