Warum immer mehr Menschen sich das Wohnen nicht leisten können
Anderswo gehen bereits tausende Menschen gegen die explodierenden Wohnungskosten auf die Straße. Eine Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2010 konstatiert, was viele fühlen: Wohnen wird auch in Österreich immer teurer. Junge Familien müssen häufig bereits 40 bis 50 Prozent ihres Haushaltseinkommens ins Wohnen investieren, wenn sie in den letzten fünf Jahren eine Altbauwohnung in Wien bezogen haben.Jeder dritte befragte Haushalt hat bereits einen befristeten Mietvertrag. In den letzten Jahren ist der Anteil der befristeten Mietverhältnisse von 26 auf 37 Prozent gestiegen. Wie das möglich ist, zeigt ein aktuelles Fallbeispiel aus Wien.
Ein altes Wiener Stadthaus im 2. Bezirk, Toplage nahe Praterstern, Mühlfeldgasse 12. Die typische Stuckfassade bröckelt. Das Haustor lässt sich einfach aufdrücken. Ich werfe einen Blick in den völlig vergammelten Innenhof und gehe vorbei an kaputten Briefkästen und Urinflecken im Stiegenhaus in den dritten Stock. Es riecht ein wenig muffig in der an sich schönen Wohnung des Ehepaars P. …
«Sieben Mal hat es schon in unsere halbe Wohnung reingeregnet. Jahrelang war das Dach kaputt. Dann wurde es repariert, weil die Versicherung das so wollte. Aber dann hat der Hauseigentümer eigenhändig dafür gesorgt, dass es von anderer Stelle wieder reinregnete, der ganze Boden war vom Wasser bedeckt», erzählt Zdenko P. (62) und zeigt mir Fotos von damals, als sogar ein Feuerwehreinsatz nötig wurde. Er und seine Frau Jovanka, beide in Pension und krank, haben einen wahren Leidensweg hinter sich.
Aus allen Wolken fiel das Ehepaar vor ca. zwei Jahren, als der Hauseigentümer er hatte das Haus geerbt mit ernster Miene an die Wohnungstür klopfte: Das Haus sei baufällig, alle müssten dringend ausziehen. Ein Anruf bei der Baupolizei klärte alles auf: Von Baufälligkeit keine Rede.
«Der Eigentümer hat dann gemeint, er löst uns unsere Investitionen mit lächerlichen 5000 Euro ab, wenn wir ausziehen. Das kommt nicht in Frage. Wir bekommen nirgendwo in Wien noch einmal eine so günstige Wohnung. Nicht einmal eine halb so große.»
Jovanka und Zdenko schütteln entschieden den Kopf, obwohl wie sie sagen «das Wohnen hier kein Vergnügen mehr ist. Manchmal schlafen wir wegen all dem Stress sehr schlecht. Der Schimmel auf der Decke, wo es reingeregnet hat, ist ungesund und gehört dringend saniert. Aber wir sind nicht bereit, das zu bezahlen. Der Schaden wurde nicht von uns verursacht.»
Zusammen mit zwei anderen Parteien sind sie die einzigen, die noch in dem Wohnhaus leben. Alle anderen von insgesamt 15 Parteien: gekündigt, rausgeekelt, ausgezogen. «Für uns war die Absicht des Eigentümers klar: Er hat vor drei Jahren das Haus in bester Lage geerbt und wollte es bestandsfrei kriegen, um es optimal verkaufen zu können. Nur bei uns und zwei anderen Parteien ist ihm das nicht gelungen. Wir lassen uns nicht so einfach aus unserer Wohnung rausekeln, in der wir seit 40 Jahren leben», erzählen Zdenko und Jovanka.
Die Wohnung hat das Ehepaar P. damals im Substandard mit einem unbefristeten Mietvertrag übernommen ohne Wasser, ohne Klo, ohne Heizung. Kategorie D. Billigst-Miete. Über die Jahre haben die beiden dann auf eigene Kosten die Wohnung top-ausgestattet, sodass sie heute einer Kategorie A-Wohnung entspricht. Bezahlen tun sie aber immer noch den Kategorie-D-Zins. Und sie wollen auch weiterhin so günstig wohnen. Denn ihre Renten sind mager. Aber die Methoden, alteingesessene Mieter loszuwerden, sind rüde. Erst kürzlich wurde zum Beispiel Öl im Stiegenhaus verschüttet.
Mietbehilfen kein Ausweg
Für Mag. Wolfgang Kirnbauer vom Mieterschutzverband (siehe Interview) sind die Ereignisse im Haus Mühlfeldgasse 12 aus mehreren Gründen ein typisches Beispiel für die Entwicklung am Wiener Wohnungsmarkt. «Es fällt tatsächlich auf, dass viele Altbauten, wo die Mietverhältnisse noch gewissen Obergrenzen unterliegen, abgerissen werden. Das ist einerseits eine städtebauliche Katastrophe, aber auch aus Mieterschutzsicht äußerst problematisch. Denn Neubauten, die in den so entstandenen Baulücken von privaten Bauträgern errichtet werden, unterliegen nur in geringem Umfang dem Mietrechtsgesetz.» Zum anderen sei neben explodierenden Energiekosten und stark gestiegenen Miet-Obergrenzen der Trend zum Wohnungseigentum mit ein Grund, warum das Wohnen für immer weniger Menschen leistbar wird. (Laut einer aktuellen Studie der Nationalbank gehören zehn Prozent der Österreicher beinahe 60 Prozent des gesamten Immobilienvermögens, Anm.)
Ein Ausweg aus dieser Krise seien laut Kirnbauer transparentere Mietzinsobergrenzen auch für Neubauten. Kein Ausweg seien hingegen die persönlichen Mietbeihilfen, die Bezieher_innen geringer Einkommen beantragen können. Denn: «Da wird ja nicht an der Höhe der Miete gerüttelt. So wandert einfach das Geld von unten nach oben, letztlich mit Hilfe des Staates.»