Ein Schlaganfall kann jeden treffen ...
Dass der Schlaganfall hauptsächlich gestresste Manager ereilt, impulsiv agierende Politiker oder vielleicht Leistungssportler, ist eine Legende, mit der hier einmal tüchtig aufgeräumt werden soll.Im fünfzehnten, sechzehnten und zehnten Bezirk Wiens ist die Schlaganfallhäufigkeit höher als in anderen Bezirken. Während die Zahl der oft mörderischen Attacke in Österreich abnimmt, steigt die Schlaganfallrate in den ärmeren Ländern. Tatsächlich sind die sozial Schwachen die eigentliche Zielgruppe für Gefäßerkrankungen, sich daran zu verstümmeln oder daran zu sterben und zwar zweifach. Weil sie ungesünder leben und weil sie weniger Hilfe bekommen. Selbst wenn man einen unerschütterlichen Glauben an das österreichische Gesundheitssystem hat: Die Nachbetreuung der PatientInnen, vor allem die Aufklärung über ihre Krankheit, ist zumindest schichtspezifisch unterschiedlich.
Patient A., der das Nahtoderlebnis überstanden hat und natürlich noch längere Zeit unter Schock steht, wurde ohne Aufklärung über das Wie und Was seines Leidens, das ihn nun den Rest seines Lebens stündlich begleiten wird, ohne Aufklärung über Ursachen und Verhaltensmaßnahmen aus dem Spital entlassen. Und ohne psychologische Betreuung, die gar nicht vorgesehen ist. Da gab es zwar ein Kreuz im AKH-Zimmer, aber keinen, der Zeit dafür hatte, dem Patienten mit lebensnotwendigen Informationen ins Leben zurück zu helfen.
So kann es passieren, dass sich der Patient an die für ihn zuständige Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft, die ein eigenes und ansonsten sehr kompetentes Vorsorge-Spital betreibt, um Rat wendet und diese ihn an die Sonderanstalt für neurologische und neuropsychische Rehabilitation auf den Rosenhügel vermittelt. Was folgt, ist ein Telefonat, das symptomatisch für Schlaganfallpatienten ist. Nachdem der Patient sein Begehr artikuliert, bringt es die weibliche Stimme der NRZ sehr schnell mit der Phonetik eines Eiszapfens auf den Punkt: Reden tut da mit ihnen niemand. Wenns mit jemandem reden wollen, müssens in die Privatordination gehen.
Die zurückhaltende akademische Gesprächsbereitschaft liegt wahrscheinlich in erster Linie daran, dass klassische SchlaganfallpatientInnen zumindest halbseitig, zumindest facial gelähmt, im Rollstuhl, unansprechbar oder tot sind. Somit ist ein/e ordentliche/r PatientIn gar nicht in der Lage, lästige Fragen zu stellen und möglicherweise Antworten zu verstehen. Das spart Zeit. Zweitens liegt das daran, dass der Schlaganfall ein fächerübergreifendes Leiden ist. Passieren tut er im Gehirn, also ist der Neurologe als Erster gefordert, da er aber ein Gefäßleiden ist, ist der Internist zuständig. Und weil sich die Internisten wieder auf kleinere Gebiete spezialisieren, der Kardiologe. Nach dem Schlaganfall sind immer ein oder mehrere Organe beschädigt was wieder andere Spezialisten für zuständig erklärt. Es sind aber wesentliche Bestandteile medizinischer Ethik, dass ein Arzt nie irrt und dass er dem anderen nicht ins Fachgebiet patzt. Weil er von diesem schon gar keine Ahnung mehr hat. Vermutlich interessiert ihn das auch gar nicht, weil es aufwändig genug ist, im eigenen Job up to date zu sein. Und drittens steckt in jedem Arzt, zum Nachteil der Kassenpatienten, ein verdrängter Automechaniker: (Gesprächs-)Zeit ist Geld.
24.000 pro Jahr
Das kann so weit gehen: In einem Radiovortrag wurde irgendwann gesagt, dass schmerzende Fingerkuppen als Warnsignal vor dem Schlaganfall zu werten sind. B. *) hatte das oft. Also hatte er einen der gerichtssachverständigen Internisten am Wiener Arbeits- und Sozialgericht darauf angesprochen. Der hatte davon aber keine Ahnung und meinte, B. solle mit seiner Frage zu einem Neurologen gehen.
Der Augustin hat den Versuch unternommen, eine kompetente Zusammenfassung über das Schlaganfallthema zu erstellen und hat deshalb mit der Crème der österreichischen Schlaganfallspezialisten gesprochen. Zunächst aber eine kleine Einführung: Der Schlaganfall entsteht durch Unterversorgung mit Sauerstoff im Gehirn. Schon für deren Ursache haben Mediziner zumindest zweierlei Erklärungen parat: Sicher ist, dass es zuerst zu einer Verengung in einem Blutgefäß im Gehirn, einer Plaque, einer Ablagerung an der Innenwand eines Blutgefäßes kommt. Erklärung Nummer eins: Im Zusammenwirken mit Bluthochdruck und/oder zu dickem Blut staut sich der Durchfluss an dieser Stelle und es kommt zu der gefürchteten Unterversorgung. Erklärung Nummer zwei: Eine Plaque löst sich, die freigewordenen Trümmer verstopfen darauf hin an einer oder mehreren anderen Stellen den Durchfluss.
Es gibt auch verschiedene Meinungen darüber, ob diese Plaque den/die PatientIn den Rest des Lebens verängstigen wird. Für die einen ist die Beseitigung völlig unmöglich, für die anderen nicht. Es gibt aus dem neurologischen Bereich keine einzige Studie über Plaque-Entfernung, hingegen hunderte aus dem kardiologischen Bereich.
