Besuch beim Schatten-UderzoArtistin

Wie Raub-Asterix den schnellen Brüter verhinderte

Wer das neueste Asterix-Album noch nicht gelesen hat, dem sei von der Lektüre abgeraten: Weder die Story noch die zeichnerische Ausgestaltung lohnen den Aufwand. Weit anregender kann es sein, einen befreundeten Comic-Sammler um eines der subversiven gallischen Abenteuer anzuschnorren, die vor mehr als 20 Jahren, weitab von Goscinny und Uderzo, im Wiener Raum entstanden sind.Muss Kunst die Schaffung von etwas völlig Neuartigem sein oder kann es sich auch um die Verfremdung vorhandener Strukturen handeln? Es scheint, als käme das auf die Bekanntheit des „Künstlers“ an. Während ein berühmter Name Lorbeeren einsteckt, wird ein unbekannter als Rechtsbrecher verfolgt. Deshalb tritt der Erschaffer der Wiener Asterix-Alben hier auch nicht unter seinem richtigen Namen auf. Nennen wir ihn, um in der gallischen Tradition zu bleiben, einfach Scheißdanix.

Jener war in den Siebzigerjahren in der Anti-AKW-Bewegung tätig und gleichzeitig Asterix-Fan, als der er nicht nur die etwa 20 damals bereits erschienenen Alben, sondern auch Sekundärliteratur über die belgischen Comicfiguren verschlungen hatte. Die Idee, Asterix als Gegner der Atomkraft wirken zu lassen, entstand 1978. Zunächst dachte Scheißdanix daran, die Story selbst zuzeichnen. „Aber ich kann gar nicht zeichnen“, sagt er heute, „und die Auswahl an Bildern war so groß, dass es möglich war, eine Geschichte zu entwerfen und die passenden Bilder aus den einzelnen Alben herauszunehmen.“

So sah Scheißdanix alle erschienenen Bände nochmals gründlich auf Brauchbarkeit durch. Dann wurden die Szenen entwickelt und zur Geschichte gereiht. Die mühsamste Arbeit kam zum Schluss: Es mussten passende Übergänge zwischen den einzelnen Szenen gefunden werden.

„Es war ein offeneres Klima damals“

Zunächst gab Scheißdanix sein „Asterix und das Atomkraftwerk“ – Asterix und Obelix verhindern den Bau eines schnellen Brüters – seinem Freundeskreis zu lesen; als es auf Zustimmung stieß, begann er sich um die Vervielfältigung zu kümmern. Die stellte sich als Abenteuer heraus – nicht nur, weil sich bekannte Druckereien mit Raubdrucken nix anfangen wollten, sondern auch, weil von Heimcomputern und Farbscannern noch lange nicht die Rede war. So floss eine Menge Zeit in die Herstellung von Druckfilmen.

In einem der Atomkraft abgeneigten ÖVP-Mitglied fand Scheißdanix, sonst eher bei der linken Hälfte der AKW-Gegner zu Hause, schließlich seinen ersten Partner. In der Firmendruckerei wurde gedruckt, geschnitten und sortiert. Die händische Endfertigung, nämlich das Leimen und nochmalige Schneiden, hielt Scheißdanix einige Tage lang beschäftigt – immerhin lag die erste Auflage bereits bei 10.000 Stück. Einen Teil davon trug Scheißdanix zur Anti-Zwentendorf-Bewegung, wo die Alben verkauft wurden. „Mit dem Rest hab ich alternative Buchhandlungen in Wien abgegrast, die die Hefte dann inoffiziell vertrieben haben. Es war ein offeneres Klima damals.“

Die Sache ging recht lange gut. Zwar hatte ein Anti-AKW-Infostand Schwierigkeiten bekommen, weil dort der Wiener Asterix aufgelegt wurde. Aber es kam zu einer außergerichtlichen Einigung. „Es war mir schon bewusst, dass das (die Raubdrucke in Österreich zu verbreiten, Anm. d. V.) illegal ist. Mein Ziel war aber nicht, dem Uderzo eins auszuwischen, sondern ich wollte bewusst den damals erfolgreichsten Comic verwenden, um möglichst viele Menschen mit meiner Botschaft zu erreichen.“

Die Strategie ging auf; von Leuten aus der „Szene“ wurde Scheißdanix öfter als erwartet auf „Asterix und das Atomkraftwerk“ angesprochen. Das Album ging weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln – eine zweite Auflage musste her. Gedruckt wurde diesmal in der Druckerei des Kommunistischen Bundes Wien, den Rest machte Scheißdanix wieder selbst. Danach verselbständigte sich die Sache: Nach einem abgesegneten Nachdruck in München tauchten neue Auflagen auch in anderen deutschen Städten auf. Scheißdanix selbst hat heute nicht einmal mehr die Original-Filme.

