So viele sind uns nicht möglich. Wo sollen die hin, wo kommen die her? Die haben sich das so vorgestellt, aber es geht nicht, das Hinkommen geht nicht. Das Herkommen war schon mühsam, weil die so oft lügen, sie sind nicht die, die sie sind (..) Das Hinkommen wird aufgehalten und damit auch das Fortkommen.Kein Buch wird heute vorgestellt, sondern Netz-Literatur. Aus Anlass eines ausländerfeindlichen Überfalls auf eine Bühne.
Sie haben das Stück «Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene» noch immer nicht gesehen, auch an jenem seltsamen Abend nicht, im größten Hörsaal der Wiener Uni, an dem Neonazis die Vorführung verhindern wollten und vom Publikum hinauskomplimentiert wurden? Beste Gelegenheit: Am Mittwoch, 8. Juni, wird das Stück, das den Jelinek-Text «Die Schutzbefohlenen» interpretiert, im Arkadenhof des Wiener Rathauses aufgeführt. Die Darsteller_innen sind Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Elfriede Jelinek hat den Text unter dem Eindruck des ersten – politische Wirkkraft erlangenden – Versuchs einer Selbstorganisation von Asylbewerber_innen aus dem Lager Traiskirchen geschrieben.
Die Ironie der Verhältnisse hat den Rechtsextremist_innen ein Schnippchen geschlagen: Sehr ungewollt haben sie zu einer Popularisierung des Textes ihrer Todfeindin Jelinek beigetragen. Das Angebot des Arkadenhofs muss als solidarische Geste der rot-grünen Stadtregierung gesehen werden.
Der rechtsextreme Störtrupp (Aktivist_innen der «Identitären») tappte – was noch nicht beachtet wurde – in die Falle einer «postdramatischen» Situation. «Die Schutzbefohlenen» ist kein herkömmliches Theaterstück, sondern eine «Textfläche» auf der Homepage der Dichterin, die keine chronologisch ablaufende Zeit, keine lineare Handlung, kein Personal kennt, eine Textfläche, die ein Monolog ist, bei dem mensch nicht immer genau weiß, wer hier spricht. Die Textfläche steht der Regie – in diesem Fall der notorisch experimentorientierten Tina Leisch – zur freien Verfügung. Diese monströse Freiheit der Regie erlaubt zum Beispiel, den provokanten Auftritt der Rechtsextremistengruppe zum Teil des Gesamtkunstwerks zu erklären – eine paradoxe Integration, die die Neonazis ausgetrickst und instrumentalisiert aussehen lässt. So gesehen, haben sie an diesem Abend doppelt verloren: Sie «bereicherten» die (Un-)Handlung und sie wurden vom Publikum abserviert, was seinerseits in das Gesamtkunstwerk hineinreklamiert werden kann, je nach Weite des Werkbegriffs.
www.elfriedejelinek.com
8. Juni, 20:30 Uhr, Arkadenhof, Wiener Rathaus