Besuch bei einer Begleitagenturtun & lassen

Reife Damen aus der Wiener Gesellschaft

Angefangen hat alles mit einem kurzen Artikel vom „Psychozottel“ mit dem Titel „“Was sich Patienten wünschen““ in der Literaturwerkstatt des Augustin. Der Autor beklagte darin, dass die Dienste von Prostituierten am häufigsten von Ärzten, Juristen und Künstlern in Anspruch genommen würden, während sich Psychiatriebetroffene, Menschen mit Behinderungen oder Obdachlose diese Dienste häufig nicht leisten könnten. Um dieser Ungerechtigkeit Abhilfe zu schaffen, schlägt er die Einführung EU-geförderter Sozialprostituierter vor.Die Gedankenlosigkeit, mit der im Artikel über als rein männlich benannte Bedürfnisse und die selbstverständliche Annahme der Verfügbarkeit des weiblichen Körpers geschrieben wurde, ließ einige Frauen der Augustintruppe aufschreien. Als dann noch die Rede war von Frauen über 40, die ihre Dienste als Callgirls für Randgruppen zur Verfügung stellen könnten, wurde diese Äußerung schlicht als Schlag ins Gesicht einer jeden über vierzigjährigen Arbeitslosen empfunden. Dann trudelte ein Leserinnenbrief der Begleitagentur namens „40plus“ ein (siehe Augustin Nr. 181), deren reale Existenz zwar dem Autor, nicht aber den Kritikerinnen vertraut war. Das Team bedankte sich darin für die Erwähnung der Agentur und wies darauf hin, dass man durchaus interessiert sei an einem durch EU-Mittel geförderten Projekt, zumal die Agentur auch jetzt schon immer wieder mit Gästen im Rollstuhl, Selbstmordkandidaten, Taubstummen, Prostataoperierten u. Ä. zu tun habe. Der Brief schloss mit der Bemerkung: Für ein Interview stehen wir gerne zur Verfügung. Dieses Angebot wurde angenommen.

Der Besuch der Homepage der Agentur verspricht „Reife Lebenslust in Wien“. Von geheimen Sehnsüchten des Mannes nach reiferen Frauen ist da die Rede. Von der Fähigkeit älterer Frauen, ihre Lust ohne Tabus und falsche Scham zu genießen. Die Bilder der spärlich bekleideten Frauen sind mit Texten versehen, die weniger die Frauen charakterisieren, als vielmehr die Phantasien potenzieller KundInnen anregen sollen. Da gibt es „die Temperamentvolle“, „die Langbeinige“, „die Romantische“, „das Wiener Busenwunder“ u. a. m. Am Telefon meldet sich eine weibliche Stimme in gepflegtem Hochdeutsch, die in sachlichem Tonfall nach meinen Wünschen fragt. Auf dem Weg zum vereinbarten Interviewtermin gehen mir noch einmal diverse Bilder zum Thema „Sex gegen Geld“ durch den Kopf: Geschlagene Frauen, gesprengte Prostitutionsringe, gewalttätige Zuhälter, jede Menge Geld, von dem die Frauen am allerwenigsten zu sehen bekommen. Auch: Erinnerungen an die eine oder andere Frau, die mit käuflichem Sex ihr Geld verdient/e. Eine weitere Erinnerung: „Du Hure!“ Welchem weiblichen Wesen wurde diese Bezeichnung nicht irgendwann in ihrem Leben als hasserfüllte Beleidigung an den Kopf geworfen. Vermutlich tat frau da gerade etwas, das den Herren der Schöpfung nicht in den Kram passte. Hure, Heilige, Mutter. Wer bestimmt, welche Frau was ist? Generationen von Priestern, Künstlern, Wissenschaftern und Stammtischbrüdern arbeiten sich seit Jahrtausenden an dieser Frage ab, denn mann hat’s gern schön übersichtlich und säuberlich getrennt.

