„Betteln ist kein soziales Problem“tun & lassen

Über Augustin-VerkäuferInnen und andere großstädtische Gefahren. Ein Landtags-Protokoll

Die wörtlichen Protokolle der Sitzungen unserer VolksvertreterInnen im Wiener Rathaus, aus dem Internet leicht verfügbar, sind Lehrmaterial für die Populismusforschung. Im Folgenden Ausschnitte aus der Landtagsdebatte zum Bettelverbot, die vor einigen Wochen stattfand. Die Beiträge von Rechtspolitikern suggerieren, Wien zähle zu den unsichersten Großstädten der Welt. Als ob die No-Future-Situation insbesondere für slowakische und rumänische Roma nicht hinreichend dokumentiert wäre, behaupten die ausgewählten RednerInnen unisono, hinter der Bettelei dieser Menschen stecke kein soziales Problem. Tatsächliche Hinweise auf Gruppenreisen von Betteltouristen werden zur Konstruktion einer Bettlermafia missbraucht. durch inflationäre Wiederholung soll, so das populistische Kalkül, in der Stadt Angst vor ihr entstehen, als ob die Mafia eine reale Erscheinung wäre. Ein zweifacher Doktortitel, wie die Dokumentation zeigt, schützt nicht vor tiefstem Stammtischniveau …

Abgeordneter DDr. Eduard Schock (FPÖ) 

Wir haben diese Dringliche Anfrage gestellt, weil wir bei der Bettelei die politisch korrekte Sprachregelung einmal hinterfragen und auch entlarven wollen, eine politisch korrekte Sprachregelung, die immer heißt: Armut kann man nicht verbieten.“ Aber, meine Damen und Herren, diese politisch korrekte Sprachregelung ist ja, wie es meistens bei diesen Sprachregelungen ist, einfach grundfalsch. Denn wie schaut denn die Realität aus? Es gibt die organisierte Bettelei, die Bettlermafia. Hauptsächlich aus Osteuropa stammen die Bettler und werden eigentlich mit Zwang von ihren Bossen, von den Bossen der Bettlermafia, in organisierten Fahrten nach Österreich gebracht. Sie werden in schlechtesten Unterkünften untergebracht und auf ihren Standplätzen abgeliefert. Dann wird von so genannten Aufpassern abkassiert, und die Bettler müssen ihre Losung sofort wieder hergeben.

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Die U-Bahnen werden von diesen Bettlern geradezu gestürmt. Ein U-Bahn-Benützer berichtet etwa, dass vor allem die neuen Garnituren in der U6 hier betroffen sind, wo es keine Zwischentüren mehr gibt, wo die Bettler ganz vorne einsteigen, dann durchgehen und jedem Benützer der U-Bahn dort ihre bettelnde Hand entgegenstrecken. Die Durchsagen, die es gibt, sind lobenswert, aber die sind zuwenig. Es müsste da natürlich die Aufsicht der U-Bahn einschreiten und die Bettler sofort aus der Station verweisen. Das nächste Beispiel. Eine Frau berichtet: Als ich in Hütteldorf einem besonders lästigen und zudringlichen Bettler kein Geld gab, warf dieser mir voll Zorn seine Krücken nach. Ein letztes Beispiel: Aggressive Bettlerbanden und Obdachlose treiben seit Jahren beim Franz-Josef-Bahnhof ihr Unwesen, im 9. Bezirk, in Wien-Alsergrund. Dort, meine Damen und Herren, machen die Bettler nicht einmal mehr vor Volksschülern Halt. Viele Schüler, auch Jugendliche, haben Angst vor den Obdachlosen. Wenn sie nicht gerade betteln, gehen einige von ihnen zum benachbarten Supermarkt stehlen. Meine Damen und Herren! Jetzt schlagen auch die Eltern bereits Alarm, weil sie um die Sicherheit ihrer Kinder bangen. Kinder aus der Volksschule in der Nähe werden nämlich bedrängt, und einige dieser Schulkinder müssen aus Angst bereits ihr Taschengeld hergeben. Ein Bub, der 9 Jahre alt ist, braucht psychologische Hilfe. Der 9-jährige Dominik geht in einen Hort in der Marktgasse, der muss Tag für Tag durch die Bahnhofshalle, und sein Vater berichtet: Die schulischen Leistungen meines Sohnes haben in den vergangenen Wochen stark nachgelassen, und seit kurzem wissen wir auch, warum. Schon seit Tagen wird der Bub auf dem Heimweg von einem obdachlosen Polen angesprochen, der ihn täglich aggressiv um ein paar Cent anbettelt. Der Bub leidet seit den Vorfällen an Schlafstörungen, hat Angstattacken durch diese Bettelei und traut sich nicht einmal mehr zur Schule. Meine Damen und Herren! Da frage ich Sie: Wie lange wollen Sie hier eigentlich noch warten? Was muss noch alles passieren? Wir fordern Sie auf: Nehmen wir doch endlich die Wienerinnen und Wiener in Schutz! Beschließen Sie mit uns ein Bettelverbot, meine Damen und Herren!

