«Schau nicht hin, hört Karl Margit sagen, wenn kein Augenkontakt aufgenommen wird, ist man an einer Situation unbeteiligt». Aber Karl möchte hinschauen.
Karl, der stille, vorsichtige Protagonist, dem manchmal ein bisschen fad ist und der auf schmalen Stiegen Angst vorm Stolpern hat, Karl wird zum Glücksforscher. Er hat davon gehört, dass in Bhutan das Bruttonationalglück erfragt wird, und genau das will er fortan auch machen: rausfinden, wo die allgemeine Unzufriedenheit ihre Wurzeln hat, und wo also dann umgekehrt die Zufriedenheit herkäme.
So setzt sich Karl – unangekündigt, Margit wird sauer sein! – in sein Auto und fährt 374 Kilometer weit in ein von Schnee und Wintersport verlassenes Dorf. Parkt vor dem Hotel Post und beginnt, etwas unfähig vielleicht, aber zielgerichtet, mit seinen Glücksbefragungen. In der Wirtsstube, in der Fleischerei und bei der Grillhendlstation am Supermarktparkplatz: «Kommst du zur Welt, hast du zwei Möglichkeiten: hier oder anderswo. Anderswo wäre gut für dich, kommst du hier zur Welt, hast du zwei Möglichkeiten: reiche Eltern oder nicht. Reiche Eltern wären gut für dich …»
Als blöd stellt Anna Weidenholzer die Leute auf der Bühne ihres Buchs nie dar. Für ihre Schrullen haben sie gute Gründe, und die meisten durchschauen Karl ohnehin, der sie nach ihrem Glück fragt und sein eigenes sucht. «Und Sie?», fragt die Wirtin zurück.
«Weshalb die Herren Seesterne tragen» ist ein stiller Roman, ein sachter Hinweis auf Einsamkeit und Freundschaft, auf Nebeneinander und Gesellschaftlichkeit. Ganz ohne Spott kommt Weidenholzer wieder einmal aus; wie ein kunstfertige Regisseurin spielt sie mit der Chronologie, nimmt vorweg, präsentiert die Lösung und viel später erst die Frage. Ein paar mehr Störungen wünscht man dem eingängigen Rhythmus des Romans vielleicht; ein bisschen mehr Zuversicht seinen Protagonist_innen. Und dass Karl, wenn er nach Hause in ein offenes Ende fährt, weiß, was er selber braucht, um glücklich zu werden.
Anna Weidenholzer:
Weshalb die Herren
Seesterne tragen
Matthes & Seitz 2016, 192 Seiten, ca. 20 Euro