Good girls go to heaven, bad girls go everywhere

Und dann fällt mir schließlich der Spruch einer niederländischen Prostituiertenorganisation ein, und der muntert mich wieder etwas auf: „Good girls go to heaven, bad girls go everywhere!“ Mir war das everywhere immer schon lieber. Also mutig auf die Klingel gedrückt und rein ins Abenteuer. Wir sind in der Privatwohnung verabredet, um in Ruhe reden zu können. Die Frau, die mir öffnet, ist ganz Geschäftsfrau. Dunkles kinnlanges Haar umrahmt ein blasses Gesicht, die Schminke ist dezent, das Alter schwer abschätzbar. Ein kurzer aufmerksamer Blick und ich werde freundlich hereingebeten. Die Damen der Begleitagentur sind schon da. Während Kaffee und Tee in geblümte Porzellantassen gegossen und Kuchen herumgereicht wird und Servietten verteilt werden, stellen sich die Frauen vor. Neben mir auf dem Sofa sitzt die dunkelhaarige gesprächige Sophie mit französischem Akzent. Emma ist groß und kräftig, mit blond gefärbtem Haar, großen Ohrringen, schwarzen Strümpfen und einer erfreulich direkten Sprache. Charlotte ist die Zurückhaltendste, ihre blauen Augen kommen in ihrem braungebrannten Gesicht gut zur Geltung und mustern ihr Gegenüber aufmerksam, vom Revers ihres Sakkos glänzt ein Playboyhase.

Die meisten der Anwesenden haben eine Ehe hinter sich und ziehen derzeit das Alleinleben vor. Emma war verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und arbeitet im Büro. Sophie hat studiert und spielte vor ihrer Scheidung die undankbare Rolle der Geschäftsführerin im Betrieb ihres Mannes. Charlotte betreibt ein Lokal, Anna eine Firma. Inwieweit der Familien- und Freundeskreis von der Tätigkeit der Frauen weiß, ist unterschiedlich. Gelegentlich arbeiten verheiratete Frauen in der Agentur mit. Es gibt nämlich auch sexmüde Männer, nicht nur sexmüde Frauen, oder Paare mit unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen, die sich allein deswegen aber nicht trennen wollen, so wird mir erklärt. Dass die Frauen zusätzliches Geld heimbringen, stört die Männer vermutlich auch nicht. Manche Frauen tragen mit ihrer Arbeit beim Begleitservice zur Ausbildung ihrer Kinder bei, ohne dass diese davon wissen. In einem Fall ist der Mann berufsbedingt invalid, der Invaliditätsantrag ist noch nicht durch. Auch Arbeitslosigkeit ist den Frauen hier kein Fremdwort. Als ich gestehe, dass ich 40plus im ersten Moment für eine AMS-Initiative gehalten habe, brechen alle in schallendes Gelächter aus. (So was gibt’s tatsächlich, es heißt allerdings 45plus oder 50plus …)

Bei der Selbständigkeit und Eigeninitiative, die die Frauen an den Tag legen, hätt‘ das AMS jedenfalls die reinste Freude. Die von Frauen gegründete Agentur gibt es seit gut zwei Jahren. Zum einen gab es immer wieder Nachfragen nach älteren Frauen. Ein weiterer Anlass für die Gründung war die Erkenntnis einiger Freundinnen, dass Frauen ab einem gewissen Alter nicht mehr so leicht nette Männer kennen lernen. Das ist über die Agentur möglich. Die Frage, ob da irgendwo im Hintergrund ein Mann mitkassiert, wird mit entsetztem Gelächter abwehrt. „Um Gottes Willen, nein!“ Die Frauen, die hier sitzen, kennen die Spezies Mann. Ihnen macht keiner so schnell was vor. „Ich bin unglaublich strikt, was den Wert der Frau betrifft“, betont Anna, „wenn ich am Telefon eine gewisse Abfälligkeit bemerke, wenn ich den Eindruck habe, dass der Mann Frauen nicht schätzt, dann kommt er bei mir gar nicht bis zum Abschlussgespräch.“

Keine Skrupel, auch mal Nein zu sagen

Die Kunden kommen hauptsächlich über Inserate in Tageszeitungen. „Wir tragen uns nicht zu Markte. Wir sind zwar relativ teuer, aber wir haben fixe Preise. Man bezahlt bei uns nicht für jeden Handgriff noch einen Aufschlag, wie das bei anderen Agenturen oft der Fall ist. Das ist dann wie auf einem Bazar, wo womöglich noch in einer intimen Situation um den Preis gefeilscht wird. Bei uns ist der Preis fix und danach gibt es keine Diskussionen mehr, wie die Stunde abläuft. Jemand kann in der Stunde dann plaudern, er kann schmusen, er kann sich massieren lassen oder selber massieren oder was auch immer.“ Das Procedere ist so, dass die Männer anrufen und sich erkundigen. „Wer, wie, wo und wie teuer ist es … da hat man natürlich sehr viele Anrufe, die zu nichts führen. Wenn ich unsere Preise nenne, legen 80 Prozent der Anrufer, oft sogar noch mitten im Gespräch, auf. Diese rüden Umgangsformen muss man auch erst einmal verkraften.“ Wenn das Geschäft zugange kommt, wird der Mann an die gewünschte Dame weitervermittelt und die beiden entscheiden dann, ob, wann und wie sie das Treffen gestalten möchten.