Abgeordnete Veronika Matiasek (FPÖ)

Natürlich ist Betteln in seiner ursprünglichen Form von einem sozialen Aspekt begleitet, das ist ja keine Frage, nur wir haben es hier und heute in Wien in ganz überwiegender Mehrheit mit einer Bettelei zu tun, die keinen sozialen Hintergrund hat. Das Geld, sehr geehrte Damen und Herren, das gutherzige Wienerinnen und Wiener spenden und ich behaupte nun einmal, die Österreicher und auch die Wiener sind grundsätzlich ein spendenfreudiges Volk, sind ein gutherziges Volk und schauen nicht gerne zu, wenn ein anderer leidet das Geld geht nicht an sozial Bedürftige, meine sehr geehrten Damen und Herren, der soziale Aspekt ist es ja in dem Fall nicht. Die Gewinner sind ja nicht die, die auf der Straße sitzen. Es wird ja nicht die Armut derer bekämpft, die auf der Straße sitzen. Diese Bettelei, diese organisierte Bettelei, die sich in Wien jetzt breit gemacht hat, dient ja einzig einer ganz kleinen Gruppe, einer ganz kleinen kriminellen Gruppe, das sind Bandenbosse, die sich einen Lebensstil leisten, indem sie Leute auf die Straße schicken, einen Lebensstil, den wir doch wirklich nicht möglich machen sollten.

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Es geht ja nicht nur um die Straßenbettelei allein, und jeder, der sich ein bisschen damit beschäftigt, weiß ja, dass auch die Begleitkriminalität eine nicht zu geringe ist. Was passiert denn wirklich, wenn die gutherzige Wienerin ihr Börsel öffnet, um da jetzt 50 Cent oder 1 Euro oder vielleicht auch 2 in das hingehaltene Becherl zu werfen? Da steht ja hinterm nächsten Hauseck bereits einer, der genau beobachtet, wo diese Dame dann ihr Geldbörsel einsteckt und hupp, wupp, hinter der nächsten Ecke hat sie ihre Brieftasche nicht mehr. So schaut ja die Realität aus. Ja, glauben Sie, in den Bussen, die da tagtäglich in Wien ankommen, sitzen nur diese Bettler drinnen, die dann auf der Straße zu finden sind? So ist es nicht. In Wirklichkeit fahren da natürlich auch die mit, die dann auf Einbruchstour gehen. Das hängt ja alles zusammen. Ein Zweig ist die Bettelei, ein Zweig ist der Taschendiebstahl. Das ist untrennbar verbunden. Es geht also nicht nur um diese explosionsartig aufgetretenen Straßenbettler. Ich glaube, es ist wirklich notwendig, auch im Sinne unseres Straßenbildes, dass wir Schluss machen damit. Viele Geschäftsstraßen ziehen ja nach und nach nicht nur Bettler, sondern auch andere Kriminalität an, und diese Form organisierter Kriminalität können und dürfen wir nicht dulden.

Abg. Dr. Wolfgang Aigner (ÖVP)

Ich finde es sehr gut von Seiten der Wiener Linien, dass durch Durchsagen kundgetan wird, dass diese organisierte Form der Bettelei nicht erwünscht ist, dass man den Armen, die es natürlich gibt, auch überhaupt nicht hilft, wenn man ihnen etwas gibt, sondern man finanziert nur die Bosse im Hintergrund. Ich glaube, das kann ja nicht unser aller Anliegen sein. Zum anderen gilt es schon festzuhalten, dass wir auch nicht sämtliche sozialen Probleme unserer Nachbarländer lösen können.