Mit zunehmender Distanz der politischen Ereignisse schlief die Nachfrage nach dem Wiener Asterix-Heft ein, obwohl Scheißdanix‘ Erfolg eine Welle von Nachahmungen ausgelöst hatte. So erschien zum Beispiel „Asterix und die Volksabstimmung“. Dasselbe politische Thema, diesmal allerdings ein anderer Autor und schlechtere Qualität, sowohl von der Story als auch vom Druck her.

Dr. Gravenreuth tyrannisierte den deutschsprachigen Raum

Mit seinem zweiten Album „Der Sympathisanten-Schlumpf“ thematisierte Scheißdanix im Jahr 1980 die linke Szene in Deutschland, die große mediale Beachtung erfuhr(„Sympathisantensumpf“). Diesmal waren die Figuren tatsächlich (ab-)gezeichnet. Nach dem Ausflug zu den Schlümpfen wendete sich Scheißdanix wieder seinen gallischen Freunden zu. „Asterix und Obelix gegen rechts“ erschien 1981, diente aber weniger zur Unterstützung konkreter Aktionen denn als amüsante Darreichungsform einer ernsten Botschaft: Es war die Zeit der Neuen Rechten. Diesmal wurde nicht mehr gedruckt, sondern kopiert; die Auflage lag bei weniger als tausend Stück. Wichtiger Hinweis für Sammler: Bei fast hundert Stück wurde das Titelblatt von Scheißdanix persönlich handcoloriert.

Die Hefte wurden übrigens von ihm auch persönlich verteilt. Der Verkauf war bereits zu gefährlich geworden. In München hatte sich der Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth auf die Verfolgung von Raubdrucken spezialisiert und tyrannisierte den deutschsprachigen Raum. Uderzos Argument für die Verfolgungen, er wolle „seinen Asterix ideologie-frei haben“, kann nur verharmlosend klingen, wenn man die Methoden des Münchner Anwalts betrachtet: Er verschickte in Kinderhandschrift verfasste Briefe an Comichändler und erbat sich die Zusendung von inoffiziellen Heften „für die eigene Sammlung“. Wer dieser Bitte nachkam, erhielt prompt eine Strafanzeige mit Schadenersatzforderungen in oftmals unangemessener Höhe.

Das hielt jedoch unseren Scheißdanix nicht davon ab, 1983 eine vierte Story zu entwickeln. Zum dritten Mal arbeitete er mit Asterix und Kollegen, diesmal in professionellerem Stil: Mit „Gallas“ parodierte er eine bekannte Fernsehserie, Herstellung und Vertrieb übernahmen Raubdruckprofis. „Ich hatte eigentlich kein finanzielles Interesse – die haben mir Geld aufdrängen wollen, aber ich habs nicht genommen. Es ist mir nur darum gegangen, dass die Sache anonym bleibt und die Story verbreitet wird.“

Die Geschichte beginnt dort, wo die üblichen Asterix-Bände enden: mit einem Bankett. Wie sich herausstellt, sind die Figuren Schauspieler, denen die Massenproduktionen bereits zum Hals heraushängen – ein Hinweis auf den ohne Goscinny immer schlechter werdenden Uderzo. Das Album erschien in Farbe und war vom Original kaum zu unterscheiden. Einzig das Lettering (die Gestaltung der Buchstaben in den Sprechblasen) wurde mit Schablonen ausgeführt.

Warum hat Scheißdanix nach diesem Erfolg nicht weitergemacht? „Ich weiß nicht. Es war irgendwie kein Thema mehr. Außerdem werden Raubdrucke heute nimmer gedruckt,sondern gescannt und als PDF verschickt.“ In den Achtzigerjahren beschäftigte sich Scheißdanix mit dem Musik-Sampeln per Computer, heute kann er sich einen „Woody-Allen-Sampler“ vorstellen; einen zusammengeschnittenen Film aus Filmszenen von Woody Allen. „Aber die Synchronisation ist schwierig. Entweder du brauchst eine eigene Stimme oder du musst auf Vorhandenes zurückgreifen.“

Wer beim Kramen im Keller oder auf dem Dachboden eines der beschriebenen Hefte entdeckt hat, kann sich übrigens beim Lesen entspannt zurücklehnen. Herstellung, Vervielfältigung, Anpreisung, Werbung und Verkauf von Raubdrucken sind in Österreich verboten – jedoch nicht der private Besitz. In Frankreich ist die Situation sogar noch besser: hier gelten Raubdrucke nicht als Plagiat, sondern als Persiflage – und die ist schließlich erlaubt.

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