Bibliotick: Das Ende der UnbeschwertheitArtistin

Elfi Zimmermann liebt es, mit ihrem Fahrrad in der hügeligen Umgebung ihres Heimatortes herumzusausen. Ihre besten Freundinnen sind Alenka, eine Tschechin, und die jüdische Lilli.

Im Sommer geht’s fast täglich ins Schwimmbad, an Regentagen und nachts, heimlich unter der Decke bei Taschenlampenlicht, liest die Neunjährige zum Beispiel Karl Mays Der Schatz im Silbersee. Wenn sie erwachsen ist, kann sich Elfi vorstellen, Zirkusartistin zu werden oder Trapperin in Amerika. Wildfang Elfi lebt in einem Örtchen in Südmähren, im damaligen Sudetenland, sie und ihre Familie gehören der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe an, wir schreiben das Jahr 1938, in dessen Verlauf sich Schatten über die bisher unbeschwerte Kindheit Elfis legen. Nationalismus – deutscher wie tschechischer – setzt sich immer mehr durch, aus guten Nachbar_innen werden Fremde, sogar Feinde. Warum sich viele Sudetendeutsche wünschen, an Österreich oder Deutschland angegliedert zu werden, ist Elfi unverständlich. «Warum es besser sein soll, wenn alle die gleiche Sprache sprechen, verstehe ich eigentlich nicht.» Im Herbst des Jahres wird das Sudetenland an Deutschland angeschlossen.

Ilse Tielsch schildert in Das letzte Jahr die Ereignisse des Jahres 1938 aus der Sicht der kleinen Elfi, deren persönliches Leben durch die politischen Ereignisse direkt betroffen ist. Im Stil erinnert das Buch an Christine Nöstlingers Maikäfer flieg!, wobei Das letzte Jahr kein dezidiertes Kinderbuch und kein autobiografischer Roman ist. Elfi ist dennoch ein wenig ein Alter Ego von Ilse Tielsch, die 1929 in Auspitz/Hustopece in Mähren geboren wurde und 1945 von dort flüchtete. Die Schriftstellerin lebt seit 1946 in Wien, mit der Thematik des Heimatverlustes setzt sie sich in Prosa- und Lyrikwerken auseinander, unsentimental und vor allem ohne Ressentiment. Der heuer verstorbene Filmemacher und Autor Adolf Opel zitiert Ilse Tielsch in seinem Nachwort: «Als Kind und junges Mädchen habe ich miterlebt, welches Unglück Intoleranz und Hass zwischen Völkern über die Menschen bringt, deshalb schreibe ich dagegen an.»

 

Ilse Tielsch: Das letzte Jahr

Edition Atelier 2018

152 Seiten, 16 Euro