Es ist hier schon gesagt worden, dass die Österreicher sich in punkto Hilfsbereitschaft wirklich keinen schlechten Spiegel vors Auge halten müssen. Wir sind zu Recht Spendenweltmeister. Jeder Österreicher spendet einen Betrag von weit über 100 Euro nicht nur für die Not in der Ferne, sondern auch für die Not im eigenen Land. Uns geht es vor allem um die versteckte Armut, um die Menschen, die trotz Arbeit nicht genug verdienen. Denen muss man helfen, die sich zu schade sind, sich irgendwo hinzustellen und ihre Armut oder ihre vorgeschützte Armut nach außen zu stellen und damit auf eine eher aufdringliche Weise aufmerksam zu machen. Ich glaube, diesen Menschen in unserem Land gilt in erster Linie unser Mitgefühl. Unser Sozialsystem ist nicht dazu da, die Not in allen umliegenden Ländern zu lindern. Das können wir nicht, das würde alle überfordern. Dafür ist jedes Land auch selbst verantwortlich. Wir als Wiener Gemeinderäte und Landtagsabgeordnete sind dafür verantwortlich, dass sich in unserem öffentlichen Raum alle Wiener, die Einwanderer, die Gastarbeiter, die Touristen wohl fühlen. In eine Stadt, in der man sich wohl fühlt, in die kommt man auch gerne, und alle die, die zum Wohlfühlen kommen, sollen auch bei uns willkommen sein, und jenen, die den öffentlichen Raum dazu benützen, da kriminellen Machenschaften nachzugehen, denen müssen wir ein klares und eindeutiges Stoppschild entgegensetzen.

Stadtrat Johann Herzog (FPÖ)

Der Betteltourismus aus Rumänien, aus der Slowakei, aus Bulgarien ist kein soziales Problem! Das ist einfach nicht wahr! Das ist eine Form von Clanunwesen, wo jemand versucht, die wohlhabenderen Städte Mitteleuropas entsprechend abzugrasen, um sich, vor allem an den Spitzen dieser Banden, ein Leben von Fürsten zu vermitteln.

Abgeordneter Mag. Wolfgang Jung (FPÖ)

Auf der Mariahilfer Straße habe ich vor kurzem etwas verteilt (Abg. Dipl.-Ing. Omar Al-Rawi: Was haben Sie verteilt?), und ich arbeite auch in diesem Bereich. Jetzt werde ich Ihnen einmal erzählen, was passiert, wenn man auf der Mariahilfer Straße arbeitet und dann nach Hause fährt. Ich gehe beim Tor hinaus, rechts von mir sitzt Bettlerin Nummer 1. Links von mir gibt es Bettler Nummer 2 seit dem BAWAG-Überfall nicht mehr. Das waren Rollstuhlbettler, die sich abgewechselt haben. Die haben sich damals von der Polizei abschrecken lassen. Man geht dann etwas weiter und findet im Hochsommer gegenüber die Hütchenspieler. Jetzt sind sie noch nicht da. Weil es kälter ist, haben sie wieder aufgehört. Zwischendurch kommen irgendwelche Leute, die mit Eseln oder Pferden für nicht vorhandene oder obskure Zirkusse betteln. Dann kommen die Punks, die herumstehen: Host an Tschick oder host an Euro fürs Telefoniern?“ Die meisten sind durchaus auch aggressiv, mit Hund oder ohne. (Abg. Ernst Nevrivy: Die sind nicht so aggressiv wie Sie!) Dann kommen noch die Harmloseren mit dem Tetrapack, die Wiener Sandler, die dort das Stadtbild verschönern. (Abg. Karl Dampier: Ganz zum Schluss kommt der Herr Jung und verteilt noch etwas!) Dann gehen Sie in die U-Bahn hinein, Herr Kollege, kommt einer mit einer alten Autobatterie und einem Rekorder, wimmert Ihnen die Ohren voll und Sie können sich nicht dagegen wehren. Sie können sich die Ohren nicht einmal zuhalten, weil Sie die Hände über den Taschen haben müssen, damit Ihnen in den Wiener U-Bahnen nichts gestohlen wird. Das Nächste ist, Sie kommen nach Hause, wollen einkaufen gehen, steht vorne wer, der Ihnen das Wagerl abnehmen will und den Euro einlöst. Wenn Sie nicht zum Billa, sondern zum Merkur in meiner Umgebung gehen, dann steht dort der Nächste, der Ihnen einen Augustin aufdrängt. Das kann in einem Lokal genauso passieren, wie es mir gestern auch passiert ist, zum Beispiel im Café Ritter. Da kommt einer herein, und wenn man den Augustin nicht kauft, bekommt man nachgeredet: Aber eine Spende geben Sie mir schon!“ Und wenn Sie dann nichts tun, haben Sie eine blöde Nachrede. So schaut es in der Realität aus! Dann geht es am Abend zum Heurigen und da kommt einer, der Ihnen ein Plastikspielzeug und irgendeine Karte auf den Tisch stellt und nachher absammeln kommt. Das ist die Realität in Wien!