Dabei haben die Frauen keine Skrupel, auch mal Nein zu sagen. „Das ist im wirklichen Leben ja genauso“, meint Emma nüchtern, „da kriegt man auch nicht immer alles, was man will.“ Der erste Eindruck ist da oft entscheidend. Ungepflegte oder betrunkene Männer müssen mit einer Abfuhr rechnen. Wenn sich die beiden hingegen handelseinig werden – gelegentlich kommt auch ein Paar -, dann findet die Begegnung am vereinbarten Ort statt. Bezahlt wird im Voraus. Es gibt auch Männer, die mehrere Stunden mit einer Frau verbringen und sie erst kennen lernen wollen oder die überhaupt nur zum Heurigen, ins Theater oder zu einem Geschäftsessen begleitet werden wollen. Die Vorausbezahlung gilt selbstverständlich auch in diesem Fall. Die Motivation von Männern, sich an eine Agentur zu wenden? Viele haben von Beziehungen und den damit verbundenen Kosten die Nase voll. Sie haben bestimmte erotische Vorstellungen, wollen keine emotionalen Turbulenzen und sind bereit, dafür zu bezahlen. „Sie wollen einfach eine schöne Zeit mit einer intelligenten Frau verbringen und danach wieder ohne weitere Verpflichtungen ihrer Wege gehen. Wobei sie den Damen durchaus auch Blumen bringen, oder französischen Champagner oder Geschenke. Das heißt, manchmal wird da auch eine persönliche Beziehung aufgebaut, wo nicht dauernd daran gedacht wird, dass es sich um eine Dienstleistung gegen Geld handelt“, erklärt Anna. Klar gehört es mit zum Geschäft, die Männer vergessen zu machen, dass sie sich etwas erkaufen. Für Charlotte ist die Grenze zwischen Freundschafts- und Geschäftsbeziehung eher fließend. „Auch im Gastgewerbe ist es ja so, dass man oft sehr vertrauliche Gespräche mit den Gästen hat und es ist trotzdem nichts Privates.“ Ihre Erfahrung bei der Begleitagentur: „Die Männer behandeln dich wie eine Prinzessin, am liebsten würden sie dir den roten Teppich ausrollen. Das ist der Unterschied zu vielen privaten Beziehungen. Die meisten Männer sind sehr höflich, aufmerksam, charmant, sie wollen dich verwöhnen.“ Nicht umsonst legt die Agentur Wert darauf, dass es sich um private Damen handelt, die ebenfalls ihren Spaß haben wollen.

Manche Männer machen unglaubliche Liebeserklärungen

Zur Vielfalt der Beziehung- und Begegnungsformen haben die Frauen von 40plus Dinge zu erzählen, die klarmachen, wie wenig das Klischee der ewig jungen Paare, die uns von Hochglanzmagazinen und Werbeflächen erstarrt entgegenlächeln, dem realen Leben entsprechen. Da gibt es z. B. den 30-jährigen Mann, der eine Frau verehrt und begehrt, die 35 Jahre älter ist. „Im normalen Leben hätte ein solcher Mann eine mordsmäßige Angst, eine solche Frau anzusprechen, und die Frau wiederum würde totale Hemmungen haben, weil sie sich ihres Alters bewusst ist. Hier hingegen wissen beide, was los ist, und es kann auf einer sehr zarten und feinfühligen Ebene etwas stattfinden.“ Die Vorlieben der Frauen sind ebenfalls unterschiedlich. Manche bevorzugen Begegnungen mit Unbekannten, andere bauen lieber so etwas wie eine persönliche Beziehung auf. Einige der Damen stehen auf jüngere Männer, bei anderen steht das Alter nicht so im Vordergrund. Manchmal sind die Männer in den Rollenspielen jünger als im wirklichen Leben, wie etwa jener Mann, der das für ihn einprägsame erste sexuelle Erlebnis der Verführung durch seine Tante nachspielen wollte. Das Mitteilungsbedürfnis der Männer ist meist groß. „Von einer Stunde reden sie dich mindestens eine halbe Stunde lang nieder, egal ob die 30 sind oder 60. Oft sind es wirtschaftlich gut situierte Leute, die unheimlich große Probleme im Sexualbereich haben.“