In Österreich gibt es durchschnittlich mehr als zwei Schlaganfälle pro Stunde, pro Jahr sind es 24.000. Aufgrund der höheren Lebenserwartung dürften sich in den kommenden 15 bis 20 Jahren die Patient/innenzahlen verdoppeln. Prim. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Brainin (Leiter des Departments für Klinische Medizin und Präventionsmedizin, Donau-Universität Krems; Leiter der Abteilung für Neurologie am Landesklinikum der Donauregion Tulln; Mitglied des Vorstands und designierter Präsident der European Stroke Organization und Mitglied im Vorstand der World Stroke Organization): „Damit kann keine Entwarnung gegeben werden.“
„Wenn auch die Zahl der Schlaganfälle kontinuierlich zunimmt, können wir doch erhebliche Fortschritte bei der Sterberate aufgrund eines Schlaganfalls verzeichnen“, so ÖGSF-Präsident Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang (Vorsitzender der Expertenkommission des Österreichischen Schlaganfall-Registers; Abteilung für Neurologie, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien). „Zwischen 1970 und 2008 ist die Schlaganfall-Sterblichkeit um fast 80 % zurückgegangen: von 130 pro 100.000 Einwohner/innen auf rund 27 pro 100.000.“
Dem Schlaganfall davonlaufen
Für Univ.-Prof. Dr. Johann Willeit von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck wäre es gar nicht so schwer, der gefürchteten Attacke zu entkommen. Verschiedene Maßnahmen der Prävention können erheblich dazu beitragen, das Risiko für das Auftreten eines Schlaganfalls zu verringern, sagt der designierte Präsident der ÖGSF. „Schlaganfall ist über weite Strecken vermeidbar!“ Der Lebensstil spielt hier eine ganz entscheidende Rolle, insbesondere regelmäßige Bewegung. „Der präventive Effekt körperlicher Betätigung auf das Schlaganfall-Risiko ist nachhaltig belegt. Eine halbe Stunde Ausdauersport am Tag kann das Risiko um rund 25 Prozent senken“, so Prof. Willeit. „Je aktiver man ist, desto positiver wird das Gehirn beeinflusst. Man kann dem Schlaganfall regelrecht davonlaufen.“ So hat eine erst kürzlich in der Zeitschrift Stroke erschienene Studie aus den USA ergeben, dass Männer und Frauen ihr Schlaganfall-Risiko mit jedem täglich gelaufenen Kilometer um elf Prozent senken können. Wer acht oder mehr Kilometer täglich rennt, hat ein bis zu 60 Prozent geringeres Hirninfarkt-Risiko.
So einfach die Maßnahmen zur Prävention, so wenig informiert zeigen sich die Österreicher/innen, bedauert Prof. Willeit: „Umfragen zeigen, dass bei der spontanen Nennung die Hauptrisikofaktoren wie Bluthochdruck oder erhöhte Blutfette lediglich von 25 bis 30 % der Befragten genannt werden.“
Wenns Schlag auf Schlagerl geht: Time is brain!
Nachdem der Schlaganfall in Österreich, aber auch weltweit die zweithäufigste Todesursache (nach dem Herzinfarkt) und die häufigste Ursache für schwere Behinderungen ist, sollte eigentlich jeder wissen, was dabei zu tun ist. Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin rät daher dingend: Alles, was plötzlich und halbseitig auftritt, kann einen Schlaganfall bedeuten!
* Halbseitige Schwäche: Es können ganze Körperhälften, also Gesicht, Arm und Bein, oder nur Teile davon, zum Beispiel nur der Arm, betroffen sein. Diese Schwäche kann leichtgradig oder schwer ausgeprägt sein.
* Halbseitige Gefühlsstörung: Auch davon können eine ganze Körperhälfte oder nur Teile davon betroffen sein. Typisch ist ein Ausfall der Wahrnehmung, also eine Taubheit, eine Berührung wird oft nicht bemerkt.
* Sprachstörungen: Die Sprache des/der Betroffenen ist nicht oder nur eingeschränkt verständlich. Umgekehrt können Betroffene auch selbst Schwierigkeiten haben, Gesprochenes zu verstehen. Sie können daher oft auch einfache sprachliche Anweisungen, etwa Heben sie bitte ihren Arm, nicht befolgen.
* Sehstörungen: Es kommt zu einem plötzlichen Verlust der Sehwahrnehmung auf einem Auge bzw. nach einer Seite.
Selbst während eines solchen Schlaganfalls, wenn sie beim Gehen schon nach links umfallen, machen viele noch alles falsch weil sie in der Regel keine Schmerzen spüren. Dabei gibt es für den Anlassfall eine Grundregel: Nicht zum Hausarzt, auch zu sonst niemanden! Sofort die Rettung (144) verständigen, sofort ins nächste Stroke Unit (für Schlaganfälle spezialisiertes Spital) fahren, in Wien genießen die Barmherzigen Brüder den besten Ruf!
Derzeit gibt es in Österreich 34 Stroke Units in 31 Spitälern. Das ermöglicht die unbedingt nötige schnelle Behandlung innerhalb kürzester Zeit. Schon heute ist es möglich, Patient/innen innerhalb einer Transportzeit von meist weniger als 45 Minuten in eine Stroke Unit zu bringen“, sagt Prof. Lang. „Es ist wünschenswert, dass auch die letzten Lücken bald geschlossen werden.“