Österreich ist ein Sozialstaat. Sie von den GRÜNEN haben durchaus Recht, wenn Sie sagen, es gibt immer auch Arme, und es gibt zu viele Arme. Da stimme ich Ihnen zu. (Abg. Christian Hursky, eine Ausgabe der Zeitung Augustin herzeigend: Herr Jung, ich habe einen Augustin gekauft!) Sie können ihn ja verkaufen gehen, den Augustin! Stellen Sie sich dort oben hin, wie mit dem Wachturm“. Das dürfen Sie ruhig tun.

Meine Damen und Herren, ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Da war wirklich sehr viel Armut, Not und Elend. Es gab Hunderttausende Heimatlose, Entwurzelte und Arme in Österreich. Aber ich erinnere mich sehr gut, gebettelt ist damals nicht worden. Ich erinnere mich noch gut, wie die Kriegsblinden sogar von Tür zu Tür gegangen sind und die von ihnen hergestellten Bürsten und Besen verkauft haben. Die Älteren hier wissen es, gebettelt wurde nicht. (Abg. Inge Zankl: Gebettelt wurde sehr wohl!) Ich bin nicht in Wien aufgewachsen (Abg. Inge Zankl: Ich bin in Wien aufgewachsen!), aber ich sage Ihnen, in Oberösterreich hat es das nicht gegeben. und es gab genügend Arme.

Wissen Sie, wann ich den ersten Bettler gesehen habe? Die ersten Bettler habe ich in den 60er Jahren am Balkan gesehen, und es hat mich zugegebenermaßen schockiert. Denn man kann arm sein, hat meine Großmutter immer sehr richtig gesagt, aber man muss nicht dreckig sein. Dagegen kann man etwas tun. Diese dort waren aber, und das sage ich Ihnen, das war mein Eindruck und das war Faktum, schmutzig und in abgerissenen Kleidern. Was mich geschreckt hat, war, sie scheuten sich überhaupt nicht, sich lautstark und penetrant bemerkbar zu machen. Ihre eigenen Landsleute haben uns damals vor ihnen gewarnt. Heute sitzen die gleichen Leute bei uns, und wer warnt uns heute?

Anmerkung der Redaktion: Die sozialdemokratische Mehrheitsfraktion und die grünen Abgeordneten haben in ihren Ansprachen tapfer dagegengehalten. FPÖ und ÖVP sind mit ihren Anti-Bettler-Anträgen nicht durchgekommen. Von der SPÖ wünschten wir uns eine eindeutigere Ablehnung der Bettelverbots-Losung. SPÖ-Vertreter Kurt Stürzenbecher in der Schlussrede der Debatte: Wenn Menschen trotz der erfolgreichen Sozialpolitik in Wien glaubten, durch Betteln ihre soziale Lage verbessern zu können, sollte man das nicht generell mit autoritären Mitteln unterbinden, sondern für diese normale Bettelei muss es Platz geben, und dagegen kann man nicht vollkommen polizeistaatlich vorgehen. Also in bestimmten Fällen ein Ja zu autoritären Mitteln und ein Ja zum polizeistaatlichen Vorgehen? Tatsächlich scheint in Wien unter einem SP-Bürgermeister schleichend das zu passieren, was VP und FP sofort wollen: Gestrandeten wird immer klarer die Botschaft vermittelt, dass ihre Präsenz in dieser Stadt unerwünscht ist.

Landtag, 9. Sitzung vom 30. 3. 2007

Wörtliches Protokoll aus: www.wien.gv.at/mdb/ltg/2007/l