„Manche Männer machen unglaubliche Liebeserklärungen, das reicht von ,Ich liebe dich‘ bis ,Du bist die Tollste‘ und Versprechen wie ,Nächstes Wochenende flieg ich mit dir nach Paris, ich hol dich am Freitag ab‘ usw. Da tun mir die jungen Frauen Leid, die das womöglich für bare Münze nehmen und am Freitag tatsächlich warten“, warnt Anna. „Das darf man nicht glauben, denn in dem Moment, wo Männer geil sind, sagen sie alles.“

„Natürlich trifft man auch manchmal Männer, wo man sich nachher denkt, das hätt‘ ich mir sparen können. Aber das kann dir privat ja genauso passieren. Nur hab ich in dem Fall danach wenigsten was im Geldbörsl“, stellt Emma fest und erntet allgemeine Zustimmung. Eine kritische Distanz hat sie auch zu Machtverhältnissen und Karrieren, die sie am Arbeitsplatz beobachtet: „Wenn ich mir diese aufgeblasenen akademischen Würstln anschau, dann denk ich mir oft ,Du blöde Pute, du musst dich an ihn ranschmeißen, damit du einen Job kriegst und musst alles umsonst machen, mit dem schiachn, alten, bladn Chef, und ich krieg von den feschen Dreißigjährigen noch bezahlt‘, und dann ärger ich mich nicht mehr über die.“

Gegen die Entrechtung von Kolleginnen

Einigkeit herrscht darüber, dass man auf jeden Fall eine soziale Ader haben muss, und man muss Männer mögen. Die Meinung des 40plus-Teams zum Thema „Sozialprostituierte“: „Wir hätten kein Problem damit, wenn das Geld von einer anderen Seite kommt. Bei uns gibt es von Haus aus immer wieder auch Gäste, die Probleme haben, und zwar jede Menge. Man sollte viel deutlicher sagen, dass das, was wir machen, eigentlich auch eine psychologische Betreuung ist.“ Zugleich können Frauen bei der Begleitagentur auch Selbstbewusstsein tanken, sind die Damen überzeugt. „Wenn eine Frau Schwierigkeiten mit ihrem Selbstbewusstsein hat oder zusammengeknatscht ist, von irgendwelchen Männern, die sie schlecht behandelt haben, soll sie einfach einen Monat bei uns mitarbeiten, und sie kriegt wieder Selbstbewusstsein. Sie wird sich ihrer Macht bewusst und geht dann wieder ganz anders in die Welt hinaus“, empfiehlt Anna. Vielleicht sollte das AMS doch die eine oder andere Dame von 40plus zwecks Motivationstraining und Menschenführung anheuern …

Was sagen die Frauen zu Medienberichten, in denen von Sexarbeit vor allem im Zusammenhang mit Gewalt und Frauenhandel die Rede ist? „Für mich sind genau die Behörden und die Gesetze schuld daran, dass es überhaupt so läuft. Wenn ich eine Prostituierte nicht in eine rechtlose Position dränge, dann kann die Frau ganz selbstbewusst sagen. ,Ich will diesen Job machen, ich hol mir eine Karte, ich zahle meine Sozialversicherung und meine Steuern‘ und basta! Wenn sie aber alles unter der Decke machen muss, weil sie keine Bewilligung kriegt, dann nutzen das genau die Männer aus, die den Frauenhandel aufziehen. Die Strafen für diese Leute können nicht drakonisch genug sein“, empört sich Anna. Ihre Arbeit in der Agentur sehen die Damen in einer ganz anderen Sphäre angesiedelt. Ihre Selbstbezeichnung enthält das Glücksversprechen, das den Motor des „Sex gegen Geld“-Gewerbes zwar ausmacht, den Preis dafür aber zugleich immer wieder auch vergessen macht: „Ich mache eine zeitlang jemanden glücklich, und er mich vielleicht auch